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Romantische Komödien ruinieren unsere Beziehungen

Foto: AlexAlex / Z2sam/ Photocase /picture alliance / AP Photo

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Erinnert ihr euch noch an die Kevin-James-Komödie „Der Zoowärter“? Der Film beginnt an einem paradiesischen Strand. James und seine Angebetete traben auf einem Pferd am Wasser entlang, als sie eine Flaschenpost im Sand entdecken. In der Flasche: James' Heiratsantrag. Im Film wird der abgelehnt – doch als meine Kommilitonin Bea, deren Namen ich für diese Geschichte geändert habe, die Szene im Kino sah, war klar: Genau so einen Antrag will sie auch mal bekommen. Sie zog sogar los und kaufte schon mal die passende Flasche für diese Gelegenheit. Die präsentierte sie zu gegebener Zeit ihrem neuen Freund Karsten, der ebenfalls anders heißt. Er war verständlicherweise nicht begeistert über die detaillierten Anweisungen, gab Bea aber letztlich, was sie wollte. Zu der geplanten Hochzeit kam es dennoch nicht. Wenige Wochen nach ihrer Verlobung trennten Karsten und Bea sich.

Natürlich ist nicht Kevin James verantwortlich für das Scheitern dieser Beziehung. Der Einfluss, den Filme und Serien auf unsere Beziehungen haben können, ist trotzdem nicht zu unterschätzen. In fast allen Genres hat in den vergangenen Jahren ein Wandel stattgefunden: Selbst in den fantastischsten Settings sind heute realistische Charaktere und glaubhafte Handlungen gefragt. Mangelnde Tiefe und Stereotype werden von Zuschauer*innen und Kritiker*innen gleichermaßen angekreidet.

Nur die Sitcom scheint von diesem Trend zur großen Teilen ausgenommen zu sein. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber viele moderne Sitcoms erzählen gefühlt noch immer die selben Geschichten wie vor 20 Jahren. Stil und Humor ändern sich, die Themen aber bleiben gleich. Im Fokus stehen traditionelle Paarbeziehungen mit einer klaren, meist konventionellen Rollenverteilung. So werden werden Tag für Tag Beziehungs- und Rollen-Klischees in unsere Wohnzimmer projiziert.

Die Probleme fangen schon bei der Partnerwahl an. Unsere Lieblingsserien haben nämlich ein genaues Bild davon, wer zusammenpasst und warum. Um das Prinzip zu verstehen genügt es, sich Sitcom-Männer wie Homer Simpson, den „King of Queens“-Doug oder auch Leonard aus „The Big Bang Theory“ genauer anzusehen: Homer und Doug sind übergewichtig, faul und nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. Homer wurde im Verlauf der Serie sogar immer dümmer und egoistischer dargestellt. Mittlerweile laufen die „Simpsons“ in der 29. Staffel, und selbst den größten Fans ist unklar, warum Ehefrau Marge bei Homer bleibt.

Leonard aus „The Big Bang Theory“ ist weder faul, noch dumm, aber er ist ein Nerd, und das ist in den Augen der Autoren offenbar mindestens genauso unattraktiv. Auch nach mehr als zehn Jahren wird die Serie nicht müde zu betonen, Leonard spiele nicht „in derselben Liga “ wie sein bildhübscher Schwarm Penny – und das, obwohl die beiden Charaktere inzwischen sogar verheiratet sind. Er hätte sie „kleingekriegt“, erklärt Penny in einer Folge kurz nach der Eheschließung.

Alle drei Männer werden dem Zuschauer also von Anfang an als minderwertig präsentiert. Was sie rettet, ist ihr gutes Herz – und die Bereitschaft, für Partnerinnen zu sorgen, deren Hauptaufgabe in der Serie darin besteht, gut auszusehen.

Diese Denke ist auch im Alltag fest verankert. Was denken wir als erstes, wenn wir eine schöne Frau an der Seite eines eher unattraktiven Mannes sehen? Ich habe diese Frage mal im Freundeskreis gestellt. Die einstimmige Antwort nach einem kurzen Moment peinlicher Stille: „Der Typ muss ordentlich Kohle haben.“

Die meisten Sitcom-Probleme könnten durch ein Gespräch gelöst werden

Sind die Rollen umgekehrt verteilt, kann das ziemliche Verwirrung stiften. Erst kürzlich sah ich in der Straßenbahn eine kleine untersetzte Frau, die Zärtlichkeiten mit einem hochgewachsenen Channing-Tatum-Double austauschte. Die beiden hatten nur Augen füreinander, so dass sie die ungläubigen Blicke der anderen Fahrgäste wohl nicht bemerkten. Für mich waren sie aber unübersehbar. Nachdem das ungleiche Paar ausgestiegen war, ging in verschiedenen Kleingruppen auch prompt die Diskussion darüber los, wie „so eine“ denn „dieses Prachtstück“ rumgekriegt hätte – Dialoge wie aus einer Sitcom mitten im Berliner Nahverkehr.

Für Streit und Missverständnisse ist in unseren Lieblingsserien in aller Regel der Mann verantwortlich. Ob der nun Homer, Doug oder Leonard heißt, ist völlig egal – am Ende ist es an ihm, seine Fehler einzusehen und sich zu entschuldigen. Eine ernsthafte Verfehlung braucht es dazu nicht. Um etwa eine Sitcom-Folge zu füllen, genügt es schon, wenn der Mann nicht alle Erwartungen seiner Partnerin bis ins kleinste Detail versteht oder erfüllt. Natürlich könnten die meisten dieser Probleme durch ein offenes Gespräch ohne weiteres aus der Welt geschafft werden. Aber beide verhalten sich plötzlich wie Kleinkinder: Sie reden über- aber nicht miteinander, steigern sich immer weiter in die eigenen Ansichten hinein und erwarten gleichzeitig, dass der andere sie instinktiv versteht. Der legendäre Filmkritiker Roger Ebert nannte das einmal den „Idiot Plot“ – eine Handlung, die nur funktioniert, weil alle Charaktere plötzlich wie komplette Idioten agieren.

In Film und Fernsehen hat diese Art von Geschichte unbestritten ihren Platz. In der realen Welt hat sie aber nichts zu suchen. Sätze wie, „Ich will es ihm nicht sagen; ich will, dass er selbst drauf kommt“ oder „Wenn er mich wirklich lieben würde, würde er das auch wollen“ klingen wie aus einem Drehbuch. Oft genug habe ich sie aber schon von echten Menschen gehört.

Man könnte über solche Situationen genau so lachen wie über die stereotypen Witze in Filmen und Serien, wenn sich nicht immer mehr Menschen diese unrealistischen Rollenbilder zum Vorbild nähmen. Wo Männer meinen, für alles die Verantwortung zu tragen, und Frauen befürchten, für den Partner weniger liebenswert zu werden, je höher die Zahl auf der Waage ist, können fiktive Beziehungsgeschichten realen Schaden anrichten.  

Das Gegenmittel könnten progressive, authentische Liebesgeschichten sein. Die Judd-Apatow-Serie „Love“ etwa porträtiert die langsam aufkeimende Beziehung zwischen zwei sehr komplexen Individuen mit allen Höhen und Tiefen ebenso unaufgeregt, wie authentisch – und ist dabei trotzdem komisch. Filme wie „(500) Days of Summer“, „Beim ersten Mal“ oder „Drinking Buddies“ gelten schon lange als Geheimtipps, weil es ihnen gelingt, Romantiker*innen zu bedienen, dabei aber auf Stereotype genauso verzichten wie auf billige Happy Ends. Filme und Serien, die das nicht schaffen, müssen deswegen nicht aus der persönlichen Watchlist verbannt werden – als Beziehungsratgeber sollten sie allerdings auch nicht herangezogen werden. 

Hinweis: Dieser Text wurde am 20. November 2017 zum ersten Mal veröffentlicht und noch einmal aktualisiert.

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