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Vom Küchentisch in die Politik

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Die FDP residiert am Rindermarkt, die Piratenpartei zieht es nach Milbertshofen. An der Ecke Schopenhauer Straße, Nietzsche Straße gibt es das griechische Lokal Synantisis. Ansonsten ist hier nicht viel los. Wohnblocks stehen lückenlos an den Straßen, jede Einheit hat in der Regel einen Balkon und ein Fenster zur Straße. Kaum vorstellbar, dass sich jemand in die U-Bahn setzt und vom Sendlinger Tor hier raus fährt, um die Piratenpartei zu besuchen. Aber Publikumsverkehr ist ja sowieso nicht das, was sich die Piraten von ihrer Geschäftsstelle erhoffen.

Viel wichtiger ist, dass sich die Parteimitglieder auch mal persönlich sehen. „Die Menschen sollen sich von Angesicht zu Angesicht auf die klassische alte Art einen Willen bilden oder Veranstaltungen organisieren“, sagt Klaus Müller, der den Landesverband Bayern vor fünf Jahren mitgegründet hat. 2007 saß er mit 20 Leuten in München zusammen und schrieb an einer Geschäftsordnung. Von dem Zeitpunkt an trafen sie sich vor allem im Netz. Im parteieigenen Wiki diskutierten sie Vorschläge und informierten über Demos. Wenn es etwas persönlich zu klären gab, schrieben sie Emails. „Ich habe mit vielen Leuten über ein Jahr zusammengearbeitet, bis ich zum ersten Mal live gesehen habe.“

Das trifft allerdings auf drei Leuten definitiv nicht zu: Klaus damalige WG-Bewohner Sarah, Florian und Florian. Die Wohnung in der Schwanthalerstraße war etwas Besonderes. Allein die Lage über dem Deutschen Theater war schon außergewöhnlich. Aber was die WG wirklich einzigartig machte, war, dass sie eine Art erste Zentrale der Piratenpartei in Bayern war, quasi der Vorgänger der Räumlichkeiten, die die Piraten am Donnerstag eröffnen. Von den 20 bayerischen Gründungsmitgliedern der Piraten wohnten hier gleich vier. Die Wohnung war eine reine Piraten-WG (jetzt.de hat sie 2007 schon besucht).

Dabei war es unter den Bewohnern lange gar nicht politisch zugegangen. „Bei uns hat nicht einer morgens die F.A.Z. gelesen und dann ein Referat gehalten“, sagt Klaus. Politik wurde für die vier erst interessant, als es plötzlich eine Bewegung gab, die sich für ihre Themen einsetzte. Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel, oder Software-Patente.

Letzteres ist auch Klaus Lieblingsthema bei den Piraten: „Wenn einer eine Idee hat, dann sollte die frei sein, adaptiert und genutzt werden.“ So wie bei Open Office, wo viele Programmierer weltweit an einer Alternative zu Word und Excel basteln. Das Projekt trägt sich über Spenden, genau wie Wikipedia. Wie die Amtsträger der Piratenpartei kriegen aber auch die Wikipedia-Autoren kein Geld. Für Klaus ist es dennoch der falsche Weg, „Wissen zu kommerzialisieren“.

Für viele, die nicht direkt als Netzaktivisten durchgehen, wurden die Piraten erst 2009 interessant. Ursula von der Leyen wollte kinderpornographische Seiten sperren. Die Piraten waren dagegen, weil das ein erster Schritt zu einer Zensur im Internet gewesen wäre. Bei der Europawahl hat den Piraten diese Haltung zwei Prozent eingebracht. Und eine Mitgliedersteigerung von 600 Prozent bis zum Jahresende. Das war für Klaus dann wieder ein Problem. Denn nur mit seinem Laptop auf dem WG-Tisch in der Schwanthalerstraße war so eine Partei nicht mehr zu organisieren.

„Wir mussten ziemlich schnell professionell werden“, sagt er, damals war er gerade 30 und seit zwei Jahren von der Uni weg. Die drei im Vorstand des bayerischen Landesverbandes wussten erst nicht einmal, wie man Kreisverbände gründet. „Das war eine wirklich kritische Phase“, sagt er. Dann hat aber doch alles irgendwie geklappt. Die Rettung war wieder einmal das Internet: Neumitglieder bekamen eine E-Mail-Liste der anderen in ihrem Ort. So ging alles recht flott.

Klaus sieht auf jeden Fall nach wie vor die Vorteile am Netz, wenn es darum geht, schnell und flexibel Dinge zu managen. Die Parteimitglieder tauschen sich auf einem Wiki über politische Ideen aus, sie schreiben direkt drunter, was sie davon halten. Auf Parteitagen weiß dann schon jeder Bescheid, worum es im Detail geht. Für Demonstrationen lassen sich per E-Mail schneller Leute zusammentrommeln. Trotzdem ist Klaus froh, dass die Piraten jetzt auch in München eine ganz reale Geschäftsstelle eröffnen.

„Es ist schon eine ganz andere Qualität, wenn man Menschen direkt gegenübersitzt“, sagt er. Das werden die Piraten nun häufiger im Besprechungsraum tun. Am Montagabend vor der Eröffnung klafft in der Wand noch ein Loch, hinter dem Kabel zu erkennen sind. Ansonsten ist hier schon alles so gut wie fertig. Ein grauer Tisch in der Mitte, blaue Stoffbezüge auf den Stühlen, es könnte auch das Konferenzzimmer eines mittelständischen IT-Unternehmens sein. Vorne, im großen Büro zur Straße hin, sieht es noch nicht so gut aus, da laufen die Arbeiten noch. Ein riesiger Haufen unterschiedlicher Schrauben liegt auf einem der grauen Tische, die recht planlos im Raum herumstehen. Der Teppichboden ist immerhin schon drin.

Klaus macht sich über die Optik keinen Gedanken, die Räume sollen vor allem nützlich sein für eine Parteizentrale. Die Mitglieder sollen sich hier treffen und sich austauschen, sie sollen direkt miteinander sprechen und nicht mehr nur über das Internet. So sieht das auch der politische Geschäftsführer der Partei in Bayern, Aleks Lessmann. „Man tauscht manchmal tausend Mails aus, für etwas, das sich in zehn Minuten besprechen lässt. In Mails kommen bestimmte Nuancen nicht rüber“, sagt er.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aleks Lessmann (links) und Klaus Müller in der neuen Parteizentrale der bayerischen Piraten

Er arbeitet als IT-Manager, das Sakko legt er auch dann nicht ab, wenn er zur Piratenpartei geht. Fragen wie die, warum die Piraten ausgerechnet nach Milbertshofen ziehen, hört er nicht gern. „Warum sollten wir unser Geld für wunderschöne, teure Räume auf der Maximiliansstraße investieren?“, sagt er.

Die Sache mit dem Geld ist natürlich ein ernstes Problem. In Deutschland bekommt nicht jeder Unterstützung vom Staat, der eine Partei gründet. Erst wenn man bei Bundestags- oder Europawahlen über 0,5 Prozent gekommen ist, kriegt man pro Wähler Geld. Bei Landtagswahlen geht es erst bei einem Prozent los und dann steigt der Beitrag auch noch mit den Mitgliederzahlen. Die Piratenpartei in Bayern kann sich von ihren Wahlerfolgen also noch wenig kaufen.

Deshalb waren die 20 000 Euro, die Alt-Hippie Rainer Langhans dem Landesverband überwiesen hat, ziemlich viel Geld. Damit bezahlen sie jetzt die Miete in Milbertshofen. Langhans hat vor einem Jahr von RTL 50 000 Euro für seinen Auftritt im Dschungelcamp bekommen. Schon damals sagte er, das wolle er spenden. Ein Teil ging an den Verteidigungsfonds von Wikileaks-Gründer Julian Assange und 20 000 Euro eben an den bayerischen Landesverband der Piratenpartei.

Aleks sitzt nun also in einem Sakko im neuen Besprechungsraum der Piratenpartei Bayern. Er wird dann vom Fotografen nach vorn gerufen, er soll vor einer schicken Fahne am Eingang posieren, die sich die Piraten haben machen lassen. Sie sieht aus wie von der CSU, nur eben in Orange. Man kennt das von der Tagesschau, wenn Politiker davor interviewt werden. Klaus wartet schon dort. Beide stehen vor der Fahne, der Fotograf drückt ab. Er macht sich aber Sorgen, ob das Bild wirklich professionell wirkt. Es sehe hier einfach alles noch zu sehr nach Baustelle aus.



Text: fabian-mader - Fotos: juri-gottschall

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