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Denkmal drüber nach

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Denkmäler sind wichtig. Oder? Sie dokumentieren schließlich historische Momente. Und die Personen, die sie bestimmt haben. Eine Stadt braucht das. Richtig? Schließlich geben sie doch viel Geld dafür aus: Bau, Erhalt, Sanierung. Man sieht sie ständig. Meist, ohne zu wissen, was sie bedeuten. Aber verbinden wir ganz subjektiv etwas mit ihnen? Weil: Irgendwas muss man doch denken, wenn man an ihnen vorbeigeht, auch wenn es mit der Geschichtsschreibung nichts zu tun hat. Eine Alltagspoesie wohnt ihnen doch inne. Wir haben Passanten am Reiterdenkmal auf dem Wittelsbacherplatz gefragt. „Maximilian, Churfürst der I.“ steht vorne auf der Statue. „Errichtet von Ludwig I König V Bayern XII October MDCCCXXXIX“ heißt es hinten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Donnerstag, ein kühler Vorfrühlingsnachmittag, 16.12 Uhr, die Sonne strahlt gerade noch die oberen Kanten der Häuser an, die den Platz umgeben.
 
Vlad, 19, studiert Politikwissenschaften:
„Ich bin vor zwei Jahren aus Weißrussland nach München gezogen und dieser Reiter war das erste Denkmal, das ich in München bewusst wahrgenommen habe. Denn es lag direkt auf dem Weg von meinem Zuhause zur Uni. Wenn ich daran vorbeigehe, ist es für mich eigentlich einfach nur ein Mann auf einem Pferd. Aber ich muss auch immer an einen Australier denken, der hier mal stand, mit einem großen Rucksack auf dem Rücken. Er hat mich um ein paar Münzen gebeten und dann nach oben zu dem Reiter gezeigt und gefragt, ob es eigentlich etwas typisch Deutsches ist, die Hand so wegweisend nach oben zu strecken.“

An einem unruhigen Samstagmittag, es fallen vereinzelte Tropfen vom blau-grau-fleckigen Himmel, 12.05 Uhr.
 
Annika, 22, studiert Germanistik:
„Ich denke immer an den Sommer, wenn ich über diesen Platz gehe und am Sockel des Denkmals vorbei komme. Im Sommer ist nämlich der helle Stein genau richtig warm und man kann hier so schön sitzen und einfach nur rumgucken. Hoch zu dem Mann schaue ich eigentlich nie. Aber wenn ich es jetzt tue, finde ich, dass der ganz schön gut gemacht ist. So detailgetreu. Wie macht man so was eigentlich? Macht so was heute noch jemand? Und was hat der da eigentlich vor den Oberschenkeln links und rechts, sind das Schweinekeulen? Oder Waffen?“
 



Donnerstagnachmittag, kühl und bewölkt, 16.11 Uhr.

André, 29, Politikwissenschaftler:
„Ich gehe hier jeden Tag auf dem Weg zur Uni vorbei. Ich lese jedes Mal, was auf dem Denkmal steht, aber irgendwie nicht bewusst, denn ich weiß es jetzt trotzdem nicht. Es berührt mich nicht wirklich. Alles, was ich darüber denke, ist: Früher war das halt so, dass man so was gebaut hat, um irgendwie Macht zur Schau zu stellen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Donnerstag, eine kalte, klare Winternacht mit Sternen, 22.01 Uhr.
 
Flo, 26, arbeitet in einer Werbeagentur:
„Mich erinnert das Denkmal immer an die 850-Jahr-Feier, als die ganze Stadt eine einzige Party war. Ich glaube, 48 Stunden am Stück fanden Konzerte und Veranstaltungen statt, den ganzen Altstadtring runter. Direkt hinter dem Reiter war ein Riesenrad aufgebaut, mindestens so groß wie das auf der Wiesn, und von dort konnte man über die ganze Stadt gucken. Ich mag aber überhaupt den ganzen Platz sehr gern, er ist so weit und großzügig und fühlt sich sehr großstädtisch an.“


 
Samstagnachmittag, der Himmel ist wolkenverhangen, 15.41 Uhr.
 
Theoman, 25, Restaurantfachmann:
„Ich bin gerade um die Ecke gekommen, hab das Denkmal gesehen und genau das gedacht: Da bin ich in dieser Stadt geboren, lebe hier, laufe ständig dran vorbei und habe keine Ahnung, wer der Typ sein soll. Also hab ich geschaut, was drauf steht: ,Errichtet von Ludwig I’. Ich dachte dann: Na ja, ein Typ aufm Pferd, das ist wahrscheinlich ein Krieger, irgendwie so Richtung Napoleon, oder so, der ist doch auch immer auf einem Pferd rumgaloppiert, oder? Aber selbst wenn ich mir jetzt mal durchlese, wer das wirklich sein soll, habe ich das morgen sowieso schon wieder vergessen. Traurige Sache.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Selber Tag, 15.59 Uhr.
 
Lea, 30, Einkäuferin und Daniel, 27, Finanzanalyst:
„Wir haben grad gelesen, was drauf steht. Aber dann denkt man doch auch nur: Aha, und wer ist das jetzt?“
 
Grauer Sonntagnachmittag, 15.32 Uhr.
 
Anne, 23, Sozialpädagogin:
„Ich bin aus Berlin zu Besuch und laufe einfach so herum und gucke mir Dinge an. Den Typen auf dem Pferd habe ich gerade fotografiert. Ich weiß eigentlich gar nicht, wieso. Ich hab auch gar nicht nachgeschaut, wer das ist und warum der hier steht. Ich dachte nur: Kann man ja mal fotografieren. Wahrscheinlich werde ich ihn zu Hause trotzdem niemandem zeigen.



Am selben Tag, 16.43 Uhr.

Joanna, 29, Juristin:
„Ich gehe hier oft vorbei, auf dem Weg zur Arbeit. Einmal bin ich nachts hergekommen, um ein Foto zu machen, denn nachts ist nur die Figur, aber nicht der Sockel beleuchtet. Das sieht irgendwie interessant aus, fand ich. Wer das ist, na ja, das steht ja drauf, aber mehr weiß ich über den Mann auch nicht.“
 
Immer noch selber Tag, 17.03 Uhr.
 
Thorsten, 22, angehender Bauingenieur:
„Ich arbeite gerade auf der Siemens-Baustelle da hinten, deshalb gehe ich seit einiger Zeit regelmäßig über diesen Platz. Das Denkmal, keine Ahnung. Das steht eben hier. Gehört halt zu München.“
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



An einem Donnerstagabend, in der Dämmerung, 17.52 Uhr.
 
Eine Frau, Mitte vierzig, sie trägt einen Wanderrucksack auf dem Rücken, läuft minutenlang hoch konzentriert um das Denkmal herum und fotografiert es von allen Seiten mit einer kleinen, silberfarbenen Digitalkamera. Darauf angesprochen guckt sie einen nicht an und sagt nur hektisch: „Jetzt nicht, jetzt nicht, es ist gleich dunkel, ich habe keine Zeit!“ Dann läuft sie, schnell und ohne sich noch einmal umzudrehen, mit sehr stierem Blick Richtung Café Luitpold davon.

Text: mercedes-lauenstein - Fotos: juri-gottschall

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