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"Wir müssen diese Freundschaft auf ein größeres Publikum erweitern"

Fotos: privat

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Lucia Preiss aus Deutschland und Benjamin Kurc aus Frankreich haben nicht nur im jeweils anderen Land studiert, sie sind auch im Deutsch-Französischen Jugendwerk engagiert. Das DFJW ging aus dem Elysée-Vertrag aus dem Jahre 1963 hervor, seine Aufgabe ist es, die deutsch-französischen Beziehungen in der Zivilgesellschaft und hier insbesondere die Verbindungen junger Menschen zu fördern. Dafür werden jährlich viele verschiedene Projekte und Veranstaltungen im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft organisiert.

jetzt: Emmanuel Macron wird neuer Präsident Frankreichs. Wie habt ihr das Ergebnis aufgenommen?

Lucia: Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass das Ergebnis doch so eindeutig ist. Zwar hat Marine Le Pen im letzten TV-Duell sehr schlecht abgeschnitten, so dass ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, dass es für sie reicht. Aber dass es nun sogar 66 Prozent für Macron sind, habe ich so nicht erwartet und ist ein gutes Signal.

Benjamin: Erleichterung. Das ist das richtige Wort. Zwar wusste ich, dass Emmanuel Macron gewinnt. Aber man hat ja doch immer Albträume – es kann ja etwas schief gehen, so wie etwa bei Trump. Trotzdem hat Marine Le Pen noch immer einen großen Einfluss und ich mache mir daher Sorgen für die Parlamentswahlen in sechs Wochen.

Was bedeutet dieses Ergebnis konkret für die deutsch-französischen Beziehungen?

Lucia: Macron hat eine sehr positive Position zu Deutschland. Er war in diesem Jahr zwei Mal für öffentliche Auftritte in Berlin. Da hat er ausführlich davon gesprochen, wie wichtig die deutsch-französische Zusammenarbeit ist. Da geht Le Pen natürlich in eine ganz andere Richtung. Aber man darf nicht vergessen: Macron ist wirtschaftspolitisch sehr versiert. Er wird da die Interessen Frankreichs vertreten und versuchen, das Land aus der volkswirtschaftlichen Misere herauszuführen. Da wird er es Deutschland bestimmt auch hinsichtlich der Finanz- und Währungspolitik nicht ganz leicht machen.

Benjamin: Macron hat Europa zu seinem Flaggschiff gemacht und die deutsch-französische Freundschaft hervorgehoben. Er möchte diese Freundschaft als Motor für Europa nutzen. Trotzdem erwartet Macron auch, dass Merkel oder der nächste Bundeskanzler ihm dabei entgegenkommt.

benjamin

Benjamin, 29, kommt aus Frankreich und hat an der FU Berlin studiert und war bis 2015 Juniorbotschafter des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Außerdem ist er Geschäftsführer von „Vote&Vous“, dem französischen Wahl-O-Mat.

Foto: privat

Mal ganz allgemein gefragt: Was macht die deutsch-französischen Beziehungen denn überhaupt aus?

Lucia: Typisch ist für mich, dass die Beziehungen ein vorher nie dagewesenes Beispiel für Völkerverständigung sind. Es ist eine positive und konstruktive Zusammenarbeit, obwohl wir historisch so verfeindet waren. Das heißt aber nicht, dass es immer einfach ist. Aber als Nachbarn haben wir viele kulturelle, historische und politische Verbindungen.

Benjamin: Genau. Typisch ist für mich zum Beispiel das Deutsch-Französische Jugendwerk. Man schaut gemeinsam in die gleiche Zukunft. Man sieht, dass das Schicksal voneinander untrennbar ist. Auch im Vergleich zu den deutschen Beziehungen mit Holland oder Polen. Das sind zwar auch wichtige Partner, aber man hat einfach nicht ein solches Bewusstsein für den anderen Staat, wie man es zu Frankreich und den Franzosen hat.

"Sie haben überhaupt kein Bild von Deutschland. Und das ist ein Problem"

Trotzdem haben 35 Prozent der Franzosen Le Pen und damit eher rechtsextrem gewählt – haben diese ein feindliche Haltung zu Deutschland und Europa?

Benjamin: Nein, das ist keine feindliche Haltung. Klar sind diese Menschen kritischer, aber sie denken vor allem einfach an sich selbst. Sie haben Angst vor der Außenwelt und vor allem, was fremd scheint. Klar spielt auch Le Pen auf die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich an. Und sie kritisiert die deutsche Machtposition in Europa. Aber die 35 Prozent haben kein negatives Bild von Deutschland. Sie haben überhaupt kein Bild von Deutschland. Und das ist ein Problem.

Lucia: Das sehe ich auch als sehr problematisch an. Die deutsch-französische Freundschaft betrifft meist noch immer nur bestimmte Schichten. Die, die von Schüleraustauschen und dergleichen profitieren, sind die Bekehrten. Aber auf dem Land und in den sozial schwächeren Schichten haben die Leute zu wenig von der Generation Erasmus profitiert. Ich glaube daher, dass eben diese Leute mehr an dem Austausch teilhaben können müssen. 

Beim ersten Wahlgang haben über 20 Prozent der jungen Franzosen Le Pen gewählt. Dabei ist das doch genau diese Generation Erasmus. Sind die jungen Franzosen so europakritisch?

Benjamin: Es sind nicht nur die, die für Le Pen gestimmt haben. Viele haben auch den linken Kandidaten Mélenchon gewählt, der sich ebenfalls europaskeptisch geäußert hat. Das hängt aber, glaube ich, auch viel mit der Präsidentschaftswahl an sich zusammen. Da entscheidet man sich mehr für eine Persönlichkeit als für ein Programm. Die, mit den meisten Stimmen, sind wohl auch die, die am besten reden könne. Die, die für Le Pen gestimmt haben, sind trotzdem diejenigen, die von den Erfolgen der Globalisierung nicht profitieren – auch, wenn sie jung sind. Anders als die AfD in Deutschland ist der Front National keine bürgerliche Partei. Der Front National wird von der Arbeiterklasse gewählt, von bildungsfernen Leuten.

 

Lucia: Das ist ein stückweit auch eine Suche nach Identität. In der globalisierten Welt driften Identitäten auseinander. Man hat keine klaren Linien mehr, an denen man sich orientieren kann. Da sehnen sich manche Franzosen nach der alten Größe, die das Land hatte. Das begehrt man vor allem dann, wenn man selbst nicht so mit dem eigenen Leben zufrieden ist.

 

Stichwort wirtschaftliche Lage? Lucia: Wir dürfen nicht vergessen, dass Frankreich eine Jugendarbeitslosigkeit von 25 Prozent hat und sie in den letzten 30 Jahren nie unter 15 Prozent gesunken ist. Das kennen wir in Deutschland nicht.

 

Benjamin: Naja, aber in Spanien ist es doch auch anders. Da gibt es eine noch höhere Jugendarbeitslosigkeit und trotzdem wurde nicht Extrem gewählt. Dort wurden eher Bewegungen wie „Podemos“ gewählt.

 

Lucia: Sind das nicht auch Populisten?

Benjamin: Doch, das schon. Aber sie lassen sich nicht mit Le Pen vergleichen.

 

Ihr als Menschen, die sich im deutsch-französischen Jugendwerk engagieren – was sollten wir, die junge Generation, nach dieser Wahl tun, um unsere Beziehungen zueinander zu verbessern?

Benjamin: Wir müssen wieder mutiger sein. Allgemein für Europa, aber auch für die deutsch-französischen Beziehungen. Wir brauchen wieder eine Vision. Dazu gehört auch, dass wir die Zivilgesellschaften mitnehmen. Wir müssen diese Freundschaft auf ein größeres Publikum erweiterten. Auch die Mittelschicht muss davon profitieren.

Lucia: Ja, und wir müssen als Deutschland noch mehr auf Frankreich zugehen. In den letzten fünf bis zehn Jahren ging es immer mehr in Richtung Deutschland. Wenn wir aber ein gutes Verhältnis wollen, müssen wir da wieder einen fairen Ausgleich schaffen. Auch für Reformen in den EU-Institutionen ist es wichtig, dass wir Frankreich nicht übervorteilen. Die Beziehungen müssen wieder zu einer echten Freundschaft werden – einer Freundschaft, in der man nicht nur nimmt, sondern auch mal etwas gibt. 

 

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