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Ein Stück Erinnerung

Bild: Sima Dehgani

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Ein Jahr lang ist die Fotografin Sima Dehgani in Flüchtlingsheime gegangen, um Gegenstände abzulichten, die die Bewohner an ihre Reise erinnern. Jetzt hat sie die Fotoserie als Buch veröffentlicht. 

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Bild: Sima Dehgani

jetzt: Auf einem deiner Bilder sieht man den Arm des 17-jährigen Medhi mit einem selbst gestochenen Tattoo, ein unglaublich ergreifendes Bild. Was hat er dir dazu erzählt?

Sima Dehgani: Ungefähr 90 Prozent der Leute, die ich für das Projekt angefragt hatte, haben geantwortet, dass sie alles auf der Flucht verloren haben. Das war bei Medhi genauso. Ich habe dann mithilfe einer eritreischen Übersetzerin nachgehakt und wollte ihm zu verstehen geben, dass es gar nichts materiell besonderes sein muss, sondern etwas, das ihn an die Geschichte seiner Flucht erinnert. Aber er meinte weiter, er würde zwar total gerne mitmachen, aber er hätte einfach nichts, was ihm geblieben sei. Ich hatte schon damit abgeschlossen, als er plötzlich noch einmal kam und mir seinen Arm gezeigt hat und meinte, ob das vielleicht etwas wäre. Er hat mir erzählt, dass er sich dieses Tattoo aus purer Verzweiflung selbst gestochen hat, als er im Sudan feststeckte und nicht mehr weiterkam. Denn im Sudan müssen sich die Flüchtenden verstecken, damit sie nicht aufgegriffen werden. Er war so verzweifelt in dieser Situation, wusste irgendwann nicht mehr weiter und hat nur noch zu Gott gebetet und sich dieses Tattoo gestochen. Jetzt ist er in Pullach, in einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und froh, dass er es hierher geschafft hat – und davon überzeugt, dass Gott ihm geholfen hat.  

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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani
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Bild: Sima Dehgani

Was glaubst du sagen die Gegenstände aus, die du fotografiert hast?

Ich denke, diese Gegenstände verdeutlichen die ausweglose Situation, in der sich diese Menschen befinden. Sie haben nicht geruhsam einen Koffer gepackt und sich gefreut – so wie wir für den Urlaub packen. Im Gegenteil: Viele Gegenstände haben die Reise gar nicht überlebt, genauso wie viele Menschen es nicht geschafft haben. Und so finde ich, dass die Gegenstände an sich schon sehr viel ausstrahlen.

Hast du dich manchmal gewundert über Sachen, die die Flüchtlinge auf ihre beschwerliche und lebensgefährliche Reise mitgenommen haben?

Eigentlich nicht. Vielleicht habe ich mich bei der kleinen Plastik-Gitarre kurz gewundert, warum man das einpackt, wenn man auf der Flucht ist. Aber das sind eben Dinge, die den Menschen am Herzen liegen, das kann man nicht rational erklären.

Wie ist dir die Idee zu dem Projekt gekommen?

Die Idee habe ich Anfang des Jahres entwickelt, als das Thema Flüchtlinge sehr groß in den Medien war und sich immer weiter aufgeheizt hat. Ich fand die Art, wie die Geflüchteten in den Medien dargestellt wurden, sehr reißerisch und zum Teil auch stigmatisierend. Indem man ihre Hautfarbe und ihr Äußeres zeigte, waren sie automatisch stigmatisiert. Und so habe ich mir überlegt, dass ich die Geschichte von Geflüchteten anhand der Gegenstände erzählen wollte, die sie auf der Flucht mitgenommen haben. Ich wollte, dass die Gegenstände selbst die Geschichte erzählen.

War das viel Arbeit?

Teilweise schon. Ich habe ungefähr zehn Unterkünfte in München und Erlangen besucht und musste bisweilen wochenlang verhandeln und auf die Erlaubnis warten. Zum Glück kannte ich ein paar Leute, die in dem Bereich tätig sind und konnte teilweise recht schnell in die Unterkünfte gehen.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Geflüchteten?

Viele sind ziemlich scheu gegenüber Kameras und nach meinem Empfinden auch zu Recht. Denn seitdem das Thema so groß ist, hatte gefühlt jeder Hobbyfotograf schon die Idee „jetzt mach ich mal eine Geschichte über Flüchtlinge“. Ich denke, da sind einige schon ziemlich gebrandmarkt. Viele waren deshalb skeptisch, aber generell war eine ganz große Aufgeschlossenheit da.

Wie bist du vorgegangen?

Ich habe im Gemeinschaftsraum oder Empfangsbereich der Einrichtung mein Fotostudio aufgebaut. Teilweise habe ich die Bewohner selbst angesprochen, teilweise waren sie neugierig und haben mich gefragt, was ich da mache. Ich wollte mir bei dieser Arbeit auch selbst ein Bild machen und in Kontakt treten. Insgesamt habe ich bestimmt mit 100 Leuten geredet, das war sehr aufschlussreich, teilweise auch emotional und sehr spannend, welche Geschichten dahintersteckten. Gerade in München nimmt man die Geflüchteten im öffentlichen Leben ja kaum war. Deshalb war das so interessant, ins Gespräch zu kommen.

Was wolltest du mit der Arbeit bewirken?

Ich wollte zwei Dinge damit erreichen: Zum einen wollte ich meine eigene Neugier befriedigen. Ich liebe es, mich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen und bin überhaupt nicht menschenscheu. Aber ich wollte natürlich auch ganz klar etwas damit vermitteln. Vor allem der deutschen Bevölkerung. Es geht mir um Kommunikation, ein Miteinander und ein gegenseitiges Verstehen. Gefühlt droht dieses Thema gerade die Bevölkerung zu spalten – und das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. Wir sollten einander zuhören und miteinander sprechen. Mit diesem Projekt appelliere ich an die Menschlichkeit. Es geht nicht darum, woher jemand kommt, welche Hautfarbe derjenige hat und welche Nationalität.

Du sagst, du kannst das aus deiner eigenen Biografie heraus besonders nachvollziehen. Inwiefern?

Ich trage zwei Kulturen in mir, die gehören zu mir und dadurch empfinde ich eine große Nähe zu anderen Kulturen und nachvollziehen, wie sich das anfühlt, wenn man in ein Land kommt, in dem man nicht akzeptiert wird. Meine Mutter ist Deutsch, mein Vater ist mit 15 Jahren aus dem Iran weggegangen. Das hat mich mein ganzes Leben lang beschäftigt. Als er nach 20 Jahren zum ersten Mal in den Iran zurückgekehrt ist, war ich mit meinen neun Jahren dabei. Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis – zum einen von München in den Iran zu reisen, aber auch festzustellen, dass ich in diesem Land eine Familie habe. Ich habe auch immer sehr deutlich die Sehnsucht meines Vaters nach seiner Heimat gespürt, der zeitweise aus politischen Gründen nicht in den Iran reisen durfte.

Was hat dich überrascht in deiner Arbeit?

Ich habe mich sehr gefreut, dass so viele Leute mitmachen wollten und so eine große Aufgeschlossenheit mir und dem Projekt gegenüber da war. Und ich habe gemerkt, dass es ein sehr respektvolles Umgehen miteinander war – von beiden Seiten. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass Menschen, die gerade um ihr Leben gekämpft haben, sich für ein Fotoprojekt interessieren. Ich habe gemerkt, dass Menschen Interesse daran haben, dass ihre Geschichte erzählt wird und dass sie sich erklären dürfen. 

In dem Bildband „Ein Stück Erinnerung“ zeigt Sima Dehgani 62 Objekte von Geflüchteten – und die Bedeutung, die diese für ihre Besitzer haben. Das Buch kann man für 24 Euro auf untitled-books.com bestellen. 

 

 

Welche Fotos machen Flüchtende von München?

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