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„Es braucht nicht viel, um Menschen Willkommen zu heißen“

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jetzt.de: Für euer Projekt habt ihr mit jungen Flüchtlingen in einer Unterkunft in Aachen zusammengelebt. Wie war die Stimmung in dem Hotel?  
Julius: Die Bilder des Flüchtlingsalltags in Aachen sind geprägt von der Langeweile, die dort vorherrscht. Wenn man überhaupt keine Chance hat, etwas zu unternehmen, sitzt man halt die ganze Zeit in seinem Raum. Vielleicht hat man einen Zimmernachbarn, aber vielleicht spricht der nicht einmal die eigene Sprache.    

Sebastian: Unser Ziel war es, Bilder zu machen, die eben nicht denen ähneln, die man sonst im Kopf hat, wenn man über Flüchtlinge spricht. Fotos von unzähligen afrikanische Menschen, die auf einem kleinen Boot sitzen. Genau mit dieser Bildsprache wollten wir brechen.  

Gleichzeitig habt ihr die Flüchtlinge auch noch Briefe zum Thema Gastfreundschaft schreiben lassen und sie gemeinsam mit den Fotos in einem Magazin zusammengestellt. Was wolltet ihr damit bezwecken?  
Julius: Unsere Motivation für das Projekt war und ist, dass die Flüchtlinge in den Medien oft völlig unpersönlich bleiben. Es wird ja immer von „den Flüchtlingen“ gesprochen. Von „den Flüchtlingen“, die in Lampedusa eintreffen oder demonstrierend nach Berlin laufen. Die Gedanken und Meinungen dieser Menschen finden nicht den Platz, den sie eigentlich bräuchten. Unser Ziel war es, dass man nicht nur eine Flüchtlingsmasse betrachtet, sondern den Einzelnen. Jeder soll erkennen, dass Flüchtlinge auch ganz normale Menschen sind.  

Sebastian: Gleichzeitig wollten wir die Leute zum Nachdenken bringen: Was ist denn mein Verständnis von Gastfreundschaft? Diese Frage stellt man sich automatisch, wenn man diese Briefe liest. Jeder hat eine persönliche Erfahrung mit Gastfreundschaft. Wenn man sich diese vor Augen führt, fängt der Dialog schon an. Dann überlegt man sich vielleicht, wie man die Menschen hier ein bisschen freundlicher empfangen kann.  



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Habt ihr einen Lieblingsbrief? Eine Geschichte, die euch besonders berührt hat?  
Julius: Es gibt einen Brief von einem etwa 18–jährigem Marokkaner, in dem er seine Flucht beschreibt. Er hat sich während ihr selbst spanisch und englisch beigebracht und ein paar Brocken schwedisch. Er hat in seinem Brief genau geschildert, was ihm auf der Flucht begegnet ist und vor allem, was das mit ihm als Menschen gemacht hat. Er war Feuer und Flamme für eine neue Lebensetappe. Aber je mehr Zeit verstreicht, desto weniger man davon. Er ist sehr intelligent, aber schließt sich zunehmend den ganzen Tag in seinem Zimmer ein. Er zockt vor lauter Langeweile ständig irgendwelche Ballerspiele. Gleichzeitig schreibt er in diesem Brief so offen darüber, was mit ihm passiert ist.  

Aus den Briefen geht hervor, dass die unbegleiteten Jugendlichen in Aachen nicht einmal zur Schule gehen können. Woran liegt das?  
Julius: Das liegt an einem deutschen Gesetz. Normalerweise werden alle Flüchtlinge in ganz Deutschland auf Flüchtlingsheime verteilt. Minderjährige müssen aber von der Gemeinde betreut werden, in der sie zuerst aufgegriffen wurden. Obwohl diese Regelung mittlerweile etwas aufgelockert wurde, sind deshalb in Grenzstädten wie Aachen die Plätze für minderjährige Flüchtlinge überfüllt. Viele müssen deswegen so lange in einem Hotel bleiben bis wieder Plätze in einem Wohnheim frei sind. Dort können sie dann auch in ein Programm aufgenommen werden und zur Schule gehen. Das kann aber Monate dauern.  

Die Berichte der Flüchtlinge fallen überraschend unterschiedlich aus. Manche beschreiben ihre Situation als frustrierend und deprimierend, andere bedanken sich für die Gastfreundschaft der Deutschen. Wie erklärt ihr euch das?  
Sebastian: Ich glaube, dass das auch davon abhängt, wie lange jemand hier ist. Wenn einer schon zwei, drei Monate da ist, dann wird er feststellen: Oh, hier kümmert sich eigentlich niemand um mich, außer dass ich mein Geld kriege und ein Dach überm Kopf.  Ansonsten kommt hier kein Schwein zu mir und will irgendwas von mir wissen. Derjenige, der hier grad erst ankommt, denkt dagegen: Woah geil, ich hab ein Dach über Kopf und ich kriege Geld.  

Julius: In Aachen haben wir die Stimmung als wirklich trist erlebt. Aber wenn man dann solch dankbare Briefe liest, dann merkt man: Der Typ ist drei Jahre durch die Welt getingelt und ist jetzt einfach froh, hier zu sein. Wenn man sieht, wie bedrückend es in dem Hotel ist, fragt man sich schon, was der alles erlebt haben muss.  

Ihr habt auch schon eine zweite Unterkunft besucht, das Kloster Weingarten. Die Briefe und Fotos von dort werden bald in einem zweiten Magazin veröffentlicht. Was für Unterschiede zum Leben im Hotel habt ihr festgestellt?  
Sebastian: Im Kloster Weingarten wird Gastfreundschaft ganz anders gelebt. Weil die Schwestern sich dort, auch wenn sie kein Englisch und Französisch können, sondern nur Schwäbisch, unglaublich viel Mühe geben. Sie leben die Gastfreundschaft  mit Händen und Füßen. Da gibt es zum Beispiel Schwester Ines, die von den Flüchtlingen nur Mother Ines genannt wird, in Anlehnung an Mutter Teresa. Weil sie sich wirklich von morgens bis abends nur um diese Menschen kümmert. Und das mit solch einer inneren Zufriedenheit, dass man sofort gemerkt hat: Das ist der richtige Ort, um das Thema Gastfreundschaft in Bezug auf Flüchtlinge zu beleuchten.  

Julius: Generell wollten wir Unterkünfte besuchen, in denen die Menschen unterschiedlich gut betreut werden. In Weingarten werden die Flüchtlinge mit Sicherheit besser behandelt als in Aachen. Sie haben mehr Vorzüge und es gibt eine bessere individuelle Betreuung. Mit unseren Fotos wollen wir auch hervorheben, dass es eigentlich nicht viel braucht, um die Menschen richtig gut willkommen zu heißen.  

Die Fotos und Briefe haben Julius und Sebastian in einem Magazin veröffentlicht. Die Print-Ausgabe des „Cameo Magazins“ kostet 20 Euro (inkl. Versand). Auf der Online-Plattform Startnext könnt ihr das Projekt unterstützen.


Text: alexander-gutsfeld - Fotos: Sebastian Cunitz und Julius Matuschik

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