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„Porno funktioniert wie jede andere Droge auch.“

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Frau Hilkens, sind Sie Feministin? Ich bin sicher eine Feministin und ich scheue mich nicht, das zu sagen. Ich weiß, dass der Begriff risikobehaftet ist, aber ich glaube an einen neuen Feminismus. Einen, der sich auch Männern öffnet, wo Männer und Frauen gemeinsam versuchen, Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden. Ich schreibe hier in den Niederlanden eine Kolumne für ein feministisches Magazin, für das mittlerweile auch Männer schreiben. Darüber bin ich sehr froh.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sie sagen, der Begriff ist „risikobehaftet“ - ist das vielleicht ein Grund, weshalb sich nur wenige Frauen gegen Frauenfeindlichkeit in Musikvideos, Werbung, den Medien allgemein wehren? Das liegt vermutlich daran, dass die Frauen unserer Generation lange gedacht haben, alle feministische Arbeit sei bereits getan. Ich kann studieren, alle vier Jahre wählen gehen, es herrscht Gleichberechtigung. Das alles hat uns ein bisschen faul werden lassen. Ja, wir Frauen sind faul! (lacht) Außerdem lassen uns die Musik- und Fernsehindustrie, aber auch die Werbung glauben, sie zeigen uns, was cool, hip und modern ist. Und das machen sie so gut, dass man vergisst, kritisch zu bleiben. Das kann man Frauen nicht einmal verübeln. Der Grund für das Schweigen der Frauen ist, das uns kommerzieller Sex und Porno so glänzend präsentiert wird und weniger die Tatsache, dass Feminismus nicht mehr als hip gilt. Viele Frauen empfinden die mediale Darstellung der Frau vielleicht gar nicht als Problem. Genau! Aber selbst wenn Frauen das Problem sehen, ist es immer noch eine andere Frage, ob sie den Mut haben sich öffentlich dazu zu äußern. Es gibt bestimmt viele Frauen, die sich mit den Bildern, die sie sehen und dem Bild der Frau in den Medien allgemein, nicht wohl fühlen, sich aber nur insgeheim ärgern. Denn wenn man den Mund aufmacht – und das weiß ich sehr gut – muss man auch viel Kritik einstecken. In Ihrem Buch „McSex“ geht es um die ‚Pornofizierung’ der Gesellschaft, um Filme, Liedtexte und Musikvideos mit sexistischem oder pornografischem Inhalt und um die Auswirkungen, die der Pornokonsum auf die Jugendlichen, ihre Entwicklung und ihren Umgang mit dem anderen Geschlecht haben kann. Wie kommt man als junge Frau darauf, sich damit zu beschäftigen? Es gab einfach einen Moment, an dem ich gedacht habe: Eigentlich finde ich die Liedtexte, die ich höre und die Videos, die ich sehe, ganz schrecklich, aber ich artikuliere und kommuniziere das nicht. Ich habe realisiert, dass genau dieses Verhalten die Zensur unserer Zeit widerspiegelt. Der Zeitgeist will uns weismachen, dass wir alles, was Sex und Porno betrifft, gut und hip finden müssen. Das ist auch eine Art von Zensur, es ist ein Tabu, sich negativ dazu zu äußern und das hat mich so wütend gemacht, dass ich mich hingesetzt habe und angefangen habe, das aufzuschreiben. Haben Ihre Freundinnen und Kolleginnen in Gesprächen denn Ihre Sorgen bezüglich der Pornofizierung geteilt? Es gibt in meiner Umgebung viele Leute, die das gut verstanden haben. Meine Freunde und Familie stehen hinter mir und verstehen und unterstützen mein Anliegen. Viele Frauen haben mir E-Mails geschickt, nachdem sie mich im Fernsehen gesehen oder mein Buch gelesen haben. Aber es gibt verschiedene Gruppen. Die einen denken gar nicht darüber nach, andere behaupten unreflektiert ich würde Blödsinn erzählen und es gibt die Gruppe, die froh darüber ist, dass die Pornofizierung endlich ein Thema ist, Frauen, die froh sind, zu wissen, dass sie weder prüde noch konservativ sind, sondern dass auch andere moderne Frauen ihrer Meinung sind. Die Pornoindustrie setzt weltweit etwa 100 Milliarden Euro jährlich um. Liegt die wachsende Pornofizierung einfach in der schieren Marktmacht dieser Branche begründet? Sicher. Es gibt mittlerweile schon Pornofirmen die eine Börsennotierung haben. Aber es ist wichtig sich davon nicht abschrecken zu lassen, wir dürfen nicht aufgeben, nur weil diese Industrie so groß ist. Die Sexualisierung in den Medien geschieht in der Praxis auch durch Frauen. Warum machen viele Frauen auf der Produzentenseite mit? Nur aus finanzieller Abhängigkeit heraus? Einige bestimmt, aber Ariel Levy (amerikanische Journalistin, Anm. der Redaktion) hat beobachtet, dass, solange Männer das dominante Geschlecht sind, es für Frauen vielleicht besser ist, sich einfach anzupassen. So geht man Kritik aus dem Weg und das Leben gestaltet sich leichter. Ich hätte wahrscheinlich auch besser nackt für mein Buchcover posiert und zu mehr Pornokonsum aufgerufen. Das wäre bestimmt besser für meine Popularität gewesen. (lacht) Deswegen feiert die Autobiografie der Pornodarstellerin Jenna Jameson vielleicht Bestseller-Erfolge... Ihr Buch „Pornostar“? Ja, das ist bestimmt ein Bestseller, aber als Jenna Jameson Kinder bekommen hat, hat sie ihr Pornostarleben sofort beendet. Sex und Pornografie sind allgegenwärtig. Muss man sich jetzt fragen, ob die sexuelle Revolution gescheitert ist, für die die Frauen einst gekämpft haben? Genau, oder ob die sexuelle Revolution vielleicht noch nicht beendet ist. Ich denke, wir haben der sexuellen Revolution viel zu verdanken, die Gleichberechtigung, das Recht zu studieren und zu wählen, Sex, ohne gleich Kinder zu bekommen, weil wir jetzt Kondome und die Pille haben. In Holland ist es aber immer noch oft so, dass Männer in denselbem Job mehr verdienen. Es gibt noch immer kleine und größere Probleme. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist noch nicht ganz vollzogen und jetzt ist es an unserer Generation etwas dafür zu tun - zusammen mit den Männern. Das ist auch der größte Unterschied zu unseren Vorgängerinnen, damals standen Männer auf der einen Seite und Frauen auf der anderen, heute müssen wir sehen, dass wir gemeinsam weiter kommen. Besteht die Möglichkeit, dass sich das Problem langfristig von selbst verringert wenn wir uns weiter von einer patriarchalen Gesellschaft wegbewegen? Ich hoffe es, denn ich glaube nicht, dass ich das alles allein machen kann. (lacht) Wenn die Zeit mir etwas Arbeit abnehmen würde, wäre das sehr schön. Die Art und Weise wie Frauen in Pornos dargestellt werden, bereitet Ihnen großes Unbehagen, Sie sehen darin eine Rückkehr zu überholten Ansichten und Machtverhältnissen... Ja, sehr überholt. Und was mich so wütend macht, ist, dass es von den Machern so gut verkauft wird, dass man als Konsument oft gar nicht sofort merkt, dass es eine Darstellung von sehr konservativen Machtverhältnissen ist. Wir glauben, das sind alles befreite Leute, die Spaß haben und cool sind, aber wenn man genauer hinschaut, sieht man Machtverhältnisse, wie sie in den 50er Jahren waren. Der Mann von damals hatte eine braune Hose an und eine Pfeife im Mund, jetzt ist die Pfeife ein Joint und die braune Hose sind Baggypants, aber sonst hat sich der Mann nicht besonders verändert. Die zweite Generation der Feministinnen hat alles getan, um das Korsett zu öffnen. Sie haben gesagt: Wir lassen uns von der Kirche nicht vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Jetzt ist es die Industrie, die sagt, dass eine gute Frau Brüste wie Beyonce, Beine wie Jennifer Lopez und Lippen wie Angelina Jolie haben muss. Das ist ein neues Korsett! Mit wenigen Klicks ist es jedem Internetnutzer möglich, Pornos aller Art und in allen Auswüchsen zu sehen. Ja, und man sieht, dass die Genres immer aggressiver werden. Porno funktioniert wie jede andere Droge auch. Man sieht den ersten Porno und findet ihn super, wenn man aber 50mal einen normalen Porno gesehen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er einen nicht mehr erregt - also sucht man etwas Extremeres. Man kann im Internet sehen, dass selbst der reguläre Porno immer aggressiver wird. Pornosucht ist ein Problem, worüber nicht geredet wird und das ist nicht nur ein Problem bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen. Aber besonders auf Jugendliche kann das großen Einfluss haben? Ja. Die neue Generation hat ein Recht auf eine gesunde sexuelle Entwicklung und die Erwachsenen müssen den Jugendlichen damit helfen. In Bayern gibt es das Pilotprojekt „Medienführerschein“, allerdings nur für die Unterstufe. Sie selbst fordern Medienerziehung als Unterrichtsfach in den Schulen. Wie soll das in der Umsetzung aussehen? Obwohl das Internet ein einziges Pornotopia ist, geht es in den Schulen immer noch sehr konservativ zu. Sexuelle Diversität, Homosexualität oder wie man sexuelle Grenzen absteckt, wird nicht thematisiert. Jugendliche müssen aber lernen, Grenzen zu setzen, sie müssen lernen zu sagen: Bis hierher und nicht weiter! Natürlich muss man mit den Kindern in den Schulen keine Pornos schauen, sie wissen eh, wovon die Rede ist. Man muss ihnen aber Fragen stellen: Wer von Euch schaut manchmal Porno? Was siehst Du da? Was denkst Du dabei? Glaubst Du wirklich, dass Sex so ist, wie er im Porno gezeigt wird? Sie müssen lernen, das Gesehene in die Realität einzuordnen. Weil es sonst Ihre Entwicklung beeinflusst? Genau. Wir wissen aus Untersuchungen, dass die Fotos in Magazinen digital bearbeitet werden und viele Mädchen deswegen ein schlechtes Bild von ihrem eigenen Körper haben. Also müssen wir darüber reden und aufzeigen, dass es diese Manipulation gibt. Viele Jugendliche wissen gar nicht, wie viel manipuliert wird und es ist wichtig, dass sie über so etwas nachdenken, damit sie es einordnen können. Wenn wir akzeptieren, dass wir in einer pornofizierten oder sexualisierten Gesellschaft leben, dann müssen wir das auch im Unterricht thematisieren, denn darauf haben die Kinder ein Recht. Im deutschen Fernsehen ist die Show "Germany's Next Topmodel" sehr erfolgreich. Wie stehen Sie denn zu einer solchen Sendung? Hier in Holland gibt es diese Sendung ebenfalls. Offensichtlich träumen sehr viele Mädchen von einer Karriere im Modelbusiness. Besonders erschreckend finde ich, dass oft bereits sehr dünnen Mädchen gesagt wird, sie müssten abnehmen. Ich habe kein Problem damit, dass diese jungen Frauen Models werden wollen, auch gut auszusehen ist toll. Aber die Tatsache, dass heutzutage selbst Fotos von den schönsten Frauen für Werbung und Magazine digital bearbeitet werden, finde ich sehr schade. Schönsein bedeutet offensichtlich, keine Poren und auch sonst nichts zu haben. Ich würde mir wünschen, dass Mädchen und junge Frauen nicht aussehen wollen wie die Frauen auf solchen Bildern. Aber das ist wohl eine aussichtslose Mission! Wie weit ist Ihre Initiative für Medienerziehung in den Schulen in Ihrer Heimat denn mittlerweile? Laut Aussage des Bildungsministers soll der Sexualkundeunterricht verändert werden. Alle Schulen müssen mit Kindern über sexuelle Diversität und Homosexualität reden, auch die islamischen und katholischen Lehranstalten. Darüber bin ich sehr froh, denn alle Kinder müssen lernen, dass es Homosexualität gibt und zu Toleranz erzogen werden. Zudem muss in allen Schulen über sexuelle Grenzen gesprochen werden. Ein großes Problem ist ja aber, dass Jugendliche oft uneingeschränkten Zugang zum Internet haben und alles sehen können. Medienerziehung muss also im Elternhaus beginnen... Ich war überrascht, dass es in Holland so viele Kinder gibt, die nicht mit Ihren Eltern über das reden, was sie im Internet machen. Viele haben einen Computer in ihrem Zimmer und können daran machen was sie wollen, solange sie wollen. Das zeugt von sehr großer Naivität! Aber leider kennen die Kinder sich oft besser mit dem Internet aus, als die Eltern. Wenn man ein Wort in das Google-Suchfenster eingibt, das auf den ersten Blick nichts mit Sex zu tun hat, kann es immer noch sein, dass Kinder auf Pornos stoßen. Wir müssen also auch die Eltern auf die Möglichkeiten des Internets und vor allem die damit verbundenen Risiken hinweisen. Wir müssen ein neues Bewusstsein schaffen. Glauben Sie denn noch an technische Möglichkeiten wie Filtersysteme? Oder kann allein Aufklärung über negative Einflüsse die Jugendlichen vom Pornokonsum abhalten? Man kann es wenigstens mit einem Filter versuchen. Wenn er 80 Prozent aller Pornos herausfiltert, dann gibt es zwar immer noch 20, aber das würde schon helfen. Wir wissen, dass Kinder im Durchschnitt elf Jahre alt sind, wenn sie ihren ersten Porno sehen, vor allem Väter gehen zu leichtfertig mit dieser Tatsache um und sagen, sie hätten in dem Alter schließlich auch den ersten Playboy gesehen. Bilder im Playboy und die Pornofilme, die man heute mit wenigen Klicks im Internet findet, haben absolut nichts gemeinsam! Schon in einem gemäßigten Porno sieht man oft Frauen, die geschlagen werden oder einen Mann drei Stunden lang oral befriedigen müssen und sich dabei den Schwanz so weit in den Rachen schieben, bis sie würgen müssen. Das hat nichts mit dem Playboy zu tun. Es ist zu einfach zu sagen, „ich habe das früher auch gemacht, warum sollte mein Sohn das nicht machen?“ Ist das Internet an allem schuld? Ach nein, sicher nicht. Es sind ja immer Menschen, die das machen. Redakteure von MTV beispielsweise sagen, dass sie nur zeigen, was der Zuschauer will. Im Internet bekommt man vielleicht auch Dinge zu sehen, die man nicht sehen will, schreckliche Sachen. Doch auch wenn für das Medium Internet keine Werte und keine Moral zu gelten scheinen, kann es noch lange nicht sein, dass sich auch die Moral anderer Medien, wie die des Fernsehens, nach unten orientiert. Es kann nicht sein, dass wir aufgrund der Macht des Internets alle moralischen Werte vergessen. Ihr Buch hat in den Niederlanden hohe Wellen geschlagen. Sie wurden regelrecht angefeindet. Gerade von den als liberal geltenden Niederlanden hätte man eine etwas andere Reaktion erwartet. Ja, und dadurch habe ich auch etwas Wichtiges über Holland gelernt. Ich denke, dass Deutschland progressiver ist, zumindest zeigen mir das die ersten Reaktionen, die oftmals viel intelligenter und überlegter sind als in Holland. Ich glaube das liberale Image der Niederlande ist nicht mehr realistisch, das ist nur die Oberfläche. Unter der Oberfläche liegen immer noch sehr viele sexistische Ideen und wir können an unserer Politik sehen, dass wir xenophober sind, als wir dachten. Die rechtspopulistische Partei PVV ist von den Holländern in das EU-Parlament gewählt worden Also, ich denke, wir sind nicht so liberal, wie es die Welt von uns denkt. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie „manche Pornogenres bekämpfen“ wollen - schadet das nicht Ihrem Anliegen, weil man Ihnen so sehr schnell Zensur vorwerfen kann? Es ist nicht so, dass ich Sachen verbieten will, ich habe nur gesagt, dass es Pornogenres gibt, die meiner Meinung nach sehr gefährlich und sehr frauenfeindlich sind. Ich möchte anregen, darüber nachzudenken. Und wie eine amerikanische Autorin gesagt hat: „Die Antwort auf schlechten Porno ist nicht kein Porno, sondern guter Porno.“ Ich bin sehr froh, dass das alternative Genre, in dem Frauen sexuell auf ihre Kosten kommen und nicht nur der Genuss des Mannes im Mittelpunkt steht, auf dem Vormarsch ist, das wird populärer. Uns muss klar sein, dass unsere Kinder Pornos zu sehen bekommen und wir müssen mit ihnen darüber sprechen, auch in den Schulen. Wir müssen ihnen beibringen, was sie sehen und in welchem Verhältnis es zur Realität steht. Interview: Ivonne Büttner

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Niederländerin Myrthe Hilkens, Jahrgang 1979, war lange Musikjournalistin und schreibt als freie Autorin und Kolumnistin für verschieden niederländische Medien. In einem Manifest forderte sie die Einführung von „Medienerziehung“ als Unterrichtsfach in Schulen, es wurde von über 10.000 Menschen unterzeichnet. Ihr Buch "McSex - Die Pornofizierung unserer Gesellschaft" ist im Orlanda Verlag erschienen.

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