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Was Flüchtlinge und Deutsche gemeinsam haben? Hass auf Bürokratie!

Foto: Ghaith Zamrik

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Ghaith Zamrik, 19, aus Damaskus, lebt seit sieben Monaten in Deutschland. Gemeinsam mit fünf weiteren jungen Syrern arbeitet er gerade an einer App, die Flüchtlingen und Migranten dabei helfen soll, durch die deutsche Bürokratie zu finden. Das Projekt trägt den Titel „Bureaucrazy“. Ein Skype-Gespräch über Formulare-Wahnsinn, „Asterix erobert Rom“ und die Frage, ob die App auch Deutschen helfen kann.

jetzt: Ghaith, was war deine erste Erfahrung mit deutscher Bürokratie?

Ghaith: Das war, als ich hier in Berlin zur Ausländerbehörde gegangen bin, ins LAGeSo – das kennt ja mittlerweile jeder. Ich musste zehn Stunden warten, um überhaupt reinzukommen, obwohl ich einen Termin hatte. Und als ich dann endlich dran war, haben sie mir gesagt, dass sie nicht viel Zeit haben und die Papiere nicht für mich übersetzen können, sondern dass ich sie einfach so unterschreiben muss. Das ist öfter passiert: Ich musste unterschreiben, dass ich etwas verstanden habe und akzeptiere, ohne es zu verstehen. Der nächste schwierige Schritt war, ein WG-Zimmer zu mieten.

Wie lief das ab?

Ich habe zwei Monate gebraucht, um alle Informationen und Papiere dafür zusammenzukriegen. Niemand kann dir eine klare Antwort geben, was du alles brauchst, weder die Mitarbeiter im LAGeSo noch die Vermieter. Nach eineinhalb Monaten habe ich eine Organisation gefunden, „Place4Refugees“, die mir geholfen hat. Trotzdem sind dann im LAGeSo noch Papiere verloren gegangen, die ich brauchte.

Was brauchtest du denn alles, um das Zimmer zu mieten?

Erst mal natürlich den Vertrag zwischen mir und dem Vermieter, aber auch noch eine extra Einverständniserklärung des Vermieters, dass er mich als Mieter akzeptiert. Dann meine offiziellen Papiere für Deutschland und ein Bankkonto. Dann musste ich zum EJF im LAGeSo, eine Beratungsstelle, die sich um Wohnungssuche für Flüchtlinge kümmert, und mir da einen Stempel abholen und ein paar Unterlagen unterschreiben, die belegen, dass ich mir alleine eine Wohnung suchen kann und ihre Hilfe nicht brauche, und dass ich nicht mehr im Camp wohnen will. Dann musste ich in ein anderes Büro im LAGeSo gehen, alle Papiere dort abgeben und bestätigen lassen. Dann in wieder in ein anderes Büro, um rauszufinden, was ich machen muss, damit ich Möbel für mein Zimmer bekommen kann. 

"Ich musste 17 Stunden in einer Schlange wartet. Da ist man einfach nur frustriert und fühlt sich verloren"

Deutsche beschweren sich auch oft über Bürokratie, viele machen sich auch lustig drüber. Musstest du auch mal lachen?

Die meiste Zeit war es einfach nur nervig – ich kann mich zumindest nicht dran erinnern, dass ich besonders viel gelacht habe, nachdem ich ingesamt ungefähr siebzehn Stunden in einer Schlange warten musste. Da ist man einfach nur frustriert und fühlt sich sehr verloren. Aber manchmal sind die Fehler, die da gemacht werden, schon absurd. 

Zum Beispiel?

Ich habe einem Freund von mir erklärt, was er machen muss, um eine Wohnung zu mieten. Er ist also in das Büro gegangen, in dem ich auch war. Aber die haben ihm gesagt, dass er dort falsch sei und woanders hingehen muss. Also ist er zu dem anderen Büro gegangen und musste noch mal sechs Stunden warten – um dann wieder in das erste Büro geschickt zu werden, weil der Mitarbeiter sich vertan hatte. Das war auf eine traurige Art lustig. Eher so schwarzer Humor.

Kennst du den Film „Asterix erobert Rom“, in dem er und Obelix Aufgaben erfüllen müssen – und eine davon ist, einen Passierschein zu bekommen? Das Amt, in dem er das machen muss, nennen sie „Das Haus, das Verrückte macht“…

Nein, das kenne ich nicht. 

Ich schicke dir den Link.

Ja, das wäre cool!

Gab es in Syrien auch Bürokratie?

Ja, aber nicht so intensiv und kompliziert wie hier. Klar gibt’s auch ein paar Dinge, die etwas verwirrend sind, aber die meiste Zeit funktionieren die Sachen unmittelbar. Du musst einfach nicht zu so vielen verschiedenen Stellen gehen.

 

Gibt es ein arabisches Wort für Bürokratie?

(denkt nach) Ich glaube, es gibt eins… Ja, es ist ziemlich ähnlich: Biruqratia.

 

Wie kamt ihr auf die Idee für die App?

Wir waren in der ReDI-School, einer Programmierschule für Flüchtlinge hier in Berlin. Und da haben sie uns gesagt: Um motiviert programmieren zu lernen, ist es am besten, sich etwas zu suchen, was man auch wirklich programmieren will. Wir haben also die Probleme gesammelt, die wir im Alltag so haben – und allen gemeinsam waren Probleme mit der Sprache – für die es ja schon viele Apps gibt – und mit der Bürokratie.

 

Was genau soll die App können?

Es wird FAQs geben, zum Beispiel, „Ich will eine Wohnung mieten – was muss ich machen?“ Die wichtigsten Formulare sollen in verschiedenen Sprachen abrufbar sein und außerdem in vereinfachten Versionen, also mit einfacher gestellten Fragen. Die kannst du dann in deiner Sprache beantworten, die Antworten werden übersetzt und du kriegst am Ende ein auf Deutsch ausgefülltes Formular, das du nur noch ausdrucken musst. Mit jedem Formular, das du ausfüllst, wird es einfacher, weil deine Informationen in der App gespeichert bleiben, sodass du beim nächsten Mal nicht alles noch mal eintragen musst. Und per Google-Map navigiert die App dich dann zum nächstgelegenen Büro, in dem du deine Sachen einreichen kannst.

 

"Beim Crowdfunding gibt es ein neues bürokratisches Problem: Als Flüchtling darf man das Konto dafür nicht eröffnen"

 

Wie weit seid ihr?

Wir haben ja gerade erst programmieren gelernt. Aber die Google-Maps-Navigation funktioniert schon und wir haben die wichtigsten Formulare schon auf Englisch und Arabisch übersetzt. Gerade arbeiten wir an der automatischen Übersetzungsfunktion. Was noch fehlt sind die FAQs und wir müssen noch mehr Infos für die Datenbank sammeln. 

 

Wie finanziert ihr das Projekt?

Wir arbeiten gerade an der Webseite und stellen ein Crowdfunding auf die Beine. Da gibt es allerdings ein neues bürokratisches Problem: Für Spenden braucht man ein spezielles Konto und als Flüchtling darf man so eins nicht eröffnen. Aber dafür finden wir bald hoffentlich eine Lösung und dann können wir damit starten. 

 

Wo wird man die App finden?

Als erstes werden wir die Web-basierte App veröffentlichen, auf unserer Homepage und über unsere Facebook-Seite. Danach kümmern wir uns um Android, denke ich, und dann um iOs.

 

Wird die App eigentlich auch Deutschen helfen?

Vielleicht! Immerhin vereinfachen wir die Sprache auf den deutschen Formularen.

 

Das wäre toll, ich verstehe diese Formulare nämlich auch oft nicht…

Ich hab vor ein paar Tagen einen Brief vom BAMF gekriegt und habe einen Deutschen um Hilfe gebeten – aber das, was ich verstanden habe, und das, was er verstanden hat, war am Ende so ziemlich das Gleiche. 

 

Bist du denn fürs erste fertig mit allem Bürokratischen, was du erledigen musst?

Nein. Grade musste ich meine Papiere verlängern lassen, weil ich immer noch nicht als Flüchtling anerkannt bin. Und ich weiß schon: Wenn das demnächst passiert, wartet schon wieder ein Haufen neuer Formulare auf mich, die ich ausfüllen muss. 

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