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Wenn Politik wieder Beziehungen spaltet

Bild: Ksenia Disterhof

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 Sommer 2015, Szeged, serbisch-ungarische Grenzregion. Der Wiener Nick steht zwischen geflüchteten Menschen mit offenen Fußsohlen, von Stacheldraht aufgerissenen Händen und permanent leeren Bäuchen. Ein paar Tage zuvor hatte er beobachtet, wie eine Mutter mit ihrem reglosen Baby auf dem Arm zum Helferzelt rannte. Nick ist für einen UN-Bericht an der Grenze, bleibt dann aber länger, weil jede Hilfe gebraucht wird. Dann läutet plötzlich sein Telefon. Nick weiß, wer dran ist. Und er will nicht abheben. Er will seinem Vater nicht sagen, wo er gerade ist. Er weiß, dass er nur Unverständnis entgegengeschleudert bekommt. Dass der Vater ihn als falschen Aktivisten, als Schlepper, als Gutmenschen beschimpfen wird. Dass er als Projektionsfläche für all das hinhalten muss, was sein Vater aus tiefstem Herzen verachtet. Trotzdem nimmt er ab. Es ist das letzte Telefonat für die nächsten zwölf Monate. Sein Vater ist zu dem Zeitpunkt seit 20 Jahren Mitglied der rechtspopulistischen FPÖ.   

Auf der Suche nach einem ruhigen Ort, an dem er seine Geschichte erzählen kann, bewegt sich Nick, 28,  selbstsicher durch die Räume des Wiener Instituts für Politikwissenschaft. Früher hat der Student hier in der Sofaecke selber oft gelernt, im Vorbeigehen grüßt er eine Professorin. Ein alternativer Ort, an dem klar ist: hier ist kein Platz für rechte Hetze. Draußen die Plakate: Hofer gegen Van der Bellen. Rechts gegen grün. Fronten, die Nick von zu Hause kennt. 

Die Politik als Mauer zwischen Vater und Sohn

„Politik stand schon immer wie eine haushohe Mauer mit Stacheldraht zwischen uns“, sagt Nick über die Beziehung zu seinem Vater. Ein Thema, das alles andere überlagerte. „Was bei uns am Küchentisch geredet wurde, fällt unter Volksverhetzung.“ Das weiß er heute. Als Kind war er der Ideologie seines Vaters schutzlos ausgeliefert. Mit acht bekam er Dinge gesagt wie: „Gegen die Grünen hilft nur eine Bürgerwehr!“ Und: „Wenn du keinen Kopf mit nach Hause bringst, holen sie sich deinen.“ Sätze, die sich bei Nick tief eingegraben haben. Die Tragweite dieser Aussagen war ihm damals nicht bewusst. Die Schwester bat ihn, in der Schule nichts von den rechten Eskapaden am Küchentisch zu erzählen. Die Liste derer, denen der Vater aus tiefstem Herzen den Tod wünschte, war lang. Nick ahnte, dass etwas nicht stimmt. Dass ein Vater einer verfassungswidrigen Ideologie verfallen war, die da draußen nicht okay ist.

Und auch sein Vater scheint das zu ahnen, denn obwohl der Kontakt zwischen den beiden mittlerweile wieder sporadisch auflebt, ist der ehemalige Tiroler Bauunternehmer für ein Interview nicht zu haben. Nach mehr als zwanzig Jahren überzeugter FPÖ-Mitgliedschaft trat er vergangenen Monat aus der Partei aus. Er wollte sich aufstellen lassen und wurde dafür zu einer größeren Parteispende aufgefordert. Eine Voraussetzung, die ihn zutiefst in seinen Vorstellungen einer unbestechlichen Politik enttäuschte. An seinem Weltbild änderte der Austritt jedoch nichts. Im Gegenteil: „Mit den Bundespräsidentschaftswahlen wird mein Vater in seinem ewigen Feindbild bestätigt: der Grüne Van der Bellen, dem es nichts entgegenzusetzen gibt außer einer fremdenfeindlichen, rechten Ideologie und die ist für ihn nach wie vor das Wahre“, meint Nick.

Nick wirkt müde und resigniert, wenn er von der Gesinnung seines Vaters spricht. Im Gegensatz zu seinen drei älteren Geschwistern hat er keine Zeit erlebt, in der sein Vater nicht voller Hass war. Dabei war der Vater nicht immer so radikal. Ein Alt-68er, einer, der damals auf ein soziales Versprechen, die großen Veränderungen für die „kleinen Leute“ hoffte. Er heiratete eine Australierin und zog mit ihr und den vier Kindern in die Nähe von Sydney. Hier erfuhr er zum ersten Mal was es bedeutet, in der sozialen Hackordnung ganz unten zu stehen. Der Versuch, dort Fuß zu fassen, scheiterte und die Familie zog zurück nach Tirol.

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Bild: Ksenia Disterhof

„Er suchte Orientierung in einer Partei, die ihn vertreten würde“, glaubt Nick. Zur selben Zeit wurden die rechten Parolen der FPÖ mit Jörg Haider als Vorsitzendem landesweit salonfähig. Die Partei liefert klare Feindbilder, die Vision einer besseren Zukunft für „echte Österreicher“ und dem Vater ein neues Gefühl der Zugehörigkeit. „Der Prozess verlief ähnlich wie bei der Radikalisierung von Islamisten, über die heute alle sprechen“, sagt Nick, fast ein bisschen zynisch. Neue Parteifreunde, immer extremere Feindbilder, verbotene Hitlerreden auf Kassette und „Mein Kampf“ im Wohnzimmerregal. Freunde und Verwandte wenden sich ab, die Mutter verlässt die Familie, die Geschwister ziehen mit sechszehn alle aus und Nick bleibt mit vier Jahren allein mit seinem Vater und dessen Ideologie zurück.      

 

Gerettet hat ihn die Schule - der Geschichtsunterricht

 

Nick muss kurz nachdenken, warum er sich trotzdem ein komplett konträres Weltbild aufbauen konnte. Gerettet habe ihn die Schule, vor allem der Geschichtsunterricht und später ein Umfeld von Menschen, die politisch andere Ansichten vertraten. „Ich glaube, auch als Kind hat man schon einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“, sagt er. Nick erinnert sich an eine Situation in der Fußgängerzone, als er zwölf Jahre alt war. Der Vater regte sich über einen Bettler auf, trat ihm zunächst den Becher mit dem Kleingeld weg und begann dann wutentbrannt, auch auf den Mann selbst einzutreten. „Diese Situation verfolgt mich bis heute. Ich wusste, dass das absolut nicht geht. Ich fühlte mich machtlos. Bis heute ärgere ich mich, dass ich da nicht eingegriffen habe.“ In seinen Worten schwingt ein Selbstvorwurf mit. Er habe zu oft im Stillen protestiert, zu selten den Mund aufgemacht. Er hätte schreien sollen. Kontra geben statt Rückzug.

 

Mit sechzehn Jahren hielt er es nicht mehr zuhause aus und wollte ebenfalls ausziehen. So wie seine Geschwister vor ihm. „Geh nicht“, sagte sein Vater da plötzlich. Dieser lebte mittlerweile zwar mit einer neuen Frau, doch der Freundes- und Familienkreis war im Laufe der Jahre immer kleiner geworden. Vielleicht spürte er die Isolation, die seine Ideologie mit sich brachte. Vielleicht merkte er auch langsam, dass dieses Versprechen vom besseren Leben für den kleinen Mann nicht eingelöst wurde. Derjenige, der sich mit den Wahlsiegen der FPÖ als Gewinner inszenierte, musste sozial dafür einbüßen. Nick zog trotzdem zu seiner Schwester.

Mit dieser Entscheidung begann für Nick ein neues Leben. Er beteiligt sich an den Protesten gegen die schwarz-blauen Reformen, den Sozialabbau von FPÖ und ÖVP Anfang der 2000er, und suchte sich ein politisches Umfeld, das ihn bestätigte: „Was mein Vater so von sich gibt ist mehr als verwirrter Opportunismus. Das ist zutiefst rechtes Gedankengut und es ist okay, absolut dagegen zu sein.“

 

 

Vier Jahre bleibt er noch in Tirol, mit 20 zieht er zum Studium nach Graz und später dann nach Wien. Bis zum Sommer 2015 brach der Kontakt mit dem Vater trotzdem nie ab. Im Gegenteil: „Heute ist mir egal, was er denkt. Sein Lieblingsthema bleibt Politik, aber damit kann ich mich mit mehr Abstand auch besser auseinandersetzen“ sagt er. Während der Vater neben der Mondlandung mittlerweile auch den Klimawandel leugnet, macht sich Nick, angehender Umweltingenieur, die Mühe, möglichst anschauliche Beispiele dagegenzuhalten. „Mit der Unabhängigkeit habe ich auch weniger Hemmungen, meinem Vater die Meinung zu sagen und es gibt einfach Themen, von denen ich mehr Ahnung hab.“

 

Manchmal treffen die beiden sich auf einen Kaffee, aber immer wieder gibt es Rückschläge, die Nick klarmachen: Einen grünen Zweig wird es für die zwei nie geben. Als Nick mal einen deutschen Unifreund mit ins Café brachte, gipfelte das Treffen in einem 50minütigen Hassmonolog des Vaters auf Angela Merkel. „Den Typ will ich nie wieder sehen müssen“, sagte der Freund danach zu Nick. Muss er auch nicht. Nick aber schon.

Nach dem Telefonat im Sommer letzten Jahres rief der Vater noch mehrmals an. Nick ignorierte die Anrufe und trat in die SPÖ ein. Nicht aus Trotz, wie er betont, sondern weil er auch kommunal im eigenen Land aktiv werden möchte. An Weihnachten sahen sich die beiden dem ersten katastrophalen Telefonat im Sommer wieder und wechselten kein Wort. Erst vor kurzem gab es wieder kleinere Annäherungsversuche. Nick ging mal wieder ans Telefon, sie trafen sich auf einen Kaffee, sprachen über den Brexit, den der Vater irgendwie doch nicht gut findet. „Es ist ein auf und ab, aber ich bin nicht mehr darauf angewiesen, dass mein Vater mich versteht“ sagt Nick. „Wirklich gestritten haben wir uns nie. Vielleicht merkt er ja irgendwann, was dieses Weltbild für ihn in erster Linie bedeutet: Einsamkeit.“

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