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"Wenn wir die Spitze des Linksextremismus sein sollen, kann sich der Verfassungsschutz freuen."

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jetzt.de: Am Samstag ist euer Album bei dem Hamburger Label Audiolith erschienen. Seid ihr dabei berühmt zu werden?
Martin: Das würde ich nicht sagen, aber im Moment läuft es echt gut. Es geht immer weiter, das ist ein Gefühl von Grenzenlosigkeit.
Monchi: Audiolith fanden wir immer schon cool und dass die uns jetzt unterstützen, ist das Beste, was uns passieren konnte. Wir bekommen viel Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Auch Rat, aber nicht von oben herab, sondern auf freundschaftlicher Ebene.
 
Ihr sagt von euch, dass ihr euch musikalisch weiterentwickelt habt, in welche Richtung?
Martin: Ich würde sagen, wir haben einen wiedererkennbaren Sound geschaffen. Das hat mit dem Einsatz der beiden Trompeten zu tun. Dadurch, dass wir professionelle Tontechnik benutzen konnten, klingt das Album auch klarer, runder. Das ist schon ein großer Sprung im Vergleich zu unseren vorherigen Platten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Eure Albumreleaseparty war vor einer Woche in Demmin, das ist eine Kleinstadt in Vorpommern mit 11 000 Einwohnern. Eure Hamburger Fans sind mit Bus und Bahn angereist. Wieso habt ihr nicht die Demminer nach Hamburg reisen lassen?
Monchi: Wir sind da zur Schule gegangen und haben uns auf dem Demminer Goethe-Gymnasium kennengelernt. In Demmin und den umliegenden Dörfern ist nicht viel los. Wir hätten uns als Jugendliche den Arsch abgefreut, wenn da so was stattgefunden hätte. Wir haben ja auch nicht nur unsere neue CD vorgestellt, sondern haben einen ,„Antifaschistischen Aktionstag“ aus dem Ereignis gemacht. Tagsüber gab es einen Vortrag über den NSU von der Landtagsabgeordneten Katharina König (Anmerkung d. Red.: Abgeordnete der Partei „Die Linke“ im thüringischen Landtag) und eine Podiumsdiskussion wegen des jährlich stattfindenden Neonaziaufmarsches in Demmin. Am Abend waren über 600 Leute bei unserem Konzert, darunter viele Freunde. Das war grandios. Was uns jedoch am meisten gefreut hatte, war, dass viele Menschen aus der Stadt und dem Landkreis darunter waren. 
 
Eure Herkunft spielt in den Songs immer wieder eine Rolle, ein Lied heißt: „Geschichten aus Jarmen“, das ist auch eine Kleinstadt in Vorpommern.
Monchi: Da komme ich her.

Was bedeutet Heimat für euch?
Martin: Wir waren in den letzten Jahren viel mit der Band unterwegs, haben in ganz Europa gespielt. Das war großartig. Heimat hat ja immer etwas von so einem „Wir“-Gefühl und ist auf eine Art ausgrenzend, denn wo es ein „Wir“ gibt, muss es auch „Ihr“ geben. Das finden wir uncool. Aber Zuhause ist da, wo man liebt und lebt und wo man Zukunft sieht. Wir sind allerdings alle in die etwas größeren Städte in Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Für mich ist Heimat auch eine Hassliebe. Ich bin froh, aus meiner Heimatstadt weg zu sein. 
 
Warum?
Martin: Es gibt dort so gut wie keine Menschen, die in unserem Alter sind. Und dann haben wir uns ja als Band als antifaschistisch positioniert. Dann muss man mit Anfeindungen leben. Die ewigen Diskussionen in der Schule, ich war es leid, mit meiner Haltung immer alleine zu sein.
 
Worum ging es in den Diskussionen?
Martin: Das konnten Phrasen auf dem Schulhof sein wie „Europa den Europäern, Afrika den Affen“ oder auch Diskussionen im Geschichts- oder Geographieunterricht. Zum Beispiel, ob die Europäische Union die Nationalstaaten auffrisst. Es gab eben in jeder Klasse zwei, drei Leute, die offen rechts waren. Eine große Masse, die versucht hat neutral zu bleiben und dann ein paar wenige, die gegen die rechte Ideologie argumentiert haben. Da war man aber oft alleine. Und ganz ehrlich: Ohne die Band weiß ich auch nicht, wo ich gestanden hätte. Mit 14 habe ich selbst auch Landser (Anmerkung d. Red.: Verbotene Rechtsrockband) gehört. Das war cool, das war provokant. 
 
Im Oktober ist der aktuelle Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht worden. Euch sind eineinhalb Seiten gewidmet.
Monchi: Wir waren gerade auf einem Konzert in Berlin, als ein Freund mir davon erzählte. Im ersten Moment dachte ich, er macht einen schlechten Witz. Aber ehrlich gesagt überrascht es mich nicht. Ich sehe das im Zusammenhang mit der Extremismusklausel. Wenn Links- und Rechtsextremismus gleich gefährlich sein sollen, muss es dafür auch Beispiele geben und weil auf der linken Seite in Mecklenburg-Vorpommern nicht viel zu holen ist, müssen wir dafür herhalten. Zumal wir offen auftreten und regelmäßig Meinungen und Standpunkte in unserem Blog veröffentlichen. Aber wenn wir die Speerspitze des Linksextremismus sein sollen, dann können sich die Leute beim Verfassungsschutz eigentlich nur freuen. Dann scheint es ja keine ernsthaften Probleme zu geben.
 
Seht ihr euch als Linksextremisten?
Monchi: Wir sehen uns als antifaschistische Band und sind Menschen, die von „Bratwurst essen gegen Rechts“ nicht viel halten. Wir finden Blockaden gegen Neonaziaufmärsche viel sinnvoller und setzen uns auch regelmäßig selbst auf die Straße.
 
Habt ihr ein Interesse daran, den Staat zu stürzen?
Monchi: Wenn ich das betreiben wollte, würde ich anders agieren. Keine Musik machen. Wahrscheinlich in den Untergrund gehen. Ich sehe für mich in Mecklenburg-Vorpommern komplett andere Themenschwerpunkte als nach Revolution zu rufen. Hier wählen 40 000 Menschen die NPD. Sich positionieren und etwas gegen die Neonazis tun, das empfinde ich als absolut primär. Sehr viel in diesem Staat ekelt mich an und das ist auch Gegenstand in unseren Texten.
 
Was denn zum Beispiel?
Monchi: Zum Bespiel wenn den Asylbewerbern vor dem Brandenburger Tor im Namen des Rechtsstaats ihre Zelte und Decken abgenommen werden. So etwas macht mich wütend. Oder die Ignoranz vieler Leute. Auf einmal sind alle erschrocken, dass Neonazis jahrelang Menschen umgebracht haben. Als wäre davor nicht gewarnt worden.

Auf Nachfrage, wie es zu der Einschätzung im Verfassungsschutzbericht kommt, heißt es, dass sich euer Antifaschismus „nicht nur gegen Rechtsextremisten, sondern auch gegen den demokratischen Rechtsstaat und seine Vertreter, insbesondere die Angehörigen der Sicherheitsbehörden“, wendet. Zitiert wird ein Auszug aus einem Lied in dem unter anderem die Zeile: Die Bullenhelme – sie sollen fliegen vorkommt.
Monchi: Das ist ein Text von unserem ersten Album, von dem wir uns wegen verschiedener, auch sexistischer Texte bereits distanziert haben. Das Album ist ausverkauft und wäre es nicht ausverkauft, würden wir es nicht mehr vertreiben. Wegen dem Text mussten wir im Frühjahr auch zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nach Bonn. Das Album wurde aber nicht indiziert. 
 
Der Verfassungsschutz wirft euch außerdem vor, dass ihr gewaltbereit seid.
Monchi: Wir bekommen wöchentlich Droh-Emails. Im vergangenen Jahr wurden wir in unserem Bandbus von Neonazis angegriffen, eine Konzertveranstaltung in Vorpommern musste wegen eines Buttersäureanschlags ausfallen und fast jeder von uns ist schon einmal von Neonazis verfolgt oder verprügelt worden. In Mecklenburg-Vorpommern tauchten tausende Aufkleber auf, die mich mit gespaltenem Schädel zeigen. Natürlich versuchen wir uns selbst zu schützen. Für mich ist klar, dass ich mich und meine Freunde und Dinge und Menschen die mir wichtig sind, verteidige. Auch mit dem Einsatz meines Körpers.
 
Hat es Konsequenzen für euch, dass ihr in dem Bericht auftaucht?
Monchi: Man kann es ja auch als kostenlose Werbung für unser neues Album betrachten.
Martin: Ich bin nicht stolz drauf. Gerade für Auftritte in städtischen Jugendzentren könnte es dadurch für uns schwieriger werden. Ich würde den Eintrag gerne anfechten, wenn das möglich ist. 
  



Text: anke-luebbert - Foto: Audiolith Records

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