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Burgerbegehren

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Mit dem Burger ist es vielleicht ein bisschen wie mit dem Turnschuh. Beide gehören zum Mainstreaminventar unserer Lebenswelt und beide haben in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt. Allerdings nicht unter denen, die schon immer Burger aßen oder denen, die schon immer Turnschuhe trugen, sondern vor allem unter jenen, die sich für solche Dinge eigentlich zu fein waren: die obere Mittelklasse und die modische Avantgarde. Resultat: Sneaker sind mittlerweile zum Abendkleid okay und Burger längst kein prolliges Junk-Food mehr. 

Ganz neu ist das freilich nicht: In München gab es schon immer irgendwo einen Ort, an dem man sich einen Burger holen konnte, der etwas mehr Exklusivität als ein Royal-TS vom Stachus versprach. Im „Cosmogrill“ etwa, im „MC Mueller“ oder in der „Schnellen Liebe“. Dann passierte etwas, das man zuvor nur mit Nagelstudios, Bubble-Tea- oder Frozen-Yoghurt-Läden erlebt hatte: Da, wo gerade noch eine alte Eckkneipe, ein Elektroladen oder eine Weinhandlung war, gibt es jetzt: Burger.

Und auch das wäre wohl nur eine Randnotiz in der Stadtentwicklung, wenn der Trend sich nicht weiter und immer noch weiter ausbreiten würde: Seit zwei Jahren gibt es hier die Burgerkette mit dem vielsagenden Namen „Hans im Glück“ inzwischen. Trotzdem sind die Läden weiterhin so voll, dass man Tische für maximal zwei Stunden reservieren kann. Wer dort unter den Birkenstämmen, die im ganzen Restaurant stehen, seinen Heumilchkäseburger mit Mangosauce bestreicht, der hat nicht nur das Gefühl, sich etwas richtig Gutes zu tun. Der will auch gleich die Schuhe ausziehen, in einem Bach baden gehen und mit Enten spielen – am liebsten gemeinsam mit der netten Kellnerin, die aussieht, als arbeite sie nebenbei noch in einer Stockholmer Modeboutique. Das „Burger House“, das in den nächsten Monaten eine zweite Filiale in der Ismaninger Straße eröffnet, weil man in der jetzigen selbst weit im Voraus keinen Platz mehr bekommt, verzichtet zwar auf Ich-bin-ein-Kind-im-Wald-Dekoration. Aber allein die Aussicht auf einen Trüffelcarpaccio-Burger im hausgemachten Brötchen lässt jede Furcht schwinden, man begehe hier Sünden, von denen man besser keinem erzählt. Diese Absolution kostet dafür auch stolze 12,99 Euro – ohne Beilagen, versteht sich. Der „Jumbo House Burger“ (540 Gramm Fleisch zwischen vier Lagen Brot) bringt es auf 15,99 Euro.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Einige Ecken weiter hat gerade das Burgerrestaurant „Belicious“ eröffnet, das mit seinen dunkelroten Markisen eher wie eine Filiale des „Schmock“ aus der Augustenstraße aussieht, in der Briennerstraße ist gegenüber vom Volkstheater mit der „Hamburgerei“ die Fritz-Cola unter den Burger-Läden entstanden: minimalistisch clean, freundschaftlich, transparent und modern heimatlich wie ein deutscher Indiepopsong. Direkt um die Ecke in der Augustenstraße versucht dann noch in etwas, naja sagen wir: rustikalerem Gebaren der Imbiss „taste my burger“ dem Namen Entsprechendes und in der Lindwurmstraße sitzen neuerdings bei „Rotkäppchen“ unter grünem Schild mit Baumarkt-Charme die Burgerfreunde der Isarvorstadt. Zwischen der Karibik-Bar und dem Waxing-Studio in der Occamstraße findet man neuerdings außerdem „Ruffs Burgerbraterei“, laut Selbstbeschreibung ein „Foodtruck mit Wänden“, in dem das 100 Prozent bayerische Rindfleisch in „interessanten Kombinationen“ wie dem „Giggly Burger mit gebratenen Balsamicozwiebeln“ auftritt. Bei der Eröffnungsparty der neuen Modekette „&otherstories“ wurden vornehmlich Miniburger gereicht und auf Instagram sausen derzeit unzählige Hackfleisch-Schnappschüsse durch die Timelines. Da es selbst für Vegetarier und Veganer mittlerweile so viele Gemüsebratlingsvarianten gibt, dass man hinter dem Burgerhype nicht einmal eine Gegenbewegung zum Imperativ des bewusst eingeschränkten Fleischkonsums vermuten kann, stellt sich die Frage: Was ist es dann, das die Leute reihenweise dem Burger verfallen lässt? 

Der Soziologe Stefan Stautner fühlt sich von dieser Entwicklung an eine Schrift von Slavoj Zizek erinnert, der bereits 2003 in seinem Buch „Die Puppe und der Zwerg“ über die seltsame Entwicklung des Marktes schrieb, immer mehr Produkte anzubieten, die von ihren sogenannten schlechten Eigenschaften befreit sind: Kaffee ohne Koffein, Sahne ohne Fett, Bier ohne Alkohol. Oder – ironischer – virtueller Sex als Sex ohne Sex.

Der aktuelle Burger, so Stautners Folgerung, sei genau das: Fastfood ohne Fastfood, ein sogenannter No-ism, eine neue, irgendwie scheinheilige Kategorie für Dinge, die wir lieber nicht wollen, aber trotzdem unbedingt wollen.

Der Burger bietet sich laut Stautner vermutlich vor allem deshalb als Vehikel dieses Geistes an, weil er einfach ist und in seiner Ursprungsform ein Klassiker. Jeder weiß, wie ein Burger aufgebaut ist, man muss weder besonders viel können, um ihn herzustellen, noch, um ihn zu verzehren. Außerdem ist er keine Innovation, sondern nur eine Weiterentwicklung eines Klassikers, er lebt von einer Referenzialität: „Wenn sie etwas Bekanntes verändern, den Burger also mit einer exklusiven Schimmelkäsesoße servieren statt mit Ketchup, sagen die Leute gleich: ,Oh, besonders!‘, ohne völlig befremdet zu sein.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Sieht man sich die Zielgruppe der neuen Burgerläden an, findet man dort entsprechend auch nicht den herkömmlichen McDonald’s-Kunden, sondern einen, der zwar auch gern mal einen Burger hätte, dann aber gesund, regional und exklusiv. Und der dafür auch bereit ist, mehr zu zahlen. So, wie sie Veggie-Mango-Vollkorn-Burger essen, tragen sie auch bunte Sneakers zur Robe und propagieren so eine neue Form des entspannt-kultivierten Genussmenschen. Und auch die gebildeten, ökologisch bewussten jungen Familien und alle anderen trendaffinen Großstädter haben in den handgemachten Burgern so einen ihren Ansprüchen zusagenden Kompromiss zwischen Junkfood und Slowfood entdeckt. Sie alle verbreiten eine „Gönn dir was“-Mentalität, die im Grunde nichts Anderes ist, als eine etwas verquer geratene Sehnsucht danach, alles gleichzeitig haben zu können: sowohl das Ordinäre, als auch das Exklusive.

Die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sagt dazu: „Unsere Esskultur ist immer auch eine Projektionsfläche für unser Norm- und Wertgefüge.“ Der hyperflexible Neo-Burger bilde in diesem Fall wohl tatsächlich die Widersprüchlichkeit unserer Sehnsüchte ab: Wir wollen die endlose Exotik der Welt, aber auch die identitätsstiftende Übersichtlichkeit des Regionalen. Wir wollen Verlangsamung, haben aber keine Zeit dafür. Wir wollen Verbotenes tun dürfen, „uns einfach mal vollschmieren und mit den Händen essen“, jedoch ohne uns zu blamieren. Und sie sieht den Erlebniswert der kleinen Burgerbratereien: „Der Mensch will im Essen auch immer zu Hause sein. Wenn der Burger vor deinen Augen gebrutzelt wird, du bestimmen darfst, was drauf kommt, dann gibt dir das auch ein Gefühl von Exklusivität, Hausgemachtem und Entscheidungsfreiheit.“ Die neue, schizophrene Mischung von Slowfood und Fastfood bringt all das auf einen Nenner: Genuss und Gesundheit stehen sich nicht mehr im Weg, prollig und schick geht, unterwegs zu Hause sein auch, faul und sportlich sowieso.

Offensichtlich haben die neuen Burgerläden es raus, den Lustaspekt des Burgers mit einer gewissen Exklusivität zu verbinden. Sie schaffen es, die Sehnsüchte einer bestimmten Schicht von Menschen auf den Punkt genau zu befriedigen. „Wenn ein Ladenkonzept das hinbekommt, dann boomt es“, erklärt Brombach. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


So nachvollziehbar die Sehnsucht nach einer solchen – vermeintlichen – Perfektion sein mag, sie wird wohl immer zu schön sein, um wahr zu sein: „Wer glaubt, mit so einem Burger ein Mehr zu bekommen, der irrt sich. Was er in Wahrheit bekommt, ist ein Weniger. Ein halbes Produkt, den fahlen Schein eines Burgers. Man isst im Grunde nicht mehr als die Simulation eines Burgers“, sagt Stefan Stautner. In unzähligen philosophischen Traktaten zur Frage nach dem guten Leben hieße es immer wieder, dass man das Leben wagen müsse, um es genießen zu können. „Doch es scheint überhaupt niemand mehr etwas wagen zu wollen“, fährt er fort. „Jeder Extremsport muss mittlerweile sicherheitszertifiziert sein, jeder Burger ebenfalls.“ Diese Tendenz, zwar nicht auf Action und Genuss verzichten zu wollen, wohl aber auf jegliche mögliche negative Nebenwirkung, sieht er einigermaßen kritisch: „Hegel hätte dazu gesagt: Diese maßlose Furcht vor der Beschädigung des Lebens ist die maßlose Beschädigung.“
 
Bleibt nur noch eine winzige Frage zum Schluss: Liegt hinter der Leidenschaft für den Burger nicht doch vielleicht auch eine verklärte Sehnsucht nach Amerika, dem Herkunftsland des Burgers? Weder Brombach noch Stautner wollen das bestätigen. Im Gegenteil: Beide sehen hinter dem Trend sogar eher eine Distanzierung vom amerikanischen Junkfood-Klischee – eine Art Europäisierung des Phänomens. Eigentlich schade, findet zumindest Stautner. „Die Grundhaltung des Amerikaners ist doch der Lebensart des egalitären Münchners sehr nah: Das Leben-und-leben-lassen, das Hochhalten der Meinungsfreiheit. Und was ist ein Biergarten anderes, als ein riesiges Open-Air-Fast-Food-Restaurant?“

Text: mercedes-lauenstein - Fotos: Juri Gottschall

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