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"Die tatsächliche Revolution findet auf der Straße statt"

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Der Blog Award der Deutschen Welle "The BOBs" (Best of the Blogs) zeichnet Webseiten aus, die Informations- und Pressefreiheit im Internet vorantreiben und bereichern. Patricia Cammarata ist zum ersten Mal in der Jury und vertritt Deutschland. Seit sieben Jahren bloggt die Berlinerin unter dem Pseudonym dasnuf über Alltagsbeobachtungen. Ein Gespräch über die Relevanz von Blogs für die Meinungsfreiheit und den Arabischen Frühling.    

jetzt.de: Man hat immer noch den Eindruck, dass Blogs – bis auf wenige Ausnahmen – von Medien und Politik nicht ernst genommen werden. Wie empfinden Sie das?
Patricia Cammarata: Nicht alle Blogs wollen politisch etwas bewegen, aber ich glaube schon, dass die, die etwas bewegen wollen, tatsächlich auch etwas bewegen. Das ist natürlich auch mein persönlicher Fokus, aber ich habe den Eindruck, dass vor allem im vergangenen Jahr viel passiert ist und dass Blogs immer öfter ernst genommen werden.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Vier der Gewinner 2011 im Uhrzeigersinn: atunisiangirl (links oben), benablog, juarezenlasombra und textilvergehen.

Zum Beispiel?
Die ganze Organisation rund um die Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg oder Siegfried Kauder, der Urheberrechtsverletzung mit Netzsperren bestrafen wollte und dabei selbst fremde Fotos auf seiner eigenen Homepage benutzt hat. Das sind Sachen, die vom Netz in Gang gebracht worden sind – und die so auch nicht aufgeklärt worden wären. Diese Fälle zeigen, dass man Blogs doch ernst nehmen muss.

Sie bloggen seit sieben Jahren. Warum haben Sie damals angefangen?
Ich hatte einfach Lust aufs Geschichtenschreiben und das nicht nur für mich, sondern vor einem gewissen Publikum. Als Freunde von mir nach Australien gegangen sind, hat sich das zufällig ergeben, weil wir damit den Kontakt halten wollten. In den vergangenen Jahren habe ich nicht aufgehört, es macht mir einfach Spaß.  

Über welche Themen schreiben Sie?
Dasnuf ist ein klassisches Weblog, ein Tagebuch, in dem ich über alles schreibe, was mich interessiert, zum Teil mein Familienleben, Erziehungsthemen oder Emanzipation. Im vergangenen Sommer und im Herbst habe ich auch mal über politische Themen wie die FDP-Wahlplakate hier in Berlin geschrieben oder darüber, was ich vom Einzug der Piraten ins Abgeordnetenhaus halte. Da sind auch Themen dabei, die jetzt nicht die Welt bewegen, aber trotzdem gibt es einige, die mitlesen.

Wie wichtig finden Sie Blogs für die Meinungsfreiheit?
Sie helfen, Inhalte leichter und einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Durch den Blogger können Leser Welten erfahren, an denen sie sonst nicht teilhaben könnten, weil sie keine Schnittpunkte zum eigenen Leben haben. Das muss nicht unbedingt politisch sein. Dieses Jahr hat Julia Probst viel Aufmerksamkeit erregt. Sie ist gehörlos und bloggt. Damit konnte sie viele dafür sensibilisieren, dass wir in Deutschland noch weit von Barrierefreiheit und Akzeptanz entfernt sind. Oder Christiane Link, die über ihr Leben im Rollstuhl bloggt. Dadurch bekommt man als Leser Einsichten, die man sonst nicht hätte, Barrieren, an die man gar nicht denkt, wenn man sich frei bewegen kann. Was bleibt, ist ein Bewusstsein für diese Probleme und dafür, dass jeder im Alltag Vorurteile abbauen kann. Dafür sind Blogs eine sehr gute Plattform.    

Welche Blogs lesen Sie noch?
Wirres.net von Felix Schwenzel, der sich mit Alltagsthemen auseinandersetzt, mit Medien, Journalismus und Technik. Daran mag ich, dass er sich sehr klug mit diesen Dingen auseinandersetzt und ab und zu den Finger auf eine Wunde legt, aber immer auf eine konstruktive Art und Weise. Das Blog von Antje Schrupp, die feministische Themen behandelt, aber nicht so angreifend wie andere feministische Blogs, sondern sehr sachlich und klar. Oder Blogs zu Themen aus dem Familienalltag wie Journelle, die über ihre Familie und ihre Rolle als Frau und Mutter schreibt.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Patricia Cammarata bloggt auf dasnuf.de

Im Internet kann sich jeder an politischen Debatten beteiligen. Wird diese Möglichkeit ausreichend genutzt?
Das könnte natürlich mehr sein. Aber es wird immer mehr. Man unterscheidet ja seltsamerweise immer noch das echte Leben und das im Netz. Spontan habe ich jetzt an die Acta-Demonstrationen hier in Berlin gedacht. Natürlich wird das auch in Blogs diskutiert, aber das sind Menschen, die auch bereit sind, dafür auf die Straße zu gehen. Da geht es um die Sache, nicht um das Medium.  

Welche Rolle spielen Blogs für den Arabischen Frühling?
Durch die Medien ist es so dargestellt worden, als wenn Blogs und Twitter den Arabischen Frühling erst möglich gemacht hätten. Ich denke, dass sie die Koordination und Organisation der Proteste erleichtert haben und dass die Informationen schneller fließen konnten. Aber die tatsächliche Revolution findet auf der Straße statt. Man darf auch nicht vergessen, dass für diese Sache wirklich mehrere hundert Menschen ihr Leben gelassen haben. Das haben sie nicht, weil sie einen Protestzug über Facebook organisiert haben, sondern weil sie selbst auf der Straße waren, sich der Unterdrückung als Mensch widersetzt haben – und für ihr Recht mit ihrem Leben eingestanden sind. Es ist bestimmt eine Erleichterung oder eine neue Form, aber nur über soziale Medien lässt sich ein politischer Wandel nicht einläuten.  

Wo sind die Grenzen für Meinungsäußerungen im Netz?
Dieselben wie im alltäglichen Leben auch. Man muss sich an Gesetze halten und beachten, welche Stimmung oder welchen Rahmen ein Land bietet. Wenn man das überschreitet, ist es völlig egal, ob man das in einem Blog oder außerhalb des Internets tut, da muss man mit Konsequenzen rechnen. Auch wenn man kein vollständiges Impressum mit Namen hat, besteht die Gefahr, wenn man gegen ein Regime anschreibt, dass man ausfindig gemacht und verfolgt wird.  

Sie sind zum ersten Mal in der Jury der Blog Awards. Inwieweit fördert diese Auszeichnung die Informations- und Pressefreiheit?
Die Auszeichnung soll eine besondere Aufmerksamkeit erzeugen, über die man mehr Leute erreicht als alleine mit einem Blog, auch über Landesgrenzen hinaus. Ein Blog Award kann aber keine Meinungs- und Pressefreiheit fördern. Er kann Aufmerksamkeit schaffen, ein Netzwerk und eine größere Plattform bieten. Politisch verändern können solche Awards natürlich nichts. So schade es ist, ein Preis allein kann nicht die Meinungsfreiheit unterstützen, sondern nur die Menschen, die darüber schreiben. Man kann nur deren Mut belohnen, indem man ihnen ein größeres Publikum beschert.  

Werden Blogs durch solche Preise wichtiger?
Ich habe da eine zwiespältige Meinung. Ich halte mich viel im Internet auf, kenne viele Menschen, die bloggen und Blogs lesen. Da habe ich oft das Gefühl, dass sie wichtiger und relevanter werden. Auch die Bewegung, dass etwas in einem persönlichen Weblog geschrieben ist und dann über Twitter bei Spiegel Online oder so landet, hat an Geschwindigkeit zugenommen. Wenn ich mich aber in einer anderen Lebenswelt bewege, wenn ich meine Eltern nehme oder die anderen Mütter im Kindergarten, dann merke ich, dass viele nicht einmal mit dem Wort Blog was anfangen können und dass in so einem Umfeld niemand einen Twitter-Account hat. Ich glaube manchmal, dass ich in so einer Blase hocke, in der ich den Eindruck habe, dass Blogs immer wichtiger werden und eine größere Rolle spielen. Wenn ich wieder einen Schritt rausgehe, stelle ich fest, dass es zwar ein paar etablierte Sprachrohre gibt, wie Markus Beckedahl, der zwischen diesen Welten wechselt, weil er viel im Fernsehen und in Interview auftritt und sehr kompetent und gut über Netzpolitikthemen Auskunft geben kann, dennoch glaube ich, Blogs sind noch lange nicht so etabliert wie eine Zeitung.  

Glauben Sie, dass sich das ändern wird?
Ich denke ja, weil es auch mit der Generation zu tun hat, wie man aufwächst und es gewohnt ist, Informationen zu sammeln, deswegen glaube ich, dass man da reinwächst. Für nächste Generation, die in den achtziger Jahren und später geboren ist, ist es selbstverständlich, diese Medien zu benutzen und auch ernst zu nehmen. Deswegen denke ich, dass sich da viel tun wird.    

Bis 13. März 2012 können Vorschläge für Blog Awards eingereicht werden.

Text: kathrin-hollmer - Fotos: Screenshots

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