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Sorgen mit Propellermütze

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Teile deine Sorgen. Dieser Satz steht auf einem braunen Kasten, der an der Stange eines Schildes am Eingang des englischen Gartens angebracht ist. Der Kasten ist etwa so groß wie ein Schuhkarton, über der Aufforderung, seine Sorgen zu teilen, steht in großer Schrift: Kummerkasten.

Fünf solcher Kummerkästen hingen den Sommer über in der Stadt verteilt, an Orten, die im Leben junger Münchner eine Rolle spielen: An der Eisbachwelle, am Geschwister-Scholl-Platz an der Uni, am 24-Stunden-Kiosk an der Reichenbachbrücke, am Gärtnerplatz und am Taxistand am Ende der Müllerstraße. „Es sollten gut besuchte Plätze sein, Tag wie Nacht“, sagt Moritz. Er ist einer der fünf Studenten zwischen Anfang und Mitte 20, die die Kästen in der Stadt verteilt haben.

In das Holz der Kästen ist außer der Schrift noch ein Baseball-Cap mit einem Propeller gefräst. Es ist der einzige Hinweis darauf, wer sie aufgehängt hat. Moritz und seine Freunde tragen solche Propellermützen auf ihren Feiern, man findet sie als Logo in der dazugehörigen Facebook-Gruppe. Der Name der Partyreihe lautet „Wildes Rumgetanze“, und er passt ziemlich gut. Nicht nur, weil es ausgelassene Partys sind, sondern auch, weil keine davon bei den Behörden angemeldet war oder groß in den Veranstaltungskalendern der Stadtmagazine beworben wurde. Gefeiert wird nicht in Clubs, sondern draußen, in der Wildnis, unter Isarbrücken, die Orte geben Moritz und seine Freunde erst kurz vorher im Internet bekannt. „Clubs kosten Eintritt, haben Türsteher, die nicht jeden reinlassen, die Getränke sind teuer. Unsere Partys sind anders“, sagt Moritz.

Die Kummerkästen mit der Propellermütze waren eine Promotion-Idee. Das Logo sollte bekannter werden, in der Stadt sichtbar sein. Einerseits. Andererseits verbirgt sich dahinter das Ziel, sich seiner Probleme und Nöte zu entledigen. „Uns gefiel die Idee, dass Münchner ihre Sorgen aufschreiben, sie somit teilen und eventuell ein Stück weit von ihnen loslassen“, sagt Moritz. Als sie die Kästen das erste Mal leerten, fanden sie Beschwerden aller Art. Über das deutsche und das bayerische Bildungssystem, das Wetter, den Job. „Manche Leute klagten aber auch über den Kleidungsstil der Münchner.“
  Nicht alle Kästen haben den Sommer überlebt, aber solange sie intakt waren, wurden sie genutzt. Die Münchner scheinen ein Bedürfnis zu haben, ihren Kummer zu teilen. Und das, obwohl man seine Sorgen quasi in ein anonymes Nichts wirft, wenn man nicht zu den wenigen Eingeweihten gehört, die die Propellermütze auf den Kästen dem „Wilden Rumgetanze“ zuordnen können.

Bleibt die Frage, was mit den eingeworfenen Zetteln passiert ist. „Wir haben sie zerschnipselt und bei den Partys in die Menge geworfen“, erzählt Moritz. „Es wurde wild auf ihnen herumgetanzt. Die Sorgen wurden in den Boden gestampft."

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