Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Surfer sind dumm und kriegen jede Frau? Surf-Pro Marlon Lipke über die Vorurteile seines Sports

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Marlon ist nicht nur am Strandleben interessiert - auch wenn das hier anders aussieht Hallo Marlon. Schon im Wasser gewesen heute? Nein, bin gerade erst aufgestanden. Wir gehen später. Surfen ist im Vergleich zu Sportarten wie Tennis oder Fußball ja mit sehr vielen Klischees beladen. Lass uns all deren tatsächlichem Wahrheitsgehalt doch mal ein wenig auf den Grund gehen. Klischee Nummer 1: "Das Leben eines Surfers besteht darin, den ganzen Tag nur am Strand herumzuhängen." Ich verbringe schon viel Zeit am Strand. Aber als Surfer reist man auch sehr viel und kann dabei andere Kulturen kennen lernen. Man macht Erfahrungen, die man in der Schule nicht bekommt, und auch in kaum einer anderen Sportart. Klischee Nummer 2: "Wenn die Wellen perfekt sind, ist alles andere unwichtig. Auch die Freundin kommt da im Zweifelsfall erst an zweiter Stelle und muss warten." Ja, das stimmt, glaube ich. Das muss sie aber verstehen. Andersrum verhält es sich ja nicht anders. Wenn Frauen einen Klamottenladen entdecken und Shoppen gehen, sind wir ja plötzlich auch völlig uninteressant. So gesehen haben die es eigentlich noch gut, weil sie am Strand warten können und nicht in einem Shopping Center gefangen sind. Klischee Nummer 3: "Das Gefühl, eine Tube zu surfen, ist besser als Sex." Habe ich auch schon oft gehört. Leute, die so was sagen, wollen damit aber wahrscheinlich nur ihre Freundin ärgern. Ich persönlich tu mich mit einer Antwort ein bisschen schwer, weil ich, glaub’ ich, wesentlich mehr Tubes als Sex hatte. Die sind also nicht mehr so etwas besonderes. Klischee Nummer 4: "Surfer sind dumm, weil sie bei guten Bedingungen immer das Wasser der Schulbank oder der Uni vorziehen und sie außer Surfen sowieso nichts anderes interessiert." Ich finde Bildung schon wichtig und interessiere mich für viele verschiedene Dinge abseits des Surfens. Ich rede auch nicht so gerne übers Surfen, und schaue so gut wie nie Surffilme. Wenn ich jemanden neu kennenlerne, kommt das Thema zwar zwangsläufig früher oder später auf. Aber dann versuche ich, das Gespräch irgendwann in eine andere Richtung zu lenken. Klischee Nummer 5: "Wenn sie wollen, kriegen Surfer mit ihren gestählten Körpern und ihrem Draufgänger-Image jede Frau." So leicht ist es dann doch nicht. Es kommt ja nicht nur aufs Aussehen an, sondern auf die Person, die man ist. Aber die Tatsache, dass man als Surfer eine Extremsportart repräsentiert, mit der Meer, Sommer und Strand assoziiert wird, wirkt auf Mädchen schon attraktiv. Es hängt natürlich auch davon ab, wo man hingeht. Auf Partys, wo lauter Mädchen sind, die auf Surfen stehen und einen kennen, hat man es als Surfprofi schon leichter. In Deutschland würde das wohl nicht funktionieren. Klischee Nummer 6: "Die Reisen eines Surfprofis bestehen darin, die besten Spots der Welt zu surfen, in Hängematten zu liegen und Partys zu feiern." Nicht ganz. Wir sind ja nicht nur zum Spaß im Wasser, sondern surfen größtenteils Contests. Und die sind oft an Orten, an denen die Wellen total kacke sind. Dazu kommt, dass das ganze Reisen ziemlich an die Substanz geht. Im Sommer habe ich fünf Contests direkt nacheinander. Da fliege ich innerhalb von ein paar Wochen von Portugal nach Südafrika, wieder nach Portugal, dann nach Californien, nach Japan, nach England, dann nach Frankreich. Man hat permanent einen Jetlag. Und die Faszination solcher Trips nimmt im Laufe der Zeit einfach ab. Man gewöhnt sich an das, was man tut. Es wird Normalität, man schätzt es weniger und sieht es mehr als normalen Job. Auch wenn man diesen sehr mag, ist nach zehn Jahren Reisen der Reiz des Neuen einfach weg. Klischee Nummer 7: "Surfen kann man am Besten in Hawaii." Man kann nie sagen, wo es am besten ist. Es kommt darauf an, ob man große oder kleine, schwere oder einfache Wellen sucht. Hawaii ist sehr voll, die Stimmung im Wasser ist aggressiver als an allen anderen Orten, man hat überhaupt keine Ruhe. Ich steh da nicht so drauf, da ich mich lieber zurückziehe wenn es sehr voll ist. Ich prügele mich nicht um Wellen. Aber in einem Interview in der Surfzeitschrift Tide sagt dein Bruder Melvin - ebenfalls ein Surftalent - , du hättest den ehrgeizigen und kompetitiven Charakter, der ihm fehlt… Ich bin schon sehr ehrgeizig, aber mehr auf mich selbst bezogen als auf andere. Ich muss mich im Wasser nicht ständig vor anderen profilieren. Ich stecke mir selbst Ziele, die ich erreichen will. Gefahren, Gruppenzwang und Suchtpotenzial: Auf der nächsten Seite spricht Marlon über große Wellen, seine Ängste und Leute, die nur auf der Imagewelle mitreiten anstatt auf echten Wogen.


Wenn Surfen in den Medien auftaucht, sind meistens Bilder von riesigen Wellen zu sehen, die wahnsinnig gefährlich wirken. Ist Surfen – Vorsicht, Klischee Nummer 8 - ein Draufgängersport? Das meiste, was man in den Medien zu sehen kriegt, ist genauso gefährlich, wie es aussieht. Aber generell kann man sich natürlich aussuchen, was man macht. Snowboarden wirkt auch gefährlich, wenn man Filme sieht, in denen die Jungs steile Berge herunterfahren und von einer Lawine verfolgt werden. Aber man kann ja auch auf einen kleinen Hügel gehen…

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Marlon steckt sich seine Ziele selber. Sieht aus, als würden sie recht hoch hängen. Warst du denn schon mal in einer prekären Situation? Ja, das passiert öfters. Ich gerate eigentlich jeden Winter in sehr unangenehme Situationen, werde so lange unter Wasser gehalten, dass ich Panik kriege, versuche hochzukommen, nur um dann erst richtig runtergezogen zu werden. So lange ist die Zeit zwar wahrscheinlich gar nicht, aber wenn man von einer großen Welle unter Wasser gedrückt und durchgeschleudert wird, kommt einem eine Sekunde vor wie 20. Hast du dann auch manchmal Angst? Ja. Wenn es groß ist, habe ich schon manchmal Respekt und würde lieber draußen bleiben. Und wie gehst du damit um? Ich gehe einfach rein. Es sei denn, ich bin alleine, dann bleibe ich eher mal draußen. Aber wenn ich mit mehreren Leuten unterwegs bin, fühle ich mich sicherer, weil im Notfall jemand da ist, der mir helfen kann. Und man pusht sich natürlich gegenseitig. Das hört sich ein bisschen nach Gruppenzwang an. Lässt du dich zu etwas überreden, auch wenn es dir zu groß ist? Ja klar. Das bringt einen zwar manchmal in gefährliche Situationen. Andererseits surft man dadurch auch Wellen, die man sonst nie bekommen würde, hat Erlebnisse, die man bisher nicht hatte. Das hebt die Angst vor der Gefahr dann wieder ein wenig auf. Klischee Nummer 9: "Kelly Slater ist der beste Surfer, den es je gab und überhaupt ein gottähnlicher Wahnsinnstyp." Ja. Stimmt. Er macht einfach die verrücktesten Sachen, treibt alles noch ein Stück weiter und hebt den Sport immer wieder auf ein neues Level. So jemanden gab es einfach noch nie, und man kann sich schwer vorstellen, dass es so jemanden noch einmal geben wird. Klischee Nummer 10: "Wer einmal mit dem Surfen angefangen hat, ist für immer süchtig danach." Was ich so beobachtet habe, stimmt das größtenteils. Wenn man Surfen einmal richtig gelernt hat, ist es sehr schwierig, wieder davon loszukommen. Es packt die Leute einfach, und sie haben so einen Spaß daran, dass sie es nicht mehr sein lassen können. Aber es gibt auch diejenigen, die nicht so sehr von dem Sport an sich gefangen sind, sondern von dem Drumherum und dem, was er repräsentiert. Die kriegen das Surfen oft gar nicht auf die Reihe, identifizieren sich aber mit diesem Surfer-Image, und merken zum Beispiel, dass das auch bei den Mädels gut ankommt. Es kommen viele Spanier hier runter nach Portugal, die unendlich Sticker auf ihre Autos kleben, aber nicht auf dem Brett stehen können. Oder – das sind dann allerdings meist Deutsche oder Engländer – die Lycras (Anm. d. Red.: Eine Art eng geschnittenes T-Shirt, dass unter dem Neoprenanzug getragen wird, um Schürfwunden zu vermeiden) zum Ausgehen anziehen und Boardshorts über ihren Neoprenanzügen tragen, was funktionell gesehen gar keinen Sinn macht und einfach nur Fashion-Scheiße ist. Surfen ist eben ein Boomsport geworden, immer mehr Leute wollen dabei sein. Um dabei sein zu können, machen viele Leute Kurse in Surfcamps. Die versprechen, einem in zwei Wochen den Spaß im Wasser beizubringen. Ist das möglich? Möglich ist es auf jeden Fall. Aber es kommt schon auf die Kondition an, die man mitbringt. Wenn man Probleme hat, vom Boden aufzustehen oder zwei Liegestützen zu machen, dann wird’s schwierig. Aber wenn man sportlich ist und jemand einem Tipps gibt, geht das schon recht schnell. Wir hatten gerade eine Gruppe Mädels bei uns im Camp, die auch Joga machen. Nach fünf Tagen haben die alle schon Wellen abgefahren. Wie hast du Surfen gelernt? Bei mir hat das wesentlich länger gedauert. Ich habe es mir selber beigebracht, bin aber sehr lange nur nah am Ufer geblieben, wo die Wellen als Weißwasser auslaufen und nicht so viel Kraft haben. Ich bin erst nach einem halben Jahr meine erste richtige Welle gefahren. Stört es dich denn, dass Surfen so einen Hype erfahren hat und kommerzialisiert wird? Das hat zwei Seiten. Einerseits finde ich es übertrieben, dass alle versuchen, sich da reinzuhängen, und dass in immer mehr Werbespots für sonst was plötzlich Surfer auftauchen. Andererseits ist es gut, dass der Sport boomt, weil das natürlich auch mein Leben so, wie es ist, finanziert. Fotos: Carlos Pinto

  • teilen
  • schließen