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Was mir das Herz bricht: Dating-Scham

Illustration: Katharina Bitzl

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Letzte Woche war ich bei einem Festival für Junge Literatur in Weimar zu Gast. Es war sehr schön. Es gab eine Licht-Wanduhren-Installation, eine versteckte Leseecke für Leute, die nachts in Ruhe ein bisschen Shakespeare lesen wollten, und einen Eisverkäufer mit schwarzer Fliege. Außerdem: Lesungen, Konzerte, im Anschluss Party. Wie auf den meisten Literaturveranstaltungen mit jungem Publikum, waren auffallend viele schöne Mädchen auf diesem Festival. Und fast alle sahen klug aus!

Ganz besonders fiel mir ein zierliches braunhaariges Mädchen auf. Aber gar nicht, weil sie besonders schön war (war sie) und ihr weißes Sommerkleid in der Sonne blitzte (tat es) und hübsch umherschwang, wenn sie ging (tat es auch), sondern wegen ihrer Begleitung: Er war genauso klein wie sie und ansonsten von allem das Gegenteil, eine ins Negative gekehrte Spiegelung: Ihre Haut blühte, seine war fahl. Ihr Haar glänzte, seins war stumpf. Sie bewegte sich anmutig, er watschelte. Sie eine Lavendelblüte, er ein Wurzelsellerie. Ja gut, warum nicht, vielleicht kann er was, was man nicht sieht. Vielleicht strahlte er nur an diesem Tag den Charme einer überfahrenen Ratte am Straßenrand aus. Vielleicht ist er schlicht und einfach der krasseste Typ auf Erden und dieses wunderschöne Mädchen liegt ihm zu Füßen, obwohl er kurze Hosen und dazu ausgeleierte graue Wollsocken trägt. Und aus was für edleren Stoffen müsste dann ihre Zuneigung füreinander gewebt sein, mit welcher Grandezza könnten sie auf Vorurteile von unbedarften Betrachtern wie mir herabblicken, ach, wäre das toll!

So saß ich da, schaute die beiden an und hoffte und hoffte vergeblich. Denn es war so offensichtlich wie traurig, dass sich das Mädchen für ihr Date schämte. Mit bangem Blick schien sie ständig nach Leuten zu suchen, die sie kennt, aber in Begleitung des Wurzelselleries lieber nicht treffen wollte. Wenn sie die Clubräume nicht abscannte, wirkte sie auf sich selbst fixiert, als blickte sie nach innen, auf eine große Beklommenheit, die in ihrer Brust unschön anschwoll und sich anfühlen musste wie ein schmuddeliger feuchtwarmer Spüllappen, den man ihr ums Herz geschlagen hatte. Sie sprachen kaum miteinander.

Dann gingen sie an die Bar. Sie ging voraus, er watschelte hinterher, ein bipolares Tandem. Und was hatte sie in der Hand, als sie wiederkam? Limo! Sie trank verdammte Limo! Und er auch! Eine Getränkewahl als Absage an die letzte Hoffnung des Wurzelselleries: Sie würden heute, in dieser ersten lauen Sommernacht des Jahres, nicht betrunken zusammen abstürzen und passieren lassen, was passiert, und nie wieder darüber reden. Diese Nacht würde nicht zum großen und stillen Triumph für den Wurzelsellerie werden und er würde nicht in vielen, vielen Jahren noch wissen wie ihr Haar roch und wie weich ihre Haut war, denn sie tranken Limo. Das alles brach mein Herz.

Ich dachte an die unerwiderten Schwärmereien meiner frühen Jugend, an die Enttäuschung nach kurzen Hoffnungsschimmern, an die Zurückweisungen und an den Schmerz, die Wut, die Verzweiflung und die Angst, niemals geliebt zu werden. Und ich dachte an all die tausend und millionen unerwiderten Lieben auf der Welt und die vielen schmalzigen Popsongs, die wir ihnen zu verdanken haben, die hunderten Dichterwerdungen, die sich so vollzogen. Und ich wurde wütend auf all die Jungs und Mädchen, Männer und Frauen, die mit Dates auf Veranstaltungen gehen und sich für sie schämen, weil sie zu feige sind, abzusagen oder, noch schlimmer, heimlich das Begehren des anderen genießen und Hoffnungen schüren, wo es keine Hoffnungen gibt, wo es nur Enttäuschung und Tränen und Selbsthass gibt.

Jungs und Mädchen, ihr Wurzelselleries dieser Welt, wollte ich rufen, scheißt auf die Lavendelblüten, männliche wie weibliche! Wenn sie alt werden und trocken, steckt man sie in kleine Säcke und dann stinken sie und halten die Motten fern, mehr aber auch nicht! Aber natürlich rief ich nichts, sondern ging an die Bar und kaufte mir eine Limo.                  

Da bricht einem auch das Herz:

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