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Die zweitcoolste Geschichte seines Lebens

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Es ist der 1. Juni 2013, der FC Bayern hat soeben in Berlin das Pokalfinale gewonnen und ist damit erster Triple-Sieger der deutschen Fußballhistorie. Über jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, wurde ich auf eine Party im Berliner „The Grand“ eingeladen. Aus Spielerkreisen hörte man (so wollte ich immer schon mal einen Satz beginnen), dass sich die Großzahl der Spieler des FC Bayern dort auf der Party blicken lassen werde. Grund: weitaus weniger Presse als beim offiziellen Bankett.
 
Schon vor der Tür wurden zwei Dinge klar. Erstens: Es wird sehr, sehr voll. Ich war wohl nicht der Einzige mit dieser kostbaren Information. Zweitens: Münchner Szene-Partyvolk war anwesend. Zu erkennen an Sätzen wie „Platz bitte, hier ist der Sohn vom Finanzvorstand“. Eine Grundstimmung wie Fashion Week gemischt mit Finanzamt-Grillfest.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Die Trophäen eines unvergesslichen Abends: eine Scherbe der Vase, die auf der Tanzfläche zerbrach, und das "Danke Jupp!"-Bändchen 

Wir standen gute zwei Stunden vor der Tür, bis wir endlich reingelassen wurden. Kurze Schockstarre bei meiner Begleitung aus Mönchengladbach, unterbrochen nur von Gedränge und ausladenden Gesten, um einen schmalen Gang zu bilden: Jupp Heynckes hatte die Party auch erreicht und schlängelte sich an uns vorbei. Freundliches Hallo, kurzes Händeschütteln, dann wieder Schockstarre.

Mobbing von Thomas Müller

Man muss nämlich wissen: Fußballer gehören zu einer anderen Gruppe von Prominenten als, zum Beispiel, Musiker oder Schauspieler. Klingt jetzt großspuriger als es soll, aber beruflich finde ich mich öfter neben bekannten Personen. Alles halb so wild. Aber wenn das Fußballer sind, ist es doch irgendwie anders. Womöglich, weil so ein Fußballer irgendwie emotional aufgeladen ist. Ich meine, ich bin ganze Tage oder Wochen aufgeregt, nur um mitzufiebern, wie diese jungen Herren gegen den Ball treten. Wie bescheuert und wie wunderbar gleichzeitig.
 
Trotzdem ein Dämpfer: Die Spieler hatten natürlich noch mal einen VIP-Bereich vom VIP-Bereich. In die ersten beiden Etagen durften wir, in die dritte nur Leute, die vorher beim Bankett ein Bändchen mit der Aufschrift „Danke Jupp!“ bekommen haben. Schwierig. Auf die gewohnten Tricks fielen die Türsteher im kleinen Treppenhaus nicht rein, es schien ihnen ernst zu sein. Man konnte nur erahnen, was dort oben los sein musste. In solchen Momenten habe ich allerdings sehr oft Glück, wahrscheinlich so ein Yin-Yang-Ding vom Universum – motorisch bin ich im Gegenzug nämlich sehr ungeschickt. Jedenfalls begab es sich, dass da jemand war, der jemanden kannte, der jemanden kannte, der einen Türsteher kannte, und, zack: war ich in Etage drei. Auf der Treppe fielen sich gerade Franck Ribéry und Uli Hoeneß in die Arme, und ich dachte daran, wie gern ich genau in diesem Moment durch die Zeit reisen würde, um meinem 13-jährigen Ich davon zu erzählen. In dem Jahr hatten meine Eltern für ein Original-Trikot des FCB für mich gespart und ich habe es danach besser behandelt als bis heute jedes andere Kleidungsstück.
 
Ein erstaunlich kleiner Raum mit vielleicht 150 Leuten und ich mittendrin. Ich stellte mich in eine Ecke und versuchte erstmal, eine Übersicht zu bekommen. Jemand warf mir immer wieder einen Luftballon gegen den Kopf – Thomas Müller. Ab diesem Zeitpunkt sah ich mich als offizielles Mannschaftsmitglied, auch wenn ich gemobbt wurde. Was da los war!
  Aber erstmal musste ich Organisatorisches klären. Typische Samstagabendtätigkeit in Berlin: Bändchen besorgen! Ich hatte ja selbst noch nicht mal eins, aber irgendwie wollte ich meine Freunde noch mit in den Triple-Bereich bekommen. Leider verstand keiner der stark angetrunkenen Anwesenden mein Vorhaben. Ich war sogar kurz davor, einen äußerst gut gelaunten Tom Starke zu fragen, ob er da nicht was machen könne. Andererseits wurde mir in diesem Moment auch bewusst, dass ich mich hier gerade auf die Party von einem Haufen Mitte-20-Multimillionäre geschmuggelt hatte. Besser aufpassen, bevor man da gleich wieder rausfliegt. Während ich grübelte, tippte mir ein schwarzer Mann, Typ Hip-Hop-Produzent, auf die Schulter: „Nice Cap!“ Er meinte meine Brooklyn-Nets-Cap, und ich erzählte, dass ich sie in Brooklyn beim ersten Spiel der Nets gekauft hätte. Er war begeistert und sagte: „That’s awesome, I’m a friend of Jay Z!“ Ich überlegte kurz, ob womöglich heute irgendwas in meinem Trinkwasser war, fragte dann aber meinen neuen Homie aus Brooklyn, ob er nicht ein paar Bändchen übrig hätte. Hatte er tatsächlich! Leider allerdings nur eins.

Die Magic von Sebastian Schweinsteiger

Um es kurz zu machen: Weitere Versuche brachten alle nichts und ich konnte niemanden sonst reinschmuggeln. Meine Brooklyn-Nets-Cap schien dafür über besondere Kräfte zu verfügen: Manuel Neuer
hat mich im Verlauf der Nacht dreimal angesprungen, um sie sich selbst aufzusetzen. Danach tanzten wir jeweils Walzer zu einem Lied dieser schlimmen elektrischen R’n’B-Wasauchimmer-Musik, die Fußballer gerne hören. Bastian Schweinsteiger trug noch immer das Trikot aus dem Champions-League-Finale. Ich bin mir sicher, dass es aufgrund seiner Aura im Dunkeln geleuchtet hat. Wenn man nah rangegangen ist, hat man auch so ein leichtes Brummen in der Luft gehört. Magic! Ich habe ihm mehrmals unkontrolliert auf die Schulter geklopft und wir haben uns gefreut. Ich trage seitdem also Champions-League-Finale-Feenstaub an meinen Händen.
 
Ich trinke für gewöhnlich keinen Alkohol. Nach dem typischen Probieren mit 14 hab ich es für nicht weiter toll befunden und seitdem gelassen. Mein erster Alkohol 13 Jahre später war nun ein Schluck Champagner aus einer überdimensional großen Flasche, den ich nur deshalb getrunken habe, weil sie mir von Arjen Robben gereicht worden war. Das mit dem Alkohol werde ich auch weiterhin lassen. Aber jetzt habe ich eine nette Anekdote, wenn ich zum 193 742 904. Mal erklären muss, warum: „Ja äh, mag ich halt nicht. Nur das eine Mal. Arjen Robben, als er damals das Tor im Champions-League-Finale gemacht hat und die Bayern dann das Triple geholt haben … ja auf der Party danach.“
 
Was ich mir die ganze Zeit nicht erklären konnte: warum eine riesige chinesische Vase auf dem Dancefloor stand. Schließlich kam es dann, wie es kommen musste und ein Spieler, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, warf das Ding um und es zerfiel in Hunderte Scherben. Ein schönes Andenken an diese mehr als absurde Nacht des 1. Juni 2013. Gegen 7 Uhr morgens, als Thomas Müller noch einmal Gesänge vom DJ-Pult aus anstimmte, verließ ich die Veranstaltung. Mit jeweils einem breiten Grinsen nickte ich mir mit Claudio Pizarro auf der Treppe nach unten zu. Er war gerade Triple-Sieger geworden und ich hatte die bislang absurdeste Nacht meines Lebens erlebt. Schön.
 
Gegen 13 Uhr wachte ich dann wieder auf und schaute mir vom Bett aus im Fernsehen die teils stark gezeichneten Herren der vergangenen Nacht auf dem Münchner Rathausbalkon an. Ich bin scheinbar vergessen worden.

Der Autor:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Tweets wie „Wenn rtl fußball überträgt, fühlt sich das so an, wie wenn die geographielehrerin plötzlich die eigene lieblingsband hört“, bringen dem Autor Markus Herrmann (27) fast 30.000 Follower. Dieser Text, der gerade auf seinem Blog „Herm’s Farm“ erschienen ist, erzählt die „zweitcoolste Geschichte“ seines Lebens. Die coolste: „Ich hab mal James Hetfield kumpelhaft auf die Schulter geklopft, bevor er auf die Bühne ging, um das Intro von ,One’ zu spielen.“

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