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So kommst du trotz Schlafmangel durch den Tag

Foto: Tonny Tran / Unsplash

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Man sitzt im Büro oder in der Uni-Bibliothek, coronabedingt vieleicht auch im Home-Office, starrt weggetreten vor sich hin und driftet gedanklich ins Nirwana. Dafür muss die Nacht nicht einmal alkoholgetränkt gewesen sein. Für Vielschläfer wie mich reicht es zur Dauermüdigkeit am nächsten Tag schon, dass sie nicht früh genug ins Bett gekommen sind und ohne ihre lebenswichtigen acht Stunden Schlaf durchhalten müssen. Fit für die Arbeit oder die Uni zu sein, scheint dann fast unmöglich. Ohne es zu wissen, habe ich an solchen Hundstagen aber bisher auch so ziemlich alles falsch gemacht – zumindest wenn es nach Schlafexpert*innen geht. 

Falle 1: Der Wecker mit Snooze-Funktion

Oft fängt das Ringen mit mir selbst schon beim Aufwachen an: Noch fünf Minuten! Und schon ist der Handywecker auf Schlummern gestellt. Es gibt wohl nichts, was mir mehr inneren Frieden verschafft, als mir noch fünf Minuten mehr im Bett zu ergaunern. Bloß dass es nie bei diesen fünf bleibt und ich regelmäßig zähneputzend unter der Dusche stehe, weil das Schlummern wieder einmal ausgeartet ist.

Die Lösung

„Oh mein Gott. Keine Schlummerfunktion. Damit tut ihr euch nur selbst weh“, sagte schon Orfeu Buxton, Professor in der Abteilung für Schlafmedizin in Harvard gegenüber dem New York Magazine. „Die Schlummerfunktion verursacht Stress“, erklärt mir außerdem der Schlafexperte Jürgen Zulley. „In der Früh ist man sowieso nicht mehr im wirklich erholsamen Schlaf. Und dieses Wecken und kurz wieder Einnicken ist ja eigentlich ein Dösen - dann wieder Wecken. Dazu braucht man schon einen gewissen Masochismus.“ Professor Buxton rät, sich den Wecker zum spätmöglichsten Zeitpunkt zu stellen, damit man dann auch wirklich sofort aufstehen muss. Ob das bei hartnäckigen Schlummerern wie mir wirklich funktioniert? „Ich würde das nicht machen“, beruhigt mich Zulley, „weil man dann ja erst recht wieder Stress und hinterher keine Zeit mehr hat.“ Am besten wäre es, sich beim Wecker einen Zeitpuffer zuzugestehen, ohne gleich wieder einzuschlafen. Mit einem Musikwecker, der einem AC/DC ins Ohr schreien lässt, könnte man sich zum Beispiel gut wach halten, bis man bereit ist, aufzustehen.

Falle 2: Das falsche Essen

Egal ob mit oder ohne Schlummerfunktion: Was ich wirklich nie hinbekomme, ist ein halbwegs normales Frühstück. Meistens lasse ich mir am Weg zur Bahn vom Bäcker die fertig belegten Semmeln zuwerfen wie eine Marathonläuferin die Wasserflaschen. Und in der Mittagspause belohne ich mich mit einem fettigen Stück Pizza, weil ich bislang noch nicht vor Müdigkeit vom Stuhl geplumpst bin.

Die Lösung

Sowohl beim Frühstück als auch beim Mittagessen raten Experten wie Professor Buxton oder Neurologe und Schlafmediziner Dietrich Hasse an Schlafmangel-Tagen dazu, auf Kohlenhydrate und schweres Essen zu verzichten: „Wenn man Kohlenhydrate isst, kann man die Uhr danach stellen, wann der Insulin-Peak kommt, um den Zucker zu verarbeiten“, sagt Hasse. „Und danach setzt die Müdigkeit ein. Bei einem guten Frühstück sind sowieso auch Aufputschmittel wie Kaffee oder Tee dabei, die künstlich die Müdigkeit ausgleichen.“

Falle 3: Die Unmengen an Kaffee

Also Kaffee! Endlich einmal etwas, das ich in Sachen Müdigkeitsbekämpfung richtig mache. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die Kaffee-Sintflut, die ich täglich in mich hineinschütte, wirklich gesund ist: Wenn die erste Tasse mich nicht aufputscht, dann hole ich mir sicherheitshalber gleich die zweite. Und wenn die nicht hilft, dann fülle ich mir eben gleich eine ganze Thermoskanne ab. 

Die Lösung

Bei wem der Kaffee wie stark und wie schnell wirkt, hängt natürlich davon ab, ob der Trinker oder die Trinkerin ein Kaffee-Neuling oder ein Koffein-Junkie ist. „Das ist individuell sehr unterschiedlich“, sagt Zulley. „Wichtig ist: Bis der Kaffee wirkt, dauert es 20 bis 30 Minuten.“ Die Ungeduldigen, die dann vorsichtshalber zum zweiten Mal zur Kaffee-Kanne greifen, riskieren einen Koffein-Overkill: „Es gibt auch ein Zuviel an Kaffee, das hat dann natürlich Nebenwirkungen: Unruhe, Gereiztheit, nervöses Zittern.“ Laut der US-amerikanischen Mayo Clinic sollte die Menge an Koffein, die man sich pro Tag einflößt, nicht mehr als 400 Milligramm überschreiten. Das entspricht etwa vier Tassen Kaffee, die man am besten über den Tag verteilt. 

Falle 4: Die aufgeschobenen Aufgaben

Ähnlich wie beim Wecker ergaunere ich mir an Müdigkeitstagen immer wieder eine Galgenfrist, bevor ich mich an die kniffligen Aufgaben mache: Zwar nehme ich mir fest vor, das Skript für die Klausur durchzupauken oder die unangenehme Mail an meine Chefin zu schreiben. Aber dann ist es schon fünf nach halb neun – da kann ich gleich um neun anfangen. Oh, schon zehn nach neun? Dann starte ich eben erst um halb zehn richtig durch. Und so weiter.

Die Lösung

Viele Expert*innen raten dazu, die anstrengenden Tätigkeiten direkt am Anfang des Arbeitstages zu erledigen, weil man im Laufe des Tages sicher nicht wacher werde. Besonders für junge Leute muss das laut Zulley aber nicht unbedingt stimmen: „Gerade Jüngere sind eher Abendtypen, die morgens noch nicht so fit sind. Den Höhepunkt der Leistungsfähigkeit haben die meisten zwischen 10 und 11 Uhr vormittags. Nachmittags um ungefähr 16 Uhr kommt dann auch noch einmal ein kurzes Hoch.“ Ob man eher morgens oder vormittags effektiver arbeitet, müsste jeder und jede also für sich selbst herausfinden können. Eins scheint aber relativ allgemeingültig: Zwischen 13 und 15 Uhr kommt meist das bekannte Mittagstief. Der thematische Dauerbrenner nach dem Essen „Ich könnte jetzt sofort ein Nickerchen machen“ – ist also keine bloße Smalltalk-Floskel, sondern tatsächlich physiologisch erwiesen.

Falle 5: Der falsche Powernap

Das Powernapping, auf das alle schwören, ist auch wieder etwas, das ich offenbar ganz falsch angehe. Denn obwohl ich mir immer wieder einrede, vor dem Uni-Büffeln oder nach der Arbeit nur einen kurzen Powernap einzulegen, wache ich nach zwei Stunden auf und muss erst einmal herausfinden, wo ich überhaupt bin. An Turbo-Pauken natürlich nicht mehr zu denken – meistens reicht die Konzentration nicht einmal mehr für das Alibi-Highlighten beliebiger Passagen in meinem Skript.

Die Lösung

„Wenn ich zum Beispiel in mein Mittagstief einen Kurzschlaf von zehn bis 15 Minuten packe, dann habe ich einen Rieseneffekt. Damit puffere ich viel Müdigkeit weg und kann danach wieder erfrischt weiterarbeiten“, sagt Hasse. Wenn man aber zu lange schläft, gleitet man in die Tiefschlafphase ab: „Dann spürt man diese Schlaftrunkenheit“, sagt Zulley. „Das sind dann diejenigen, die sagen: Wenn ich mich tagsüber hinlege, kann ich den Rest des Tages vergessen. Dabei haben sie einfach zu lange geschlafen.“ Für alle, die am Arbeitsplatz oder auf der Uni nicht spontan ein Nickerchen halten können, gibt es Alternativen: „Man muss nicht einmal unbedingt richtig schlafen – es geht einfach darum, sich eine Auszeit zu nehmen: Man kann auch meditieren, ruhige Musik hören oder an die frische Luft gehen.“

Falle 6: Das lange Sitzen

Wenn ich dann endlich meinen inneren Dauerschnarcher aufgeweckt habe, geht’s zur Sache: Stundenlang sitze ich über Lehrbücher gebeugt oder auf den Bildschirm starrend da und fühle mich endlich produktiv. Und wenn die Energie-Welle schon mal da ist, dann reite ich sie natürlich auch, bis ich auf dem Surfbrett einschlafe. Und das passiert garantiert, denn trotz Energiedrinks und Kaffee bin ich nach stundenlangem Power-Sitzen zu gar nichts mehr zu gebrauchen.

Die Lösung

Mit dem Stuhl Verschmolzene wie ich werden es zwar nicht gerne hören, aber das beste Mittel gegen die Müdigkeit ist Bewegung: „Wenn man merkt, dass die Konzentration nachlässt, sollte man aufstehen. Man kann zum Beispiel wunderbar im Stehen telefonieren“, findet Zulley. „Das hat auch den Nebeneffekt, dass man wesentlich wacher und konzentrierter rüberkommt, weil man in dem Moment körperlich aktiv ist. Und ist der Kreislauf dadurch einmal angekurbelt, bleibt man dann auch wacher.“ Und dann gibt mir Zulley noch einen Tipp, auf den sogar Piloten vertrauen: „Kaugummi kauen. Das hält wach und ist eine Anregung. Piloten haben ja auch manchmal Probleme mit der Müdigkeit, können aber nicht unbedingt herumlaufen.“ Wer wie ich nach diesem Vergleich immer noch kein schlechtes Gewissen wegen seiner Faulheit hat, der kann also auf die minimale und angenehmste Bewegungsstufe setzen: Kaubewegungen. Immerhin sind das auch Bewegungen – zwar nur mit dem Gesicht, aber auch sie regen den Kreislauf an.

Der beste Trick: Die richtige Motivation

Dennoch sollte man bei all dem nicht vergessen, dass Müdigkeit nicht immer in direktem Zusammenhang mit Schlafmangel steht: Die Ursache dafür, dass einem den ganzen Tag lang das Sandmännchen ins Genick atmet, ist oft auch ein Mangel an Motivation: „Wenn man ein Projekt gerne macht oder es zu Ende bringen will, dann bekommt man viel mehr zustande“, sagt Zulley. Unsere Müdigkeit zeigt uns also oft auch an, dass wir im Moment nicht unbedingt glücklich sind. Idealerweise sucht man sich jeden Tag mindestens eine motivierende Sache, für die es sich lohnt aufzustehen. Klappt das so nicht, sollte man wohl ohnehin so einiges ändern.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 4.10.2017 veröffentlicht und am 29.7.2020 noch einmal aktualisiert. 

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