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Das erste, woran ich mich in München erinnere, sind die Hochhäuser. Das klingt natürlich seltsam, schließlich ist München überhaupt keine Wolkenkratzerstadt. Aber als ich im Oktober 2011 ankam, auf dem Beifahrersitz eines weißen Mercedes Sprinter, den der Fahrer später noch gegen einen Gartenzaun setzen sollte, waren die Hochhäuser des nördlichen Mittleren Ringes das Begrüßungskomitee. Meine Füße lagen auf dem Armaturenbrett, die Fahrt von Bremen aus war lang gewesen und dann tauchten auf einmal in der Dunkelheit die Lichter von Fujitsu-Siemens-Turm und Marriott-Hotel auf.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wir hielten vor einem Bogenhausener Mehrfamilienhaus und räumten viel zu viele Möbel in das Dachgeschosszimmer, dessen Decken ich viel höher in Erinnerung gehabt hatte und das für die kommenden zwei Masterjahre mein neues Zuhause werden sollte. In der Nacht schlief ich schlecht. Was ich gesehen hatte, passte so gar nicht zu meiner Vorstellung von München.
 
Wenn man von sehr weit her in eine neue Stadt zieht, birgt das ein großes Risiko: Man bleibt sehr lange Tourist. Man hat Reiseführervorstellungen. Man tut Reiseführerdinge. Ich guckte sehr viele Schlösser an, bestellte kichernd „ein Helles“, stapfte mehrfach den Alten Peter für einen Euro hoch, um norddeutschen Freunden Bilder von den Alpen zu schicken. Zu Weihnachten verschenkte ich Schokolade von Dallmayr.
 
Dann verlängerte sich mein Aufenthalt. Aus geplanten 20 Monaten wurden 38. Aus dem Touristenblick wurde ein Einblick: Ich zog in die Maxvorstadt. Ich sagte beim Bäcker keine falschen Sachen mehr, ich verstand das Ring-System des MVV (also vermutlich). Ich beantragte einen neuen Personalausweis. Als Wohnort steht da „München“.
 
Anfangs habe ich gesagt „Wegen des Jobs“, wenn Leute fragten, warum ich da unten sei. „Wegen der Freunde“, sagte ich später. Und jetzt sage ich manchmal, ganz leise: „Wegen der Stadt.“ Weil sie halt doch wahnsinnig gut zu mir war. Und jetzt gehe ich. Nach Berlin, wo immer alle hingehen. Und merke dabei – Einblick hin oder her –, dass ich viel Münchnerisches noch nie getan habe. Also haben die Kollegen mir eine Liste mit Dingen geschrieben, die ich unbedingt gemacht haben muss, bevor ich weg darf. Eine eilige Aufholarbeit also:
 

Fahr mit dem Cabrio die Leopoldstraße runter

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Eigentlich eine Sache, für die der Sommer 2014 prädestiniert war. Nach erfolgreichen WM-Spielen haben die Menschen auf der Leopoldstraße Konvois gebildet und Fähnchen geschwenkt – wurde mir zumindest so erzählt. Ich hab’s nicht so mit Fantum. Und auch kein Cabrio. Eine sehr liebe Freundin muss also aushelfen und mir ihr Auto leihen. Dreier Golf. Die Heizung funktioniert hervorragend. Mit offenem Verdeck bei acht Grad und Nieselregen will trotzdem keine rechte Euphorie aufkommen.

Am Siegestor drehe ich also laut M94,5 auf. Da läuft allerdings schlecht gelaunter Mittelklasse-Deutschpop. Hebt die Stimmung auch nicht. So fahre ich noch weiter bis zur Münchner Freiheit und drehe dann auf Höhe der Ungererstraße um. Von den anderen Autofahrern zeigt sich keiner richtig irritiert über die Frau mit den nass-zauseligen Haaren und dem offenen Verdeck. Punkt eins: check.
 

Erlebe, wie das Atomic Café zumacht – dieses Mal wirklich

Als ob man das mit letzter Gewissheit erfüllen könnte! Als die Idee zu diesem Text aufkam, sollte das Atomic noch bis Nikolaus aufhaben – traurig für die Betreiber, gut für mich. Am 2. Dezember hatte ich dort einen Auftritt mit dem Münchner Kneipenchor. Es gab viel Alkohol und die Menschen waren traurig, dass die orangefarbene Innendeko bald verschwinden würde. Den Punkt konnte ich auf meiner Liste abhaken. Kurz vor Nikolaus dann die Pressemeldung: Das Atomic verlängert bis zum Jahresende. Da bin ich schon weg. Aber irgendwie traue ich ihnen ja doch zu, dass sie dann noch mal verlängern. Würde uns doch alle freuen. Und die Betreiber können ja immer noch behaupten: „Wir haben ja nie gesagt, bis zu welchem Jahresende.“

Drücke die Champagnerklingel im Hotel Lux

Darf man eigentlich kaum laut sagen, weil dann wieder alle was mit „Münchner Dekadenz“ schimpfen, aber: In der Bar Lux in der Ledererstraße gibt es vier Klingeln, auf denen mit Schnörkelschrift „Ring for Champagne“ steht. Wenn man auf die drückt, leuchtet vorne an der Bar eine Champagnerflasche auf. Ich bin ein wenig aufgeregt – so oft bestellt man dann ja doch keinen Schampus. Ein kurzer Dreiklang, dann kommt der Kellner mit zwei Gläsern und flötet: „Ladies! Etwas, das prickelt und perlt für Sie! Cincin!“ 12,50 Euro das Glas. Später erzählt der Keller noch, dass die Klingel natürlich ziemlich oft Betrunkene drücken und dann sagen „Ich wollte nur mal wissen, was passiert!“. Aber steht ja eigentlich ziemlich unmissverständlich drauf, findet er.
 

Einmal im Eisbach treiben lassen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich mag Wasser. Vielleicht ist Schwimmen sogar die einzige Sportart, die ich einigermaßen beherrsche. Ich war in der Isar, im Müller’schen Volksbad und auch im Starnberger See. Nur den Eisbach habe ich irgendwie verpasst. Vielleicht, weil die Isar die Stadt nicht nur landschaftlich teilt, sondern auch die Badeplätze sehr genau festlegt. Bogenhausen war Isarrevier. Entsprechend toll finde ich die Eisbach-Idee. Prinzipiell. Mitte Dezember braucht es aber schon Druck, um das wirklich zu tun. Und Ausrüstung. Also leihe ich mir einen Neoprenanzug und Surferschuhe und stapfe mit einem sehr großen Handtuch von der Veterinärstraße zu dem Strom im Englischen Garten, den ich immer für den Eisbach hielt. Lerne dann aber, dass das der Schwabinger Bach ist. Der Eisbach teilt sich nämlich hinterm Haus der Kunst.
 
Also in einem Gummianzug im Dezember durch den Englischen Garten laufen. Ich fühle mich komisch – und falle nicht mal ein bisschen auf. Keiner dreht sich um, niemand schaut mich schief an. Es wird nicht viele Städte in Deutschland geben, in denen das so ist.
 
Eigentlich will ich direkt hinter der Brücke bei den Surfern reingehen. Aber ich traue mich nicht. Sieht irgendwie doch lächerlich aus, so ganz ohne Surfbrett. Und die Strömung ist auch sehr stark. Zurück zur ersten Brücke also, hinter dem kleinen Wasserfall. Das Wasser hat sieben Grad. Ich halte zunächst nur einen Fuß rein: mit Surferschuhen gar nicht so schlimm. Bevor ich es mir doch noch anders überlege, stoße ich mich vom Rand ab – und bin drin.

Es dauert einige Sekunden, bis der Anzug mit dem kalten Wasser vollläuft. Da ich so überrascht davon bin, im flach aussehenden Fluss nicht stehen zu können, nehme ich die Kälte kaum wahr. Ich schaue nach oben und merke, dass ich wegen der starken Strömung schon unter der Brücke durchtreibe und fange an zu paddeln. Den Ausstieg beim Eisbach zu bekommen, ist nämlich am schwierigsten. Sagen immer alle. Ich schlucke ein bisschen Wasser, greife nach einem Stein am Rand und ziehe mich raus. Aus meinen Handschuhen läuft bräunliches Wasser. Das hat Spaß gemacht – ich mach’s direkt noch mal. Und erfahre erst ein paar Tage später, dass das Baden im Eisbach offiziell verboten ist. Haben die Kollegen mir gar nicht gesagt.
 

Trinke ein Bier auf dem Parkhaus beim Atomic Café

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



 Ein bisschen illegal fühlt es sich ja schon an. Alle anderen in diesem kotzgrünen Metallaufzug haben hier ein Auto stehen. Ich habe statt eines Autoschlüssels Bier in der Tasche. Der Lift zeigt die Sechs an, das oberste Stockwerk. Meine Begleitung und ich treten raus aufs Parkdeck. Der Boden glitzert vom Regen, unter uns gehen in den Gassen der Münchner Altstadt die ersten orangefarbenen Lichter an. Von hier oben hat man einen der schönsten Blicke über die Dächer der Stadt. Ein junges Paar findet das auch. Halbdiskret knutschen sie hinter einem Vorsprung auf dem kiesbedeckten Vordach. Ob die Erbauer des Parkhauses wohl damals ahnten, dass sie hier den besten Ort für Münchens Liebespaare schaffen?
 

Iss Weißwürste in der Großmarkthalle

Wenn ich meiner Familie beweisen möchte, dass ich wirklich in Bayern lebe, bringe ich Weißwürste mit. Bislang immer von da, wo ich eben gerade welche herbekam. Die besten Weißwürste Münchens, sagen zumindest mehrere meiner Freunde unabhängig voneinander, soll es allerdings in der Gaststätte Großmarkthalle in Sendling geben. Also schnappe ich mir an einem Mittwochmorgen meine echt-niederbayerische Mitbewohnerin und gehe hin.
 
In der Gaststätte ist es überraschend voll. Viele sprechen Dialekt. Viel mehr als sonst in München. Ich stelle mir vor, dass die Menschen hier alle mit ihren Händen arbeiten, Kisten im Großmarkt schleppen oder im Schlachthof tote Tiere verfrachten. Viele haben rote Nasen von der Kälte draußen. Fachmännisch bestelle ich „Weißwurscht“ (den Anfängerfehler mit dem „Paar“ mache ich nicht mehr), die Bedienung im Dirndl wirkt amüsiert. Als die Würste kommen, sagt mein niederbayerischer Beistand: „Da ist viel Grün drin, das ist immer ein gutes Zeichen!“ Und tatsächlich – sie schmecken ganz ausgezeichnet.
 

Lerne Schafkopfen und lass dich von einer Profirunde anpöbeln, weil du als Spieler „suchst“

Wollte ich ja. Aber: Mal eben schnell eine Schafkopfrunde für jemanden finden, der bis vor kurzem noch dachte, es hieße „Schafskopf“ – unmöglich. Zum Glück gibt es die App „Sauspiel“, mit der man das Spiel angeblich lernen kann – inklusive Pöbeleien auf Knopfdruck.
 
Ich merke aber fix: klappt nicht. Die App erklärt die Regeln nicht. Stattdessen geht das Spiel direkt los. Ich habe keine Ahnung, warum jemand „auf die Kugel“ spielt und wer hier eigentlich die Sau ist. Auch das Regeln-Googlen hilft nicht, auf einmal will nämlich jemand irgendwas mit „blau“ – aber die Farbe gibt’s im Kartendeck ja gar nicht. Die niederbayerische Kollegin versucht aufzuklären: Blau sei Gras. „Die Blaue“ die Grassau. Auch die Worte Schell’n und „Hundsg’fickte“ fallen. Und jetzt will ich wirklich nach Berlin. Da ist sicher nicht alles besser, aber das Gras ist wenigstens immer noch grün.

Text: charlotte-haunhorst - Fotos: juri-gottschall

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