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"Heb auf! Geschenk!"

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[b]Papergirl geht dieses Jahr in die vierte Runde. Was für eine Idee steckt hinter dem Projekt? Aisha Ronniger: [/b] Papergirl ist ein Kunstprojekt, bei dem Kunstrollen vom Fahrrad aus verteilt werden – so ein bisschen wie Zeitungsjungs in Amerika es tun, nur halt mit Kunst statt Zeitungen. Die Idee dazu ist mit einer Freundin im Gespräch entstanden. Zu der Zeit lief in den Medien gerade die Debatte um Graffiti und Street Art. Plakatieren sollte genau wie Sprühen als Sachbeschädigung eingestuft und vom Strafmaß gleichgesetzt werden. Das wurde letztlich auch umgesetzt. Wir haben uns also darüber unterhalten und überlegt, was man eigentlich für andere Möglichkeiten hat, die legal sind. Weniger weil wir dachten, oh Gott, jetzt kriegen wir Ärger, sondern einfach um ein bisschen mehr in der Öffentlichkeit arbeiten zu können, auch mit anderen Leuten zusammen und gleichzeitig Spaß dabei haben zu können. Und da meinte sie halt: Ja, Mensch, man müsste das den Leuten einfach hinwerfen, so vor die Füße knallen oder in den Laden rein. Einfach aus dem Moment heraus, spontan, keiner kann nein oder ja sagen – es geht einfach so schnell, dass da richtig Action drin ist. [b]Und wie ging es dann mit der Idee weiter?[/b] Man hat so viele Ideen, aber ich hab mir gesagt, dass man davon auch mal was umsetzen muss. Immer nur drüber reden bringt nichts, ich mach das jetzt. Ich hab mir das ganz einfach vorgestellt: Ich frag einfach alle meine Freunde und dann deren Freunde und dann sammle ich diese Arbeiten ein, mache da Rollen draus und dann verteilen wir die zusammen. Das hört sich ganz simpel an, aber letztendlich war das dann doch ein ganz schöner Batzen Arbeit. Vor allem wenn man dann weiß, wie anstrengend es ist, Leuten hinterher zu rennen und die verbocken es dann doch wieder. Die Vorarbeit geht mittlerweile über mehrere Monate, um auch den Künstlern ein bisschen mehr Zeit zu geben. Das Verteilen geht dann so schnell, das ist in einer Stunde vorbei wenn’s hochkommt. [b]Letztes Jahr haben bereits 76 Künstler aus neun verschiedenen Ländern teilgenommen. Wie hast du die alle erreicht?[/b] Es hat sich enorm herumgesprochen. Papergirl geht jetzt ja schon ins vierte Jahr. Da gibt es so ein bisschen Mundpropaganda, dann drucken wir auch Plakate und immer mehr ist auch durch Blogs gekommen. Über Blogs läuft unheimlich viel und das sind dann auch Streetart- oder Urban Art-Begeisterte, auch Künstler selber, die lesen und gucken: was machen die anderen gerade so? Da drüber kamen dann auch viele Leute aus anderen Ländern dazu. Es haben mir sogar Leute aus Südafrika geschrieben und aus Kanada. Das ist total irre, wenn du so eine Email bekommst: „Kann ich mitmachen? Ich bin aus Südafrika.“ [b]Gerade hast du den Aufruf zu Papergirl Nr.4 gestartet. Wie kann man bei der Aktion mitmachen?[/b] Anfangs war das natürlich unkoordinierter und spontaner. Mittlerweile ist es so, dass ich drei Monate Vorlauf habe. Jeden Monat haben wir ein Treffen, wo die Leute, die in Berlin sind, persönlich vorbeikommen können. Ich finde diesen persönlichen Kontakt sehr wichtig und glaube auch, dass das den Künstlern am Herzen liegt, dass man seine Arbeiten nicht irgendwohin an jemand Fremdes schickt, sondern es bei Möglichkeit direkt jemandem in die Hand drücken kann. Wir treffen uns dieses Jahr in einem Restaurant von Freunden von mir und da kann man sich auch gleich ein bisschen kennenlernen. Die Leute, die nicht in Berlin wohnen, können mir das per Post schicken. Die können mir eine Email schreiben und dann bekommen sie meine Anschrift. [b]Auf der Website heißt es, dass jedes Kunstwerk, das sich rollen lässt, eingereicht werden kann – technisch oder inhaltlich gibt es keine Vorgaben. Triffst du unter allen eingesandten Werken trotzdem eine Vorauswahl?[/b] Nein, es wird wirklich alles verwendet. Ich plädiere, soweit es mir möglich ist, schon dafür, dass die Leute nur Sachen abgeben, bei denen sie davon ausgehen, dass andere sich darüber freuen, sich die gerne angucken oder auch hinhängen oder was auch immer damit machen möchten. Davon gehe ich einfach mal aus, wenn man was einreicht. Meine einzige kuratierende Arbeit ist die, von jedem Künstler mein Favorite auszusuchen und das hängt dann in der Ausstellung an der Wand. Die restlichen Arbeiten kommen alle darunter in einen Kasten. Aber man kann sich wirklich alles angucken, was eingereicht wurde. [b]In einer Ausstellung werden also alle Arbeiten vor dem Verteilen einmal gesammelt gezeigt. Geht dadurch nicht ein Teil des Überraschungseffekts verloren?[/b] Nee, würde ich nicht sagen. Weil der Überraschungseffekt ist ja für die Leute auf der Straße so oder so da. Das sind ja eigentlich Leute, die nichts davon wissen. Das wäre dann schon ein irrer Zufall, wenn jemand vorher in der Ausstellung war und dann noch eine Rolle fängt, weil die ja nicht wissen können, wo wir lang kommen. Ich glaube, diese Ausstellung ist wichtig, um überhaupt mal zu sehen, was in den Rollen drin ist. Sonst sind die Arbeiten weg, verschenkt an irgendwelche Leute und nie wieder auffindbar, keinem anderen Publikum oder den anderen Künstlern zugänglich. Das war das Problem beim ersten Mal: Da hatte ich gar keine Ausstellung. Wir haben einfach die Rollen angeschleppt und zusammen verteilt und alle haben gefragt: und was haben die anderen abgegeben? Was ist denn da drin? Insofern ist das schon eine Notwendigkeit, diesen Reichtum der zu verschenkenden Arbeiten zu zeigen. [i]Auf der nächsten Seite lest ihr, wie die beworfenen Passanten darauf reagieren, mit Kunst beschenkt zu werfen und wie es kam, dass Papergirl im vergangenen Jahr auch in Spanien unterwegs war.[/i]


[b]Wie sind die Reaktionen der Leute, die eure Kunst fangen - bekommt ihr die im Vorbeifahren überhaupt mit?[/b] Meistens ist es wirklich so, dass man es nur noch so aus dem Augenwinkel mitkriegt. Viele Rollen fallen ja auf den Boden, denn ich persönlich bin kein so guter Zieler oder die anderen Leute nicht so gute Fänger. Es ist sehr schwer, die in so einem Überraschungsmoment direkt zu fangen. Manchmal fallen die also auf den Boden und du kannst nur noch im Umdrehen kurz sehen, ob das jetzt jemand aufhebt und wie der darauf reagiert. Und dann ruft man halt: „Heb auf! Geschenk!“ Manchmal gibt es auch Momente, wo die Leute sich erschrecken oder das an den Kopf kriegen – es ist ja wirklich unvorhersehbar, wie das abläuft. Gerade so vom Fahrrad aus: Man schlenkert rum oder dann kommt da ein Auto… das geht dann manchmal schon ganz schön wild her.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[b]Haben einige der Beschenkten euch im Nachhinein kontaktiert, um sich zu bedanken?[/b] Man kann ja zurück schreiben, auf den Rollen ist immer so eine Banderole drauf mit Infos und Email-Adresse. Aber das machen eigentlich nicht viele – davon bin ich aber auch ausgegangen. Ich würde wohl ehrlich gesagt auch nicht zurück schreiben, selbst wenn ich es unheimlich doll vorhätte. Ich hab letztens eine Email bekommen von einem Mädchen aus Holland oder Schweden, wegen der Aktion im letzten Jahr. Die meinte, sie wollte das die ganze Zeit schon machen und hat mir jetzt halt endlich geschrieben. So würde es mir halt wahrscheinlich auch gehen. Aber es sind immer ein paar dabei und das ist dann auch super schön, natürlich. Und manchmal gibt es auch verrückte Zufälle, wo man sogar Leute getroffen hat, über drei Ecken, die so eine Rolle haben und dann auch mitmachen wollen. [b]Wie viele Rollen verteilt ihr denn so im Schnitt?[/b] Letztes Mal waren es so 270, davor ungefähr 150 Stück. Also die Tendenz ist steigend und ich denke, das wird dieses Jahr noch mal mehr. An der Verteil-Aktion sind dann meistens so 20 bis 30 Leute beteiligt, aber das könnten auch ruhig noch mehr sein. [b]Seid ihr immer in denselben Stadtteilen Berlins unterwegs?[/b] Es hat sich so entwickelt, dass wir eigentlich jedes Mal wechseln. Am Anfang war es zufällig, das hing von den Ausstellungsorten ab, die ich zur Verfügung gestellt bekommen habe. Dadurch haben wir automatisch den Stadtteil gewechselt. Das erste Mal waren wir im Prenzlauer Berg unterwegs, das zweite Mal in Kreuzberg und dann hatte ich zwar letztes Mal wieder einen Raum in Kreuzberg, wollte aber Friedrichshain beschenken. Irgendwie macht das auch noch mal mehr Spaß, den Stadtteil zu wechseln, ein anderes Publikum zu haben –gerade wenn man sich in Berlin auskennt. Deshalb ist es dieses Jahr dann auch in Neukölln. [b]Im vergangenen Jahr seid ihr mit Papergirl auch erstmals im Ausland gewesen, beim spanischen Grafikfestival Ingráfika in Cuenca. Wie kam es dazu?[/b] Das war ein totaler Zufall und sehr spontan. Einer vom Ingráfika-Organisationsteam war in Berlin, ist völlig zufällig bei unserer Vernissage reingestolpert und hat mich direkt angesprochen, ob ich nicht nach Spanien kommen will. In dem Moment dachte ich erstmal so: Oh Gott! Noch mal? Jetzt schon, so bald? Und hab erstmal gar nicht wirklich zugesagt. Aber letztlich war das dann total super und auch sehr gut organisiert. Die haben echt alles vorbereitet. Ich habe halt noch mal einen Aufruf gestartet, neue Arbeiten eingesammelt und die dahin geschickt und natürlich kamen über das Festival auch noch viele spanische Künstler dazu. Das war total schön, in einer ganz fremden Stadt, in einer fremden Sprache, Papergirl zu verteilen. [b]Lief die Aktion dort prinzipiell genauso ab wie in Berlin?[/b] Die war schon anders. Zum einen, weil es eine Kleinstadt war. Das ganze Drumherum, das Flair und die Leute waren irgendwie anders. Und das Problem dort ist: Es gibt kaum Fahrradfahrer. Die Stadt ist ziemlich hügelig und liegt an einem Hang. Aber es gibt eine kleine Fahrrad-Assoziation, die sich fürs Fahrradfahren einsetzen und einen Verein haben – die haben mitgemacht und sind da mit eingestiegen. Und wir haben Leihfahrräder aus Madrid mitgebracht. Sonst wäre das gar nicht gegangen, ich glaube, dass diese Stadt sonst gar nicht genug Fahrräder gehabt hätte. Es war echt ganz lustig. Die Leute haben uns angeguckt wie so Autos. Die wussten gar nicht, was los ist. Aber letztendlich waren sie viel offener als in Berlin, weil die so was nicht so gewohnt sind. Die haben dann gleich gerufen: „Ja, ich auch, hier!“ Die sind aus sich rausgegangen und haben ihre Neugier viel offener gezeigt. In Berlin gibt es ja doch schon so eine Coolness. Da denken die Leute so: Och ja, och Kunst. Es gibt ja so viel Kunst in Berlin – neugierig sind zwar letztendlich alle, aber man zeigt es hier nicht so. [b]Von Kunst zu leben, ist nach wie vor sehr schwer, gerade in Berlin gibt es eine unheimlich große Konkurrenz. Warum verschenkt ihr eure Werke einfach so?[/b] Hmmm. Also ich denke, das kommt einfach von diesem Streetart-Gedanken, auf der Straße zu arbeiten. Das lag uns eh schon nahe und dann war das sozusagen der nächste Schritt. Der Kern der Künstler ist es glaube ich auch gewohnt, Arbeiten zu verschenken und Arbeiten im öffentlichen Raum zu zeigen. Den Mehrwert, den man dadurch hat – den Spaß und diese Überraschung – den ist es für mich einfach wert, Sachen zu verschenken und Leute damit zu erfreuen. Das ist irgendwie viel mehr, als wenn du in irgendeiner kleinen weißen Galerie hängst und das eine Person sieht. Dieses Unvorhersehbare, das Arbeiten mit anderen zusammen und Leute kennenzulernen – das ist schon schön. Mehr Infos zum Papergirl gibt es unter papergirl-berlin.de. Die nächste Ausstellung und Verteil-Aktion findet im Sommer statt, Arbeiten können noch bis zum 17.Juli eingereicht werden unter info@papergirl-berlin.de

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: marie-piltz - Fotos: just.ekosystem.org

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