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Was muss ich über Indiegames wissen, Nils Deneken?

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Die Computerspielindustrie boomt, für Spiele werden mittlerweile horrende Produktionskosten ausgegeben. Geld, das irgendwie wieder reinkommen muss. „Keine Experimente!“ scheint deswegen das Motto der Branche zu lauten. Der Trend geht zu Fortsetzungen und zu neuen Aufgüssen der immer gleichen Spielideen. Denn wer kann schon dafür garantieren, dass neue, innovative Spiele überhaupt genügend Käufer finden? „Das muss sich ändern!“ findet die Indiegameszene, die sich diese Woche in der Nähe von Seattle beim Indiecade-Festival getroffen hat. Unter ihnen auch Nils Denken, der mit seinem Spiel „Rückblende“ für einen Preis nominiert. Wir haben bei ihm nachgefragt, was Indie-Games überhaupt sind und ob sie die Computerspieleindustrie aus ihrem kreativen Dämmerzustand befreien können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich höre schon Indiemusik und schaue mir in kleinen Kinos Independentfilme an. Jetzt soll ich also auch noch Indiegames spielen… Ja! Die Mainstreamgames bieten alle die gleiche emotionale Richtung. Immer geht es um Aggression und Stress. Das kann zwar zu einem bestimmten Grad auch entspannend sein, aber es ist letztlich doch immer dasselbe. Independentgames dagegen machen auch mal traurig oder melancholisch. Bei Independentspielen kannst Du auch verrücktere Ideen finden als in Mainstreamspielen, die ja oft nur Bekanntes wiederkäuen. Die spielerische Vielfalt ist bei Indiegames viel größer, weil da nicht der kommerzielle Erfolg im Vordergrund steht. O.k., wie habe ich mir denn dann ein typisches Indiegame vorzustellen? Es gibt kein typisches Indie Spiel, aber es gibt Dinge, die haben alle Indiespiele gemeinsam. Generell werden Indiespiele von einem kleinen Team gemacht. Oft programmiert eine Person das Spiel, macht die Musik dazu, zeichnet die Grafiken usw. Dann haben Indie-Spiele immer nur ein kleines Budget zur Verfügung, weil sie in der Regel keinen Publisher, also keinen Verlag haben, der das Spiel finanziert und damit Gewinn machen möchte. Und nicht zuletzt sollten Indie-Spiele auch einen gewissen Grad an Innovation besitzen. Das können Innovationen im Gameplay sein, in der Art wie man eine Geschichte erzählt, die Emotionen die das Spiel anspricht oder indem man einen ungewöhnlichen grafischen Stil wählt. Was sind das für Leute, die Indie-Games machen? Sehr viele von ihnen haben schon mal in der Spieleindustrie gearbeitet und haben keinen Bock mehr darauf, weil die Spiele immer dieselben sind und sie keine kreativen Freiheiten haben. Die Teams sind riesig und wegen dem ganzen Geld, das in die Spiele reingepumpt wird, dürfen sie kaum neue Ideen umsetzen. Die Investoren wollen ihre Kohle schließlich wiederhaben, deswegen vermeiden sie Risiken. Diese frustrierten Gamesdesigner wollen, dass sich das neue Medium als Kunstform weiterentwickelt und stoßen zur Indiegame-Szene. Wie bist Du denn in die Indiegames-Szene gerutscht? Als Abschlussarbeit für mein Kommunikationsdesign-Studium habe ich das Spiel „Rückblende“ gemacht. Ich habe mich zwar immer für Spiele interessiert, aber trotzdem war das Projekt anfangs gar nicht als Spiel gedacht. Ich wollte eigentlich etwas mit selbst komponierter Musik machen, aber Musik alleine war für eine Abschlussarbeit doch etwas wenig. Also musste ich mir zusätzlich etwas Visuelles einfallen lassen. Irgendwann kam ich auf die Idee, etwas Interaktives zu machen und daraus ist dann „Rückblende“ entstanden. Durch Zufall ist das Spiel dann auf das Indiegames-Festival gelandet und wurde sogar für einen Preis nominiert. Dein Spiel erinnert optisch ein bisschen an die Augsburger Puppenkiste oder an das Sandmännchen…. Ja, das stimmt, aber es war eigentlich nicht beabsichtigt. Ich wollte eine abstrakte Traumwelt erschaffen und habe die Kulissen deswegen selbst zusammengebastelt und abfotografiert. Das Ergebnis war dann tatsächlich dieser Sandmännchenlook. Aber die Intention war ein Spiel ästhetisch interessant zu machen. Die meisten Mainstreamspiele gehen ja immer mehr in die photorealistische Richtung. Ich dagegen möchte, dass die Spiele abstrakter werden und uns Dinge zeigen, die wir noch nicht gesehen haben. Das ist ein Ansatz, den viele Indie-Games verfolgen. Wie groß ist denn die Indiegames-Szene? Das kann man nicht genau sagen, denn die Indiegame-Szene ist über die ganze Welt verteilt. Es gibt zwar viele Plattformen, aber keine Dachorganisation oder Ähnliches. Auch auf Festivals, wie dem Indiecade oder dem Indiegames Festival, sieht man immer nur einen kleinen Ausschnitt der Szene. Auf jeden Fall ist aber die Wahrnehmung noch sehr gering. Anders als zum Beispiel bei Indiemusik glaube ich, dass nur sehr wenige Leute jemals etwas von Indiegames gehört haben oder schon mal eins gespielt haben. Du hast gesagt, dass die Vielfalt bei den Indiegames größer ist als im Mainstreambereich. Was sind das für Spiele, die auf dem Indiecade gezeigt werden? Alle mögliche: Es gibt Fungames, wie zum Beispiel „Dark Room Sex Game“ von einem dänischen Team. Dort muss man Wii-Controller schwingen um groteske Sex-Laute auszulösen und sich gegenseitig zum Orgasmus bringen. Hört sich komisch an, ist aber sehr lustig. Dann gibt es Spiele wie „The Misadventures of P.B. Winterbottom“. Ein klassisches Jump & Run, das aber in schwarz-weiß gehalten ist und an die Slapstickfilme von Charlie Chaplin erinnert. Und es gibt eine Reihe von Spielen die nachdenklich machen sollen. Dazu gehört wohl auch „The Graveyard“. Das habe ich gespielt, darin schlüpft man in die Rolle einer alten gebrechlichen Frau, die sich auf eine Friedhofsbank setzt. Das ist schon sehr experimentell… Die Grenzen zur Kunst sind auf jeden Fall fließend. Wir haben auch auf dem Festival über diese Frage diskutiert. Viele sagen, dass Spiele etwas sind, in dem man seine Spielwelt beeinflussen kann. Das ist in „The Graveyard“ nicht der Fall und bei meinem Spiel eigentlich auch nicht. Trotzdem: Ich finde, dass es sich doch um Spiele handelt. Was soll es denn sonst sein? Schließlich beziehen auch solche Spiele den Konsumenten, also den Spieler, mit ein. Wenn man jetzt für solche Spiele noch mal eigene Kategorien erfindet, dann wird es irgendwann zu kompliziert. Und Überhaupt: Wer sagt überhaupt, dass sich Spiel und Kunst widersprechen? Madonna hört sich immer an, welcher Sound in den Underground-Clubs gespielt wird und macht dann ein Album daraus. Ist das hier auch so, dass Indiegames den Mainstream beeinflussen? Ja, das würde ich schon sagen. Nehmen wir das Spiel „Little Big Planet“, das in zwei Wochen für die Playstation 3 erscheint und extrem gute Kritiken bekommen hat. Das Spiel wurde von Leuten gemacht, die schon das Indiegame „Rag Doll Kung-Fu“ erschaffen haben. In beiden Spielen erinnern die Figuren an Stofftiere und Marionetten. Hier hat das Indiegame das Mainstreamgeame eindeutig beeinflusst. Und oft werden Indie-Spiele auch groß raus gebracht. Diesen Monat erscheint zum Beispiel „The Blob“ für die Wii. Das Spiel wurde ursprünglich von Studenten aus Utrecht entwickelt und kommt jetzt für 50 Euro in die Läden. Trotzdem kann man es nach wie vor für den PC legal kostenlos herunterladen. Wenn ich noch nie ein Indiegame gespielt habe, was wäre dann der richtige Einstieg für mich? Mein Liebslingsspiel ist „Flow“, das man auch im Browser spielen kann. Man spielt eigentlich nur einen Organismus, der im Wasser schwimmt und Plankton frisst. Sehr entspannend. Wer es lustig mag, sollte mal das Spiel „Gesundheit“ ausprobieren. Glaubst Du, dass die Indieszene Computerspiele insgesamt interessanter machen könnten? Auf jeden Fall. Letztlich sind Independent-Spiele das, was Computerspiele sein sollten. Man hört ja auch aus der Mainstreamszene, dass die Leute nicht damit zufrieden sind, dass sie immer die gleichen Spiele machen. Die Leute wollen auch mal etwas anderes Spielen als Need for Speed 12 oder Final Fantasy 13. Hier kann die Indie-Szene zeigen, das Computerspiele mehr sein können als das, was zu Zeit gemacht wird.

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