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"Es gibt Läden, einen Club mit Discokugel, ein Fitnessstudio ..."

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Hammed Khamis (*1981) ist Streetworker, Buchautor und Maßschuhmacher in Berlin. Seine Eltern sind vor seiner Geburt aus dem Libanon geflohnen. Er selbst wuchs in einer Gastarbeitersiedlung bei Osnabrück auf. Über seine Erfahrungen in Calais hat er auch im Seinsart-Magazin gebloggt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Ein Mann aus Libyen, mit dem ich mich auf meiner Reise angefreundet habe, lebt schon seit elf Monaten im ,Dschungel‘, wie das Flüchtlingscamp am Eurotunnel in Calais meist genannt wird. Er glaubt nicht mehr an eine Weiterreise, also hat er sich da ein Haus gebaut. Mit zwei Stockwerken, Schiebetüren und Fenstern. Dabei hatte der nicht einmal eine Säge. Bei ihm zu Hause habe ich oft fast vergessen, wo ich gerade bin. Wir haben zusammen gesessen, geredet und getrunken, denn irgendwann brauchst du Alkohol, um trotz des Erlebten abends noch einschlafen zu können. Und dann gehst du raus, trittst in Scheiße und siehst eine Frau aus einer Pfütze trinken, weil das für sie kostbares Wasser ist. Hörst von Frauen, die sich für drei Euro prostituieren. Oder bittest einen Mann, dir eine von den Himbeeren abzugeben, die er gepflückt hat. Und er versteckt sie sofort ängstlich. Dann erinnerst du dich wieder, wo du da gerade bist.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die LKW dorthin werden streng überprüft, unter anderem gibt es Atemluftkontrollen – so wird gemessen, ob sich atmende Menschen im Fahrzeug verstecken.

Das erste Mal bin ich diesen Sommer für acht Tage nach Calais gefahren, weil ich selbst im Jahr 2014 sehr viel Glück in meinem Leben hatte. Ich wollte anderen Menschen dafür etwas zurückgeben. Also habe ich angefangen, am LaGeSo (Anm. d. R.: Landesamt für Gesundheit und Soziales, Registrierungsstellen für Flüchtlinge in Berlin) und der Traglufthalle (Anm. d. R.: Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Moabit) ehrenamtlich als Arabisch-Dolmetscher zu arbeiten. Dort habe ich viele Menschen kennengelernt, deren Schicksale mich berührt haben. Und mir wurde von Calais erzählt. Da wurde mir klar: Ich muss dort hin und der Welt zeigen, dass da Menschen leben. Keine graue Masse. Mit 175 Euro in der Tasche bin ich aufgebrochen. Zurück kam ich ohne Koffer, Jacke und Schuhe. Ich hatte fast alles, was ich anfangs dabei hatte, verschenkt.

Die Bezeichnung ,Dschungel‘ für das Camp kommt daher, dass es dort ursprünglich nur Unterkünfte für Frauen und Kinder gab, die Männer mussten in einem Waldstück übernachten – dem Dschungel. Mittlerweile leben in dem ehemaligen Industriegebiet am Meer rund 6000 Menschen. Sie alle wollen übers Wasser oder durch den Eurotunnel weiter nach England, aber das ist schwer.    

Die LKW dorthin werden streng überprüft, unter anderem gibt es Atemluftkontrollen – so wird gemessen, ob sich atmende Menschen im Fahrzeug verstecken. Ich habe Geschichten über Flüchtlinge gehört, die in Tüten geatmet haben um nicht entdeckt zu werden, und dabei erstickt sind.    

Die andere Möglichkeit ist, auf den Zug aufzuspringen, der fährt vor dem Eurotunnel recht langsam. Viele fallen allerdings wieder runter, im Camp sieht man deshalb oft Menschen mit gebrochenen Beinen. Theoretisch gibt es noch einen dritten Weg: zu Fuß durch den Tunnel. Das führt allerdings oft zu Gewalt. Erst stürmen drei oder vier Menschen auf die Autobahn, irgendwann sind es Hunderte. Die Laster müssen stehenbleiben, es fängt an sich zu stauen. Die Polizei will die Leute vertreiben, fängt an, sie zu schlagen und Tränengas zu sprühen. Da ich unter den Flüchtlingen optisch nicht auffalle, war ich selbst einmal dabei. Ich habe dann auf Deutsch zu dem Polizisten ,Hör auf‘ gesagt, mein Französisch ist nicht sehr gut. Aber er hat nicht reagiert. Später haben die Leute aus dem Camp mich umarmt und gesagt: ,Danke, dass bei uns geblieben bist. Du bist wirklich cool!‘ Die Menschen hängen also im Dschungel fest. Deshalb ist es dort wie in einer richtigen Stadt. Es gibt Läden, einen Club mit Discokugel, ein Fitnessstudio. Nur, dass drum herum überall Zäune und Polizisten sind. Die Menschen haben sich je nach Herkunft unterteilt eigene Viertel geschaffen. Viele leben in Hütten aus Stangen und Planen. Wer neu ankommt, schläft erst mal in einem großen Zelt, in dem es so brutal stinkt, dass ich es dort kaum ausgehalten habe. Trotzdem gibt es dort viele Freiwillige von überall her, die sich um die medizinische Versorgung kümmern oder einfach beim Aufräumen helfen. Das hat mich beeindruckt. Was mich auch umgehauen hat, ist die Kirche im Dschungel. Sie haben auch eine Moschee gebaut, aber die Kirche hat einen richtigen Turm, Altar, eine Glocke und Weihwasser. Darin fällt all der Frust von draußen von dir ab. Ich habe dort mit einem Typen gesprochen, den alle ,den Pfarrer‘ nennen, und ihn gefragt, was ich ihnen mitbringen kann, wenn ich wiederkomme. Er hat gesagt ,Du kommst eh nicht wieder, das tut keiner.‘ Da war ich natürlich schon heiß darauf, ihm das Gegenteil zu beweisen. Dann hat er gesagt: ,Was wir wirklich bräuchten, wären Lautsprecher, damit die Menschen auch außerhalb der Kirche die Predigten und den Gesang hören können.‘ Zurück in Deutschland habe ich also meine Bekannten mobilisiert. Ein Unternehmer hat uns einen LKW gestellt. Andere haben Palettenware gespendet – Hunderte Flaschen Shampoo, Hygieneartikel, Schokolade. Eine Computerfirma und ein Politiker haben Rechner gestiftet, für die Schule in Calais. Und ich habe auch Lautsprecher aufgetrieben. Mit den Sachen sind wir dann im Herbst ein zweites Mal in den Dschungel gefahren und haben sie verteilt.

Ganz kleine Kinder denken ja noch, das sei ein sehr kaltes Zeltlager. Die werden erst Jahre später realisieren, was sie erlebt haben.  

Die Zeit in Calais hat mir vor Augen geführt, wie schwach ich bin. Ich habe dort einen zwölfjährigen Ägypter kennengelernt, der eine Demonstration im Camp anführte. Er hat Parolen gebrüllt, die anderen riefen ihm nach. Der war noch ein Kind, so alt wie mein Bruder. Alles in mir wollte ihn nur noch einpacken und nach Hause bringen. Als ich angefangen habe zu weinen, hat er nur mit seinem Ärmel die Tränen abgewischt. Im Gegensatz zu anderen Kindern wusste er, warum er da ist. Ganz kleine Kinder denken ja noch, das sei ein sehr kaltes Zeltlager. Die werden erst Jahre später realisieren, was sie erlebt haben. Nach der Begegnung mit dem Ägypter habe ich meinen Vater angerufen und mich dafür bedankt, dass sie mich noch im Mutterbauch vom Libanon nach Deutschland gebracht haben. Dass ich zur Schule gehen durfte. Dinge, die vorher selbstverständlich schienen. Im Dezember werde ich ein drittes Mal in den Dschungel fahren. Ich will noch einmal auf dem Friedhof beten, auf dem mittlerweile auch viele Flüchtlinge liegen, die auf der Überfahrt umgekommen sind. Manche konnten identifiziert werden, viele haben allerdings nur Nummern oder ein Holzkreuz. Bei dieser Reise wollen wir neben Hilfsgütern auch Musikinstrumente für die Menschen mitbringen und einen Pianisten, der gemeinsam mit den Flüchtlingen ein Konzert gibt. Denn eigentlich geht es mir ja darum zu zeigen, dass die Flüchtlinge dort Menschen sind. Und was steht mehr für Zivilisation als Kultur und Musik?“

 
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