Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Kann ich noch über Louis CKs Witze lachen?

Foto: Kevork Djansezian / Reuters

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ich habe Stand-Up-Comedy nie wirklich gemocht. Ich liebe es zwar, zu lachen. Aber Stand-Up, das stand für mich immer mehr für Freitagabend-Fremdschämen auf RTL als für Spaß. Gehört hatte ich natürlich schon von intelligentem und vor allem wirklich lustigem Stand-Up im fernen Amerika. Gelacht aber habe ich erst, als ich Louis CK gesehen habe.

Mit der Zeit wurde Louis CK zu einem geistigen Begleiter in meinem Leben. Zu einem Idol. Er beeinflusste meinen Humor, vielleicht sogar meine Sicht auf das Leben. Er wurde fast schon zu einer übermenschlichen Figur in unserem Freundeskreis. Zum permanenten Referenzpunkt: Wir zitierten seine Witze, bewunderten seine Pointiertheit. „Er ist unser Gott“, sagte ich einmal. Das war nur ein bisschen ironisch gemeint.

Vergangene Woche erfuhr ich, dass dieser Gott vor Frauen masturbiert hat, gegen ihren Willen. Ein Freund hatte mir einen Link zu dem Artikel aus der New York Times geschickt. Als ich auf meinem Handy die Überschrift überflog, dachte ich zuerst an einen Witz. An eine weitere provokante Aktion auf der Bühne. Beim Lesen des Artikels begriff ich langsam die Dimension. Ich war verwirrt. Ich schien ihn ja so gut gekannt zu haben, meinen Louis. Und jetzt war er plötzlich zu einem weiteren Prominenten geworden, der seine Macht und Berühmtheit dazu genutzt hat, Frauen in sexuelle Zwangslagen zu bringen. Und der Vorwürfe in diese Richtung, die verschiedene Frauen bereits seit Jahren immer  wieder erhoben, dementierte.

Was bedeutet das für mein Verhältnis zu meinem Helden? Kann er noch ein Held sein? Werde ich je wieder einen Witz von ihm zitieren können? Je wieder unbeschwert auflachen bei einem seiner Gags?

Louis’ Aufritte sind voll von Zoten und Geschmacklosigkeiten. Aber er ist dabei so viel besser und böser als die anderen Comedians, versieht seine Pointen oft mit doppeltem Boden. Dabei überschreitet er mit voller Absicht die Grenzen des Sagbaren. Vor allem beim Thema Sex, das omnipräsent ist in seinem Werk. In einer Anekdote aus seinem Programm „Oh my God“ erzählt er, wie er morgens, kurz nach dem Aufstehen, schlecht gelaunt im Aufzug steht: „And there's always a guy on the elevator who's nice. And I hate it. I get upset. I get cagey.“ So weit, so nachvollziehbar.

Doch dann kommt die Pointe: „I get this weird impulse that I want to come on his face. (...) Not sexually, I mean aggressively.“ Für mich war dieser plötzliche Schwenk ins Sexuelle vor allem eins: befreiend. CK übertrug Bilder aus der Pornowelt in alltägliche Situationen. Menschen lachen, wenn sie überrascht werden. Wenn ich Louis CKs Witze hörte, musste ich sehr laut lachen.

 

Fast-food fressendes Idol

 

Die Serie „Louie“ ist mindestens genauso intelligent und lustig wie sein Stand-Up. Sie machte mich endgültig zum Fan. Sie ist vielschichtiger, feinfühliger und subtiler. Hier geht es um die Schwächen der Hauptfigur: um Louie, einen geschiedenen, übergewichtigen Stand-Up-Comedian mit zwei Töchtern, gespielt von Louis CK, einem geschiedenen, übergewichtigen Komiker mit zwei Töchtern.

 

Louis CK macht sein Leben als Komiker zum Thema der Serie. Dabei inszeniert er sich als sympathischen Loser, der an den täglichen Herausforderungen scheitert, aber auch an ihnen wächst. Die Serie wirkt so reflektiert und so offen, dass man meint, dabei zuzuschauen, wie der Künstler Louis CK seine persönlichsten Schwächen offenlegt und reflektiert. Geschlechterrollen und Klischees werden mit fabelfhaftem und oft sehr derbem Witz durchleuchtet – besonders in den Folgen, in den die großartigen Comedians Sarah Silverman und Pam Adlon mitspielen.  „Louie“ schafft dabei oft magische Momente. Szenen, die meine eigenen Lebenserfahrungen und Gefühle pointiert widerspiegelten.

 

Die Serie begleitete mich durch mein Leben. Ich habe sie immer und immer wieder angeschaut. Zuerst alleine, dann mit Freunden. „Louie“ wurde zu meinem Schatz und ich liebte es, ihn mit anderen zu teilen. Fast allen, denen ich die Serie zeigte, erging es genauso. Vielleicht, weil wir uns in dem alltäglichen Scheitern der Hauptfigur wiedererkannten. In seinen Selbstzweifeln und Unsicherheiten. Und zugleich seinen selbstironischen und selbstbewussten Umgang mit diesen Schwächen bewunderten. Wegen dieser Haltung wurde Louis CK für mich zum Gott.

 

Verlorene Unschuld

 

Und jetzt? Jetzt ist endgültig klar, dass Louis CK nicht ganz so offen und ehrlich war. Weder in seinen Serien, noch in seinen Shows. Dass er eine große Schwäche in seiner Kunst verheimlicht hat. Natürlich verändert das meine Sicht auf seine Kunst. Gerade weil seine eigenen Schwächen und die Abgründe des Alltags das Hauptthema seiner Serie sind. Viele seiner Witze werde ich nun anders betrachten, vielleicht sein ganzes Werk. Es hat einen tragischen Beigeschmack bekommen. Louis CKs Kunst hat ihre Unschuld verloren.

 

Als ich mir den Sketch über den onanierenden Louis CK im Fahrstuhl jetzt nochmal angeschaut habe, hatte ich bei der Pointe ganz andere Assoziationen als beim ersten Mal. Denn als er beschreibt, wie er einem fremden Mann sein Sperma ins Gesicht spritzt, musste ich natürlich an die Vorfälle denken. Sex ist in diesem Witz ein Mittel, um Macht auszuüben. Der Penis wird dabei zur Waffe und das Sperma zum Geschoss. In Zukunft werde ich auch „Louie“ wahrscheinlich nicht mehr anschauen können, ohne an den onanierenden Louis CK denken zu müssen. Ich werde ihn nicht mehr dafür bewundern können, dass er seine Schwächen offen zur Schau stellt.

Vielleicht hätte ich das nie tun sollen: Der Charakter eines Menschen sollte nicht anhand seiner Kunst beurteilt werden. Und die Kunst eines Menschen nicht anhand seines Charakters. Diesen Fehler machen jetzt auch jene Kritiker, die Louis CKs Kunst als unmoralisch betiteln, als nicht mehr konsumierbar.

 

Ich selbst jedenfalls wurde durch den Skandal an etwas Wichtiges erinnert: Serien sind immer Fiktion. Nur weil sie vorgeben, autobiographisch zu sein, sind sie das noch lange nicht. Auch wenn man alle Folgen von „Louie“ in- und auswendig kennt, kennt man doch nur einen kleinen Aspekt aus dem Leben seines Verfassers: seine Kunst. Das ist gleichzeitig das Tolle an Kunst: Sie kann ein Eigenleben entwickeln und ihre Bedeutung verändern. Das ist jetzt auch mit Louis CKs Witzen passiert. In diesem Fall muss man sagen: leider. 

 

Weitere Texte:  

  • teilen
  • schließen