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„Man kann nicht das komplette System überwachen“

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Diesen Monat hat die Justizministerkonferenz über die Polizeifahndung via Facebook diskutiert. Von der Suche nach Zeugen über das soziale Netzwerk verspricht man sich viel, da man ein breiteres und vor allem jüngeres Publikum erreichen kann. Doch immer wieder wird von Datenschützerseite Kritik laut, weil Bilder und personenbezogene Daten Verdächtiger online gestellt werden. Viele Kritiker nennen besonders einen Fall als Beispiel für die Probleme, die aufkommen können, wenn mutmaßliche Straftäter in sozialen Netzwerken bekannt gemacht werden: Im März dieses Jahres hatte ein 18-Jähriger über Facebook zur Lynchjustiz an einem 17-Jährigen aufgerufen, der damals unter Verdacht stand, die elfjährige Lena getötet zu haben.

Das Landeskriminalamt Niedersachsen ist bundesweit das erste, das über Facebook nach Zeugen von Straftaten sucht. Anke Smug, Kriminaloberkommissarin und Pressesprecherin des LKA, erklärt, wie das genau funktioniert, welche Erfolge es zu verzeichnen gibt und wie man versucht, der Kritik der Datenschützer entgegenzutreten.

jetzt.de: Frau Smug, wie viele Fälle konnten bereits mithilfe der Facebook-Fahndung aufgeklärt werden?
Anke Smug: Nachweislich konnten dank der Facebook-Fahndung zehn Fälle von der Polizeidirektion Hannover und dem Landeskriminalamt Niedersachsen aufgeklärt werden. Es ist nur etwas schwierig, das genau abzugrenzen, da wir auf unserer Fahndungsseite um Hinweise bitten, die man persönlich oder telefonisch bei einer Dienststelle abgeben kann. Der Zeuge, der sich aufgrund unserer Facebook-Fahndung meldet, sagt nicht immer dazu, dass er das auf Facebook gelesen hat. Darum könnte die Zahl auch höher sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie sinnvoll sind Facebook-Fahndungen? Polizei und Datenschützer sind unterschiedlicher Meinung.

Seit wann arbeiten Sie mit der Facebook-Fahndung?
Die Polizeidirektion Hannover hat die Facebook-Fahndung als Pilotprojekt von März bis August 2011 geführt. Dann gab es wegen der Kritik durch Datenschützer eine kleine Pause und seit dem 18. Juni 2012 fahndet jetzt ausschließlich das Landeskriminalamt Niedersachsen für das gesamte Bundesland über seine Fanpage auf Facebook.

Wieso hat man sich für diese zusätzliche Fahndungsmethode über ein soziales Netzwerk entschieden?
Sinn und Ziel war es, dass wir ein anderes Publikum ansprechen und um Zeugenhinweise bitten wollten, insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene. Denn auch in deren Umfeld finden Straftaten statt und dafür wollten wir sie als Zeugen gewinnen.

Hat das funktioniert?
Ja, durchaus. Wir haben unser Ziel erreicht, dass sich jüngere Menschen, die nicht unbedingt Zeitung lesen, melden.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, in dem ein Fall über Facebook aufgeklärt werden konnte?
Wir hatten zum Beispiel eine Fahndung zu einem Raubüberfall auf eine Spielothek. Per Videoaufzeichnung wurden Bilder festgehalten, eines davon zeigte die mutmaßlichen Täter. Das wurde eingestellt und daraufhin gab es einen Zeugen, der sich gemeldet hat, weil er die Person erkannt hat.

Sie haben ja bereits die Kritik der Datenschützer erwähnt. Welche Bedenken haben sie genau und wie wurde darauf reagiert?
Die Datenschützer hatten Bedenken, da personenbezogene Daten auf dem ausländischen Facebook-Server gespeichert wurden. Dem ist man so entgegengekommen, dass man auf der Fanpage den Sachverhalt jetzt nur noch grob darstellt und dann einen Link daruntersetzt, über den man auf die Internetseite des Landeskriminalamtes in den Bereich der Fahndung kommt. Dort kann man Näheres zur Fahndung abrufen, unter anderem auch Bilder, personenbezogene Daten und Täterbeschreibungen. Diese Daten sind jetzt eben auf polizeieigenen Servern gespeichert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

                                                             Anke Smug

Werden alle ungeklärten Straftaten über Facebook kommuniziert oder nur bestimmte?
Nur bestimmte und zwar Straftaten von erheblicher Bedeutung oder herausragende Sachfahndungen, also nach besonders wertvollem Schmuck zum Beispiel. Aktuell haben wir Hinweise zur Maschsee-Leiche eingestellt. Vor Kurzem wurde der Torso einer Frau im Maschsee in Hannover gefunden, man ist sehr bemüht, den Täter zu ermitteln und verspricht sich, dass über Facebook Hinweise kommen.

Wer entscheidet, welche Fahndungen auf der Fanpage des LKA erscheinen?
Der Polizeibeamte an seinem PC entscheidet nicht „So, das poste ich mal eben auf unserer Facebook-Seite", sondern das wird gesetzlich überwacht. Die Strafprozessordnung schreibt gewisse Regularien vor. Um bei Facebook eine Fahndung einstellen zu können, muss ein Beschluss zur Öffentlichkeitsfahndung vorliegen, das regeln die Paragrafen 131 folgende der Strafprozessordnung. Das ist also letztlich ein richterlicher Beschluss.

Wer betreut den Facebook-Auftritt der Polizei?
Vier Kollegen und Kolleginnen beschäftigen sich ausschließlich mit der Facebook-Fahndung. Außerhalb der normalen Geschäftszeiten werden die Kommentare über das Lagezentrum überwacht, sodass sie an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag kontrolliert werden. Wenn Menschen verunglimpft werden, werden die Kommentare gelöscht. Gegebenenfalls werden Kommentare auch gesichert, wenn sie einen strafrechtlich relevanten Text beinhalten.

Die Fans Ihrer Facebook-Seite werden dazu angeregt, die Fahndung zu teilen, das heißt, sie über die eigene Timeline weiter zu verbreiten. Entgleitet Ihnen dann nicht die Kontrolle, weil man nicht auch noch überwachen kann, was in den Kommentaren unter den geteilten Meldungen passiert?
Wenn zum Beispiel ein Kind verschwindet, dann ist es wichtig, dass ganz schnell reagiert wird, und über das Teilen erreichen wir eine entsprechend große Anzahl an Bürgern, die Hinweise geben könnten.

Also nehmen Sie in Kauf, dass Sie die Kontrolle über die Diskussion zu diesem Beitrag nicht mehr haben?
Man kann ja nicht das komplette System überwachen. Das bringt dieses Netzwerk eben mit sich. Aber der Nutzen, den man dadurch erzielen kann, steht darüber.

Werden die Fans der Facebook-Seite über erfolgreiche Fahndungen informiert?
Es ist ein Button entwickelt worden, der wie ein Stempel aussieht. Wenn eine Fahndung beendet wurde, wird sie mit diesem Stempel versehen und man sieht: erledigt.

Würden Sie anderen Polizeidirektionen oder Landeskriminalämtern empfehlen, die Facebook-Fahndung zu nutzen?
Bei der Justizministerkonferenz wurde das ja diskutiert. Unsere Erfahrungen sind sehr positiv und wir würden uns sehr freuen, wenn sich auch andere Bundesländer der Facebook-Fahndung anschließen würden. Letztlich liegt die Entscheidung nicht bei uns.

Text: nadja-schlueter - Fotos: dpa, o.H.

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