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Sonderlinge schmecken köstlich

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"Culinary Misfits", also kulinarische Sonderlinge, das sind zum Beispiel Karotten mit zwei Beinen. Oder krumme Gurken. Oder ganz knollige Erdbeeren und Kartoffeln. Dass man sich die auf Anhieb gar nicht so gut vorstellen kann, liegt schlichtweg daran, dass man sie für gewöhnlich nicht im Supermarkt oder beim Gemüsehändler liegen sieht, geschweige denn im eigenen Kühlschrank. Dort landen in der Regel nur perfekt geformte Früchte, obwohl ihre knolligen Geschwister ebenso gut schmecken. Besser sogar, sagen die Berliner Produktdesignerinnen Tanja Krakowski, 37, und Lea Brumsack, 29. Unter dem Titel "Culinary Misfits – Esst die ganze Ernte!" verkaufen sie anormal geformtes Obst und Gemüse sowie Gerichte, die sie daraus zubereiten.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erdbeeren schmecken auch mit der ein oder anderen Knolle mehr. Zwei Berliner Designerinnen verkaufen ausschließlich anormal geformtes Obst und Gemüse.

Vom Sehen kennen sich Tanja und Lea schon länger, vor allem durch den Verein Sustainable Design Center, für den sie beide aktiv sind. Unzertrennlich sind sie aber erst, seit sie im Januar 2012 festgestellt haben, dass sie sich beide unabhängig voneinander in ihren Abschlussarbeiten, einmal an der UdK Berlin und einmal an der FH Potsdam, bewusst nicht mit der Gestaltung von Objekten beschäftigt haben, sondern mit ungewöhnlich geformten Früchten und nachhaltigem Design. Seitdem arbeiten sie an ihrem Projekt, in das Ideen aus beiden Abschlussarbeiten einfließen.  

Bisher sind die "Culinary Misfits" nur mobil erhältlich. Seit März sind Tanja und Lea mit ihrem Aktionswagen auf Messen und Events sowie Märkten wie der Markthalle Neun in Kreuzberg unterwegs. Dort bieten sie Catering an und verkaufen Mittagsgerichte, Snacks und ihre "Misfits" als Rohstoff. Ihre Gerichte heißen zum Beispiel "Schräge Pastinakensuppe" oder "Krumme Gurkensuppe", als Nachtisch gibt es "Gekrümmten Gugelhupf".

Ihre Produkte bekommen Tanja und Lea von zwei Höfen in Berlin, außerdem arbeiten sie mit einem Bäcker zusammen, der Brot vom Vortag verkauft. Damit machen sie zum Beispiel Knödel, "Pummelige Knödel auf knolligen Thymian-Möhrchen", um genau zu sein. Kochen haben die beiden nebenbei gelernt, von ihren Eltern bzw. Schwiegereltern, und viel in Leas Küche herumexperimentiert. "Rezepte mag ich gerne anschauen, zum Kochen finde ich sie nicht so interessant. Ich koche lieber frei nach Schnauze, das wollen wir auch in den Rezepten zum Ausdruck bringen, die wir veröffentlichen", sagt Lea.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lea Brumsack (links) und Tanja Krakowski vor ihrem Aktionswagen.

Mit ihrem Projekt wollen Tanja und Lea auf den verschwenderischen Umgang mit Nahrungsmitteln hinweisen. Für die beiden ist auch das knubbeligste Gemüse wertvolll: "Wir sehen das Schöne im Unperfekten", sagt Tanja, "Möhren sehen mal wie Monster aus und Kartoffeln wie Herzen. Wir freuen uns bei jeder Lieferung darüber, was wir entdecken. Karotten, die kerzengerade wie Soldaten in der Plastikschale liegen, finden wir furchtbar."

Damit sprechen sie ein aktuelles Thema an: Laut einer Studie des Bundesverbraucherministeriums wird jedes achte Lebensmittel, das gekauft wird, weggeschmissen. "Das Problem fängt aber schon auf dem Feld an", sagt Lea. In der EU werden jedes Jahr 230 Millionen Tonnen Obst, Gemüse und Getreide produziert, etwa 100 Millionen Tonnen bleiben gleich auf dem Acker liegen oder werden höchstens an Tiere verfüttert. Warum? "Weil die Bauern zum Beispiel Karotten wegwerfen, die zu klein oder zu groß oder zu krumm sind für irgendwelche Richtlinien. Und Bäcker schmeißen ihre Produkte weg, weil sie zu viel produzieren müssen, um bis zum Ladenschluss alles anbieten zu können", so Tanja.

Zur Zeit gibt es noch mehr Projekte, die auf die Verschwendungssucht aufmerksam machen wollen. Der Regisseur Valentin Thurn will nach seiner Doku "Taste The Waste" eine App ins Leben rufen, mit der Privatpersonen, Händler und Produzenten überschüssige Lebensmittel kostenlos anbieten oder abholen können. Slow Food Deutschland e.V. veranstaltet schon länger Aktionen wie "Teller statt Tonne" oder "Schnippeldisko", bei denen Ausschussgemüse zubereitet und gegessen wird.  

Mehr als 800 Fans haben die "Culinary Misfits" bereits auf Facebook (Stand: 3. Juli 2012). Gerade machen Tanja und Lea das Catering bei der Ethical Fashion Show in Berlin. Wenn ihre "Sonderlinge" weiterhin so gut ankommen, wollen sie bald einen festen Laden eröffnen. Dann könnten sie täglich vegetarische Gerichte anbieten und ihre "Misfits" verkaufen, am liebsten mit einer Vorratskammer, in der sie das ganze Jahr über Produkte sammeln. Die beiden können sich gut vorstellen, mit Crowdfunding dafür Spenden zu sammeln. "Wer spendet, darf uns dann auch beraten", sagt Tanja.


Text: kathrin-hollmer - Fotos: Culinary Misfits, Jörg Farys / Dieprojektoren.de

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