Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Da ist viel Beklopptes dabei“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Bildblog-Betreiber Lukas Heinser und Stefan Niggemeier, Medienjournalist und Blogger, sind vor zwei Wochen nach Düsseldorf gereist. Wie vergangenes Jahr in Oslo begleiten sie den Eurovisions-Wahnsinn, jeden Tag stellen sie einen Film auf duslog.tv (2010 hieß das Tagebuch oslog.tv). Sie witzeln über die Proben, die Ereignisse und Nicht-Ereignisse des Tages, sprechen über ihre Favoriten und Fremdschäm-Momente, und zwischen ihren Gesprächsfetzen schneiden sie pointiert das Material, das sie vor Ort aufgenommen haben. Was die beiden mit Amateur-Equipment und oftmals scheinbar planlos fabrizieren, ist unterhaltsamer als das meiste aus der ARD-Pro7-Ecke.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Lukas, wie hältst du es durch, dich 14 Tage lang mit Eurovisions-Musik beschallen zu lassen? Vielen wird ja schon der Abend des Finales zu viel...
Lukas Heinser: Sich nur das Finale am Samstag Abend anzuschauen, ist einfach die falsche Herangehensweise. Es ist tatsächlich so, dass viele Songs sehr merkwürdig und auch nervtötend erscheinen, wenn man sie das erste Mal hört. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob man eine Gewöhnungsphase braucht, oder ob die Songs in Wirklichkeit einfach besser sind, als sie beim ersten Hören wirken. Mittlerweile habe ich selbst Songs, die ich am Anfang nicht so toll fand, einigermaßen liebgewonnen. Und ich habe auch gemerkt, dass sich Grand-Prix-Musik gar nicht so sehr von Chartmusik unterscheidet. Nur nimmt man das eine eben als Grand-Prix-Musik wahr und das andere als die „wichtige“ Musik. Es kann aber bei beidem große Grütze dabei sein oder auch was sehr Schönes. Insofern ist die 14-Tage-Beschallung gar nicht so schlimm.

Hast du denn nicht ein großes Ohrwurmproblem, wenn du täglich stundenlang dieser Musik ausgesetzt bist?
Doch. Ständig. Und zwar abwechselnd, und in den merkwürdigsten Reihenfolgen und den komischsten Momenten. Schon morgens beim Aufwachen ist sofort irgendein Lied im Ohr. Das wird auch so bald nicht aufhören. Vergangenes Jahr hatte ich nach zehn Tagen Oslo ein halbes Jahr ein paar Ohrwürmer. Ich rechne jetzt, wo wir 14 Tage hier sind, mit einem Dreivierteljahr.

Welchen Auftritt sollte man am Samstag auf keinen Fall verpassen? Ich finde ja, die Zypriotin, die diese leuchtende Pappmaschékugel herumwirbelt, ist ganz weit vorne...
Ja, Zypern ist von der Choreografie wirklich ganz schick. Da muss man halt sehen, ob die überhaupt ins Finale kommen. Sehr grotesk – eigentlich auf allen Ebenen – ist Weißrussland, die ja das schöne Lied „I love Belarus“ singen und damit ihr Heimatland loben. Auch Moldawien ist sehr lustig. Aber ansonsten ist das alles gar nicht mehr so schlimm. Die Beiträge mit dieser grotesken Grand-Prix-Haftigkeit sind dieses Jahr gar nicht so häufig zu sehen. Vielleicht kommen die aber noch...

Bist du denn eigentlich ein echter ESC-Fan?
Mir macht diese Veranstaltung schon großen Spaß. Sonst hätte ich mich auf diesen Irrsinn, den wir hier machen, nicht noch ein zweites Mal eingelassen, und schon gar nicht für eine noch längere Zeit. Da ist vergangenes Jahr in Oslo tatsächlich ein Feuer in mir entbrannt, das auch nach wie vor lodert. Es ist einfach schön, diesen ganzen Irrsinn von allen Seiten zu betrachten. Ich bin also durchaus Eurovisions-Fan.

Einerseits sprichst du von einem lodernden Feuer, andererseits von Irrsinn. Betrachtest  du den ESC eher ironisch?
Stefan sagt immer: Der Song-Contest ist wie Fußball – er ist genau so ernst, wie man ihn nimmt. Es gibt hier Fans, die seit Jahrzehnten durch ganz Europa zu jedem Song-Contest reisen. Und es gibt Leute wie uns, die die Veranstaltung auf eine lustige Art und Weise ernst nehmen. Aber alle, die hier sind, nehmen es zumindest irgendwie ernst. Das hat auch seine Berechtigung. Es ist letzten Endes genauso wichtig oder unwichtig wie die Fußball-Bundesliga.

Ich habe den Eindruck, als wäre das Eurovision-Schauen mittlerweile auch für Menschen cool, die mit Chartmusik und Ähnlichem nichts am Hut haben. Es ist irgendwie hip, sich das anzusehen und sich dann über trashige Auftritte lustig zu machen. Teilst du diesen Eindruck?
Das ironische Grand-Prix-Schauen gibt es ja schon länger. Ich kann das nicht global beurteilen, aber nach dem, was ich zum Beispiel aus meinem Freundeskreis mitbekomme, habe ich eher den Eindruck, als würden die meisten es gar nicht mehr mit der totalen Haha-Witzig-Attitüde anschauen. Natürlich mit einer gewissen ironischen Distanz, denn wirklich ernst kann man das alles natürlich nicht.

http://www.youtube.com/watch?v=tuy56gh2s-M&feature=player_embedded#at=64

Die Herangehensweise der Duslog-Videos ist ja auch eine ziemlich ironische – und technisch Unfertige...
Da ist natürlich viel Beklopptes dabei. Wir stehen eben den ganzen Tag in der Halle und drehen alles, was uns in die Quere kommt. Und wir haben das Filmen nicht gelernt. Aber es geht auch nicht um perfekte Bilder.

Warum dann überhaupt ein Videotagebuch? Ihr seid ja beide eigentlich Schreiber...
Das war eher Zufall. Wir hatten vor drei Jahren schon mal überlegt, im nächsten Jahr zum Grand-Prix zu fahren. Dann hat aber Russland gewonnen, und auf Moskau hatten wir nicht so viel Bock. Auf Oslo schon. Eigentlich wollten wir dort ein Blog mit verschiedenen Stilformen machen. Aber dann haben wir diese Videokamera bekommen, und bei der Arbeit damit hat sich herauskristallisiert, dass wir vor allem filmen wollen. Gerade beim ESC hilft es, die Dinge zu sehen und zu hören anstatt sie nur zu beschreiben.

Habt ihr eigentlich einen Plan, bevor ihr anfangt zu drehen?
Wir wissen natürlich in etwa, was uns an dem jeweiligen Tag erwartet: Welche Proben es gibt, welche offiziellen Veranstaltungen und so weiter. Was genau da passiert, wie uns das gefällt und was wir dazu sagen, wissen wir noch gar nicht. Das passiert dann einfach. Meistens sitzen wir da etwa 25 Minuten und unterhalten uns einfach. Manchmal klappt das gut und es wird auf Anhieb lustig. Manchmal fällt uns zwar spontan etwas ein, aber wir müssen es zwei oder drei Mal drehen. Aber dieses Mal habe ich immerhin versucht, mich ein bisschen vorzubereiten. In Oslo hatte ich mich vorab mit den Künstlern fast gar nicht beschäftigt, und mich hat dann alles ziemlich überrascht. Deshalb habe ich jetzt im Vorfeld versucht, die Vorentscheide in den verschiedenen Ländern zu verfolgen. Das ging am Anfang ziemlich gut, aber irgendwann wurde es so viel, dass ich einfach nicht mehr mitbekommen bin. Vieles sehe ich hier also zum ersten Mal.

Eure Berichterstattung hat – vor allem wenn man sie mit dem Rest vergleicht – einen eher geringen Lena-Anteil. Hat das einen besonderen Grund?
Das hängt damit zusammen, dass alle anderen sich immer dermaßen auf Lena stürzen, um dann mit ihr Kartoffelsalat zuzubereiten oder ähnliches. Wir fanden einfach, es gibt genug anderes, was so toll, bunt, peinlich, albern ist – wenn man sich nur auf Lena konzentriert und darauf, welche Schuhe sie trägt, ist man einfach blöd. Denn die Themen liegen auf der Straße.

Zum Schluss noch eine Prognose bitte: Wie wird Lena deiner Meinung nach abschneiden und wer wird gewinnen?
Ich würde sagen, sie landet auf jeden Fall in den Top-Ten. Für den Sieg kann ich aber keinen Favoritentipp abgeben.



Text: christian-helten - Foto: Screenshot

  • teilen
  • schließen