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Schöne Gewalt an der Stadt

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Die Melancholie macht den Unterschied. Das Märchenhafte, das sich durch die Bilder des Künstlerduos Herakut zieht. Die Heidelbergerin Jasmin Siddiqui (Hera) und ihr Partner, der Münchner Falk Lehmann (Akut), machen Street-Art. Ihre Wandmalereien sind meist großformatig und eindrücklich. Trotzdem fügen sie sich lieber in die Umgebung ein als sie zu brechen oder zu dominieren. Städte auf der ganzen Welt haben das Gespür des Duos inzwischen genutzt: Unter anderem in Toronto, Melbourne, San Francisco und Mexiko City werten ihre Werke triste Ecken auf. In München nicht. Zumindest nicht im öffentlichen Raum. Die Galerie Muca stellte bis Mitte Januar Arbeiten des Duos aus. Nach der Finissage flogen Herakut direkt nach Jordanien. Im Flüchtlingslager Zaatari im Norden des Landes bemalten sie mit syrischen Kindern Wände. Drei hätten es laut Vertrag sein müssen. Am Ende waren es acht. „Die Kinder wollten nicht aufhören – und wir auch nicht“, sagt Falk. Ein Gespräch darüber, wie sich Kunst und Stadt beeinflussen.
 
jetzt.de: Falk, hat dir die Zeit in Jordanien eine neue Perspektive gegeben auf das, was Kunst bewegen kann?
Falk Lehmann: Keine neue, nein. Sie hat mich darin bestätigt, welch positive Kraft sie hat. Wenn Kunst und Charity aufeinandertreffen, stellt sich schnell die Frage: Wie nachhaltig kann das alles sein? In dem Flüchtlingslager habe ich die Antwort in fast jedem Moment bekommen.
 
Und wie lautet sie?
Der letzte Satz, den ich gerade noch im Ohr habe, stammt von einem kleinen Jungen, mit dem wir gearbeitet haben: „Von den drei Jahren, die ich hier im Camp bin, war das die schönste Woche.“ Ein Teenager-Mädchen hat sich in einem Brief bedankt, dass wir es geschafft haben, Lächeln auf die Gesichter zu malen. Das mag sich kitschig anhören. Aber es ist für mich eine wunderschöne Metapher für das, was wir dort gemacht haben: durchs Malen wenigstens etwas Hoffnung geben.
 
Du hast mal gesagt, du und Jasmin hättet „sehr deckungsgleiche Moralvorstellungen“. Was heißt das für eure Arbeit?
Wir verstehen unsere Arbeiten im öffentlichen Raum immer als Verschönerung. Wir wollen den Leuten, die wir mit unserer Kunst konfrontieren, positive Gedanken mitgeben – und haben damit in der Street-Art-Szene vielleicht eine etwas entrückte Position. Manche Kollegen stellen die künstlerische Message über alles. Für uns ist es sehr wichtig, dass unsere Wandarbeiten keine Fremdkörper in der Umgebung sind. Die Bewohner der Viertel, in denen wir arbeiten, sind unsere Kunden. Wir greifen schließlich großformatig in ihren Alltag ein.

Besteht da nicht die Gefahr, gefällig zu werden?
Weil wir Provokation vermeiden wollen? Weil wir unsere Motive der Umgebung anpassen, also beispielsweise überlegen, ob ein Kindergarten in der Nähe ist, bevor wir etwas sprühen? Weil wir keine Gewaltverherrlichungen zeigen? Das mit Gefälligkeit gleichzusetzen, fände ich einen seltsamen Kunstbegriff.



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Wie habt ihr ein Gefühl dafür entwickelt, was in eine Umgebung passt und was nicht?
Am Anfang war das ein Trial-and-Error-Prozess, bei dem wir auch  mal angeeckt sind. Allerdings nicht sehr oft. Das Arbeiten im öffentlichen Raum, zumindest so, wie wir es betreiben, ist ein sehr transparenter Prozess. Wir sind permanent und sehr direkt den Meinungen der Leute ausgesetzt. Und wir können auf dieses Feedback genauso direkt reagieren. Wir bereiten keine Grafik zu Hause vor, die wir dann stur übertragen. Unsere Werke entstehen immer genau da, wo wir sie malen. Da spielt alles mit rein, was um uns passiert. Es ist eine Art Dialog, eine Rückkopplung zwischen uns, der Stadt und den Bewohnern.

Worauf achtet ihr dabei?
Im Idealfall steht vor der Wandarbeit so etwas wie eine Vor-Ort-Recherche, was meistens bedeutet, dass wir vorher mindestens einen Abend mit den Anwohnern verbringen. Fragen stellen. Herausfinden, was in ihnen vorgeht. Wir wollen sensibel werden für das, was ihnen wichtig ist.
 
Du lebst seit knapp vier Jahren in München. Warum taucht eure Arbeit gerade hier nur in einer Galerie und nicht im öffentlichen Raum auf?
Sie taucht noch nicht auf. Wir sind mit Christian Utz, dem Galeristen der Muca, aber auf Objektsuche. Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr hier eine Wand bemalen können – eher in einem Außenbezirk.
 
Ist der Weg in München beschwerlicher als anderswo?
Eher nicht. Nimm die Wand, die wir vor Kurzem in Frankfurt gestaltet haben . . .
. . . eine 15 Meter hohe Malerei mit dem Titel "There is something better than perfection" . . .
. . . es hat eine ambitionierte Kunstliebhaberin fast 300 E-Mails an Immobilienverwalter und alle möglichen städtischen Ämter gekostet, bis das alles genehmigt war.

Viel Aufwand.
Aber einer, den ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann.
 
Bitte?
Man spricht bei Street-Art nicht zu Unrecht von einem „Eingriff“ in den öffentlichen Raum. Bei dem Begriff klingt die Gewalt deutlich an, die da auf ein Stadtbild ausgeübt wird. Ich bin absolut dafür, dass das vorsichtig passiert. Deshalb ist die Objektsuche in München auch besonders schwierig.
 
Weil das Münchner Stadtbild besonders empfindlich ist?
Weil es in sich sehr stimmig ist, ja. Und weil es schön ist. Wenn man Street-Art wie wir als Aufwertung versteht, muss man in München etwas länger nach Ecken suchen, an denen es das braucht. Die Stadt funktioniert schon so, wie sie ist. Wenn wir neben der Pinakothek eine Wand anmalen, würden wir nichts Positives damit erreichen. Wir würden die Leute nur nerven.
 
Gilt München deshalb nicht unbedingt als Street-Art-Hochburg?
Man täuscht sich da etwas. Für die Graffiti-Szene, aus der die Street-Art ja hervorgegangen ist, war München mal eine wichtige Stadt. Mit Künstlern wie Loomit kommen Wegbereiter der Szene von hier. Und auch sonst gibt es meiner Meinung nach gerade eine langsame Öffnung – schon weil Street-Art inzwischen eine finanzielle Größe auf dem Kunstmarkt darstellt. Es ist kein Zufall, dass Messen wie die Stroke seit ein paar Jahren hier sind. Die Veranstalter versprechen sich Umsätze und gehen deshalb in Städte, in denen das finanzielle Potenzial dafür da ist.
 
Ist nicht genau diese Kommerzialisierung für viele Street-Art-Künstler ein rotes Tuch?
Ach, solche Grabenkämpfe waren im Graffiti noch ein sehr viel größeres Thema. Das frühe Schriftzugmalen, dieses sehr archaische „I was here“-Markieren, mit dem man sich quasi seinen Claim in der Stadt abgesteckt hat, entzog sich noch komplett dem kapitalistischen Vermarktungsnutzen. Als sich das änderte, war der Aufschrei groß. Doch die Street-Art hat sich seither in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt.
 
Das musst du genauer erklären.
Die reinen Schriftzüge sind für Laien kaum zu entschlüsseln – und damit eigentlich nicht zu verkaufen. Das lässt sich etwa mit Jazz vergleichen. Natürlich erkennt den jeder als Musik. Aber die Qualität dahinter versteht nur, wer sich damit auseinandergesetzt hat. Beim Figuralen, wie wir es betreiben, öffnet man sich der Masse von Haus aus mehr. Wenn ich ein Gesicht sprühe, versteht jeder sofort, ob es traurig oder fröhlich ist. Jeder hat eine Assoziation dazu. Daraus resultiert eine ganz andere Wahrnehmung und Verwertung.
 
Gab es bei Herakut je Diskussionen, wie weit ihr euch dem Markt öffnen wollt?
Nein. Schon wegen eines einfachen Paradoxons der Kunst nicht: Je weniger du drauf achtest, wie du verkauft werden könntest, desto eher wirst du verkauft.
 
Wie geht das: nicht überlegen, ob und wie die eigene Arbeit ankommen könnte?
Es gibt da wohl verschiedene Rezepte. Für mich funktioniert am besten ein gesundes Desinteresse am eigenen Segment. Ich gehe auf keine Street-Art-Messen, ich gucke nicht in Graffiti-Blogs. In dem Segment, in dem ich selbst arbeite, will ich einen Tunnelblick haben. Dafür versuche ich in anderen Kunstbereichen – Literatur oder Musik zum Beispiel –, mir einen 360-Grad-Blick zu erhalten.
 
Habt ihr eine Wunschlocation in München?
Wir haben das tatsächlich nirgends. Wir müssen uns mit Lage und Atmosphäre von Orten auseinanderzusetzen und darauf reagieren. Spontan. Wir müssen eine Wand sehen, die Hintergrundstruktur, und dann feststellen: Dieses Setting erzählt eine Geschichte, zu der wir noch eine weitere hinzufügen können. Das funktioniert nicht, wenn wir uns vorher ein Idealbild machen.

Text: jakob-biazza - Fotos: Falk Lehman, Herakut

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