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Politisch bewusst im Müll wühlen: Falk isst, was andere wegschmeißen

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Was genau verstehst du unter Containern? Containern meint, die noch guten Lebensmittel oder andere Produkte aus den Containern von Discountern und anderen Händlern zu holen. Das sind Sachen, die von denen als Müll deklariert wurden, die aber eigentlich von der Qualität her noch genauso gut dort verkauft werden könnten. Gerade bei Supermärkten handelt es sich dann häufig um Sachen, bei denen die Verpackung angekratzt ist oder das Sortiment ausgewechselt und die Produktpalette geändert wurde. Manchmal ist auch das Haltbarkeitsdatum angerückt. Da die Leute immer das kaufen, was am längsten haltbar ist, würden das Ladenhüter werden. Deshalb schmeißt der Supermarkt das Produkt gleich weg, anstatt es länger lagern zu müssen. Sehr viele Lebensmittel sind wirklich noch gar nicht lädiert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Machst du das eher als Statement oder auch aus reiner Not, um dich irgendwie zu ernähren? Nein, ich würde nicht sagen, dass ich das aus Not mache. Vorher war es so, dass ich es mir geleistet habe, im Bioladen einzukaufen. Der Umstieg ist auf jeden Fall ganz klar politisch motiviert gewesen. Ich sehe im Containern die ökologischste Form, sich Lebensmittel zu beschaffen, weil das Produkte sind, die ansonsten vernichtet würden. Indem ich mich an Sachen bediene, die ansonsten weggeworfen würden, sorge ich zum einen dafür, dass es weniger Müll gibt, und zum anderen, dass dieser Produktionsprozess nicht weiter angeheizt wird. Jetzt wurden aber die Billigprodukte, die im Discounter zu haben sind, manchmal unter miserablen Arbeitsbedingungen hergestellt. Kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, dass du irgendwie davon profitierst? Also, solche Produkte im Laden zu kaufen, fände ich prinzipiell nicht vertretbar, weil der Herstellungsprozess in der Regel mit sehr viel Ausbeutung und Umweltzerstörung verbunden ist. Wenn ich Sachen nutze, die ansonsten entsorgt oder verbrannt werden würden, macht es keinen Unterschied mehr, unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. Jetzt könnte man aber sagen, dass es insgesamt noch toller wäre, wenn du im Bioladen oder im Eine-Welt-Laden einkaufen würdest, um mit deinem Geld faire Produktionsbedingungen zu unterstützen? Also, zum einen ist es mein Ansatz, dass ich mit dem Geld lieber aktiv und offensiv Projekte wie Aufklärungsarbeit über Discounter mache, anstatt es indirekt in irgendeinen anderen Marktsektor zu schieben. Dann kommt aber auch noch dazu, dass auch Produkte, die ökologisch hergestellt wurden oder zumindest ein Biosiegel haben, nicht folgenlos produziert wurden. Auch im Ökolandbau werden Schädlingsmittel eingesetzt, wenn auch biologische, auch dort wird gedüngt, wenn auch mit Gülle, aber auch das sind Eingriffe in Natur und Ökosysteme. Und die ganze Müllproblematik gibt es auch hier. An erster Stelle sollte immer das Vermeiden von Müll, an zweiter das Verwerten und an dritter das Entsorgen stehen. Das lässt sich beim Containern ganz gut umsetzen, denn erstens vermeide ich es, neue Produkte herstellen zu lassen, zweitens verwerte ich die Sachen, die noch verwertbar sind, und komme so drittens gar nicht erst zu dem Punkt Entsorgung. Wie sieht es konkret aus, wenn Du losziehst? Meistens bin ich mit Fahrrad und Anhänger unterwegs. Wir haben eine Weile verschiedenste Supermärkte in Magdeburg angeguckt und haben dann Routen ausgesucht, wo es an bestimmten Tagen besonders häufig Container-Erfolge gibt. Die fahre ich dann ab, was etwa eine Stunde dauert, und danach ist ein Anhänger voll mit sehr frischem Gemüse und Obst und manchmal auch mit Fertigprodukten. Es ist immer wieder überraschend, wie gut die Sachen sind. Als ich angefangen habe, hatte ich die Biotonne von Zuhause vor Augen, eklig, mit richtig viel Abfällen, wo alles am Verwesen ist. Das sehe ich aber meistens nicht. Vieles ist noch verpackt und kommt gar nicht in Kontakt mit dem Rest.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was machst Du, wenn es zu einer Konfrontation mit dem Personal kommt? Also meistens ist es so, dass die verblüfft und ein bisschen empört sind, dass da jemand im Müll wühlt. Ich glaube, die haben zuerst den Eindruck, dass das eine Person ist, die sich nichts leisten kann, und dementsprechend reagieren die dann auch. Sie sind natürlich auch nicht darauf eingestellt, dass sie gleich in eine politische Diskussion geraten. Ich habe erlebt, dass anfangs ein recht aggressiver Ton herrschte, aber dass es später möglich wurde, vernünftig und sachlich miteinander zu diskutieren. Einige Male sagten Mitarbeiter auch, dass sie die Aktion eigentlich okay fänden, dass wir es aber aufgrund von Sachzwängen dennoch nicht machen dürften. "Das darfst du nicht", sagt auch das Gesetz. Containern gilt rechtlich als Diebstahl. Stört Dich das nicht? Das stört mich nicht. Das ist ja um so besser, um die Absurdität dieses ganzen Lebensmittelvernichtungssystems zu zeigen. Es ist nicht nur so, dass das die Praxis der Supermärkte ist, sondern das basiert auch noch auf der Logik, die vom Gesetzgeber ausgeht. Bist du schon mal von der Polizei erwischt worden? Ich hatte schon mal den Fall, dass mit der Polizei gedroht wurde. Ich habe auch offensiv eingefordert, dass sie sie holen sollen, und darauf hingewiesen, dass ich gerne einen Prozess darüber führen würde, um das zu thematisieren. Die Polizei hat dann aber gemeint, dass sie keine Lust hat, wegen Mülldiebstahls extra vorbeizukommen. Wie überzeugst du die Leute vom Mitmachen? Es gibt ganz viele Leute, die sagen, dass sie es sich nicht leisten können, in den Bioladen zu gehen, und die deshalb ihre Lebensmittel in Billigläden kaufen. Da ist es ein erster Ansatz zu sagen, hey, es geht auch noch anders, du kannst, wenn du ab und zu containerst, Geld sparen, und das verbliebene Geld dann so ausgeben, dass nicht ganz so viel dranhängt wie im Discounter. Wie überwindest du Trägheit? Soweit ich weiß, gibt es unter den aktiven Leuten kaum jemand, der richtig Bock hat, in diese Mülltonnen zu kriechen. Man muss sich davor immer wieder klar machen, dass es nicht anders geht, wenn man sich nicht abhängig machen und das System nicht unterstützen möchte. Aber wenn ich sehe, dass es regnet, muss ich mich schon überwinden. Ich versuche jedoch, das Ganze strategisch zu organisieren. Ich geht nicht erst los, wenn der Kühlschrank leer ist, sondern ich überlege mir, wie ich das möglichst effektiv machen kann. Ich bemühe mich auch, Kooperationen mit Selbstversorgungsprojekten aufzubauen. Was kann man denn über eine Gesellschaft lernen, wenn man das Innere ihrer Mülleimer kennt? Wenn ich mich darüber freue, dass ich im Müll sehr gute Produkte gefunden habe, muss ich mir eigentlich immer bewusst machen, dass das ein schlechtes Zeichen ist. Es ist dieses Paradoxon, das beim Containern immer wieder zu erleben ist und das ich interessant finde. Fotos: Lebensmittelvernichtung Stoppen

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