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Wie geht Trost spenden?

outofblue / photocase.de

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Man könnte meinen, dass man es nicht lernen muss, für jemanden da zu sein, der Hilfe braucht. Wofür hat man Empathie, Menschenverstand, Lebenserfahrung? Und dann verliert ein Freund jemandem bei einem Autounfall, eine Verwandte wird plötzlich von ihrem Mann verlassen, ein Arbeitskollege wird schwer krank und man weiß doch nicht, was man jetzt am besten sagen und wie man sich verhalten soll. Gibt es eine Geheimwaffe gegen seelisches Leiden, oder zumindest eine Art universales Erste-Hilfe-Notfallpflaster? Mal anrufen bei einem Notfallseelsorger und einer Beraterin vom Sorgentelefon. Die müssen es doch wissen.

Hanjo von Wietersheim, 59 Jahre alt, war in seinem Leben schon Polizist, Rettungsassistent und Feuerwehrmann. Seit sechs Jahren ist er evangelischer Pfarrer der Gemeinde Iphofen, arbeitet seit vielen Jahren als Notfallseelsorger und bildet selbst Kollegen aus.

Er sagt: Die Vorstellung, dass man als Seelsorger Trost spende, sei schon einmal falsch. Was geschehen ist, kann niemand ungeschehen machen. Den Schmerz kann niemand wegwischen, weder ein professioneller Seelsorger noch ein guter Freund. Wem etwas Schlimmes zustößt, der braucht vor allem Zeit. Er muss realisieren, was geschehen ist und dann für sich selbst herausfinden, was ihm persönlich Trost spendet. Als Seelsorger oder nahestehende Person, die helfen will, ist man nur derjenige, der diesen Prozess stabilisierend begleitet.

Wenn von Wietersheim nach einem Verkehrsunfall gemeinsam mit der Polizei zu einer Familie fährt, um die Todesnachricht zu überbringen, bleibt die Polizei etwa 30 Minuten. Von Wietersheim bleibt länger, oft mit einem Kollegen. Im Schnitt um die drei Stunden, auf jeden Fall so lange, bis die Betroffenen sich einigermaßen gefasst und realisiert haben, was passiert ist. Bis vielleicht andere Angehörige eingetroffen sind. Bis vorerst keine Fragen mehr da sind und die Betroffenen von sich aus sagen: Jetzt kommen wir allein klar.

Aber wie verhält man sich konkret, was sagt man? Man muss nicht viel sagen, erzählt von Wietersheim. Die Menschen seien ohnehin zu verschieden, als dass es so etwas wie „die richtigen Worte“ geben könne. Man ist da, hört zu und reagiert auf die Bedürfnisse der Menschen. Bei einem plötzlich eintretenden Unglück ist das größte Bedürfnis meist vor allem: Information. Die Betroffenen können nicht glauben, was geschehen ist. Sie sagen immer wieder: „Das kann nicht sein. Wir haben doch vorhin noch telefoniert. Ich weiß doch, wo er/sie hinwollte.“ Sie wollen immer wieder hören, was genau passiert ist. Ob es wirklich stimmt. Wie es passieren konnte.

Statt von sich selbst zu erzählen, sollte man den Betroffenen zuhören

Oft bieten sie erstmal Tee oder Kaffee an. Eine Art Übersprungshandlung: Sie fallen in die gewohnte Gastgeberrolle. Tun etwas, das sich für sie nach Normalität anfühlt. Als Seelsorger oder guter Freund nimmt man das am besten an und versucht, mit diesem Verhalten mitzugehen. Man drängt niemandem eine bestimmte Verhaltensweise oder ein Gespräch auf, man gibt keine Lebensweisheiten von sich. Man beantwortet jede Frage, die auftaucht. Egal, wie oft sie sich wiederholt. Wenn das Bedürfnis da ist, geht man mit den Betroffenen durch, was jetzt die nächsten Schritte sein könnten. Manchmal geht es da um organisatorische Dinge, manchmal um die Frage, wen man jetzt um Hilfe bitten könnte bei den ganz praktischen Angelegenheiten des Alltags.

Ganz genau lässt sich sagen, welches Verhalten in der psychosozialen Notfallversorgung kontraproduktiv ist. Eine große Gefahr ist etwa, in guter Absicht zu viel von sich selbst zu erzählen, sagt von Wietershaus. Für viele Menschen ist es ungewohnt, nur zuzuhören. Sie glauben, sie müssten sofort intellektuell Lösungen anbieten, Geschichten erzählen, die sie selbst erlebt haben, die Freunde erlebt haben: der Schulfreund, der früh seinen Vater verloren hat und auch darüber hinweggekommen ist, die Cousine, die sich nach einer Trennung doch wieder neu verliebt hat, man selbst, die, schließlich auch schon mal … und so weiter. Das mag einen selbst beruhigen, einem Betroffenen hilft das nicht. Was er oder sie braucht, ist Zuwendung. Wenn jemand anfängt, von sich selbst zu erzählen oder von anderen Leuten, ist das ein Abwenden von der Situation des Betroffenen.

Beate Friese vom Kinder- und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer e.V.“ hat vor allem Erfahrung im Umgang mit Sorgen junger Menschen. Dort rufen Heranwachsende anonym an, die Arbeit als Telefonberater ist eine ehrenamtliche Aufgabe. Viele Berater sind Psychologie- oder Theologiestudenten oder Sozialarbeiter. Aber auch Hausfrauen oder Hausmänner haben die Ausbildung absolviert und arbeiten nebenberuflich an den Telefonen.

 

Als Telefonberater ist alles, was man hat, die Stimme am anderen Ende der Leitung. Einerseits eine spezielle Situation, andererseits eine Situation, in der man selbst als „Laie“ auch oft steckt, wenn einen jemand mit schlechten Nachrichten anruft und man weder Gestik noch Mimik zur Verfügung hat, um Mitgefühl zu vermitteln, keine Umarmung geben kann, sondern nur Worte zur Verfügung hat. Aber: Eine Stimme hat viele Nuancen. Man lernt mit der Zeit, sie einzuordnen und zu interpretieren und auch, sie selbst einfühlsam einzusetzen, erzählt Friese. Spricht jemand träge oder aufgeregt, laut oder leise, macht er viele Pausen, ist da schweres Atmen, Seufzen, welche Hintergrundgeräusche gibt es? Dass die Körpersprache wegfällt oder andere Informationen zum Hintergrund der Person, ist eigentlich sogar hilfreich, sagt Friese: „Man kennt das ja auch von anderen Sachen: Oft sieht man Dinge klarer, wenn man sich nur auf einen Ausschnitt fokussiert.“

 

Was macht nun einen guten Berater oder eine gute Beraterin beim Beratungstelefon aus? „Die Fähigkeit, gut zuzuhören. Das klingt furchtbar simpel, ist aber schon eine große Leistung, die man sich im Alltag auch öfter mal vornehmen sollte. Oft vertröstet man Menschen, die sich bei einem melden, auf später. Weil man zu tun hat. Im Stress ist. Manchmal merkt man dabei nicht, dass jemand nicht nur anruft, um sich mal wieder zu melden, sondern weil er etwas auf dem Herzen hat.“

 

Spiegelnde Sätze sind hilfreicher als Lösungsvorschläge

 

Und wie geht man dann bestmöglich auf jemanden ein? „Wichtig ist immer ein lockerer Einstieg: Erzähl doch mal. Oder: Schön, dass wir endlich mal wieder Zeit zum Reden haben! Der andere muss entscheiden können: Fange ich jetzt wirklich an zu erzählen oder will ich doch (noch) nicht?“ 

 

Oft rufen beim Beratungstelefon Menschen an, die gar nicht genau wissen, was ihr Problem ist. Gerade in der Pubertät komme das häufig vor. Man kennt es selbst aber auch in den Mitt- und Endzwanzigern noch von Gesprächen mit Freunden oder sogar von sich selbst. Jemand ist unzufrieden, ohne genau zu wissen, warum. „Oft zeigt dann irgendetwas Veränderung an, aber die Person versteht aus sich heraus nicht, woher es kommt.“, sagt Friese. Fragen wie: „Ist irgendetwas anders als früher? Was erlebst Du jetzt anders?“ können helfen, das eigentliche Problem ans Licht zu bringen. Auch Spiegeln ist eine gute Taktik. Sagen: „Ja, stell ich mir auch echt blöd vor, wenn du dich in dieser oder jener Situation plötzlich nicht mehr wohl fühlst…“ Und dann kommt etwas in Gang. Dann kommt eine Person ins Erzählen. 

 

Viele fürchten, den anderen runterzuziehen mit solchen spiegelnden Sätzen wie „Ja, das muss wirklich schrecklich sein“. Aber im Gegenteil: Die meisten Leute fühlen sich verstanden und ernstgenommen, wenn jemand eingesteht, dass ihn das Geschehene genauso ratlos macht und er die Gefühle der betroffenen Person nachvollziehen kann. Vielmehr noch als Lösungsvorschläge suchen Menschen Verständnis.

 

Allerdings sollte man sie dann trotzdem immer mit einer hoffnungsvollen Perspektive zurücklassen, rät Friese. Sätze wie: „Du, mir fällt im Moment auch nichts ein, aber ich bin sicher, es wird einen Weg geben“ seien wichtig. „Man sagt ja schnell mal: Naja, da musst du jetzt durch, hilft nix.“ Das sei zu schroff für jemanden, der tief in der Verzweiflung steckt. Es ist wichtig zu vermitteln, dass es Hilfe gibt, auch wenn der Betroffene sie im Moment vielleicht noch nicht sehen oder annehmen kann.

 

Man sollte sich überlegen, ob man dem Problem des Anderen gewachsen ist

 

Allerdings, warnt Friese, muss man nicht nur auf den Hilfesuchenden, sondern auch auf sich selbst achten: Wenn sich Freunde oder Bekannte mit einem Problem an einen wenden und man gerade einfach nicht die Kraft, Zeit oder Lust hat, sich damit auseinanderzusetzen, sollte man niemals ein offenes Ohr vorheucheln, warnt Friese. Wichtig ist auch die Frage, wem ich überhaupt so nahe kommen will und wem eher nicht? Um ein guter Zuhörer zu werden, muss man zuallererst lernen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Alles andere ist für diejenige Person, die Hilfe sucht, schwer auszuhalten und man selbst verschafft sich dadurch auch kein sinnstiftendes Erlebnis.

 

Als guter Zuhörer und Ratgeber sollte man sich nicht zu überfordern. Wenn man merkt, dass man dem berichteten Problem nicht gewachsen ist, sollte man den oder die Betroffenen auf professionelle Hilfe hinweisen und sich zuliebe der eigenen psychischen Gesundheit in Sicherheit bringen.

 

In der Ausbildung zum professionellen Telefonberater, erzählt Friese, lernt man vor allem, der Person am anderen Ende der Leitung keine Meinungen oder Lösungsvorschläge überzustülpen. Auch davon kann man sich als guter Freund etwas abschauen. Man sollte einen anderen Menschen nie bevormunden oder ihn zu etwas drängen. Sätze wie „Du solltest…“ oder „Du musst…“ oder „Ich würde ja jetzt wirklich mal…“ sind absolut kontraproduktiv. Jeder Mensch ist anders. Man sollte sich lieber gemeinsam mit dem Hilfesuchenden an eine wirklich für ihn passende Lösung herantasten. Zum Beispiel, indem man mögliche Szenarien durchspielt und die Person nach und nach herausfinden lässt, was sich für sie selbst am besten anfühlen würde. 

 

Im Grunde ist es also vielleicht doch ganz einfach: Am meisten hilft man jemandem, wenn man einfach nur für ihn da ist. An seiner Seite weilt. So, wie man es viel zu oft gedankenlos dahinsagt ohne sich klar zu machen, was es eigentlich bedeutet.

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