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Weihnachtliche Zettelwirtschaft

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Wer diesen Monat in der Stadt unterwegs war, hat vielleicht die teils meterhohen Zahlenbilder bemerkt, die wie Mosaike aus vielen Post-It-Zettelchen zusammengesetzt sind und an Fenstern von Geschäften oder Trambahnen klebten. Dieser ungewöhnliche Adventskalender ist das Werk des 29-jährigen Andreas Kopp.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Wie funktioniert dein Kalender?
Andreas Kopp: Das Ganze ist ein Wunschkalender. Meine Frau und ich kleben jeden Tag eine Zahl an ein Schaufenster. Die Leute können auf den Zetteln ihre Wünsche und ihre Kontaktdaten hinterlassen und die Zettel in eine Box werfen. Bei den Geschäften können sie dann etwas gewinnen, zum Beispiel einen Einkaufsgutschein. Vor allem geht es aber um etwas anderes: Ich ziehe an Weihnachten drei Zettel aus der Box und werde versuchen, die Wünsche darauf zu erfüllen.
 
Egal, welchen Wunsch?
Ja. Da muss ich wahrscheinlich improvisieren. Eine Designstudentin hat sich einen Strauß Luftballonblumen gewünscht, wie man sie bei Clowns auf Jahrmärkten sieht, weil ihr bisher niemand diesen Traum erfüllt hat. Das wäre noch relativ einfach. Vor ein paar Tagen, als wir eine Kalenderzahl an ein Trambahnfenster geklebt haben, hat sich jemand „mehr Lebenskunst in der Tram“ gewünscht. Da würde ich mir eine Aktion einfallen lassen, die ich in der Tram machen kann und diese Aktion filmen oder fotografieren. Das ist auch eine schöne Komponente des Kalenders: Dass im Idealfall daraus neue Projekte oder Aktionen entstehen können.
 
Und was passiert, wenn sich einer einen Ferrari wünscht?
Dann wird es natürlich schwierig. Dann würde ich ihm ein Spielzeugauto kaufen oder versuchen, ihm über ein Autohaus einen Tag einen Ferrari zur Verfügung zu stellen.
 
Sind Münchner Wünsche oft materieller Natur?
Es hält sich in Grenzen. Klar wünscht sich mal einer einen Lottogewinn oder einen Job, aber es überwiegen andere Sachen. Es ist zum Beispiel immer jemand dabei, der sich Frieden wünscht. Freundschaft taucht oft auf, und natürlich der Wunsch, für immer mit seinem Partner zusammenzubleiben oder einen Traummann oder eine Traumfrau zu finden. Ich hatte den Eindruck, dass sich eher die Jüngeren nach materiellen Dingen sehnen. Die Älteren sagen eher, dass sie wunschlos glücklich sind oder schreiben „Gesundheit“ auf den Zettel. Was man noch merkt: die Jüngeren haben Angst vor ihren Prüfungen und wünschen sich, sie alle zu bestehen.
 
Gab es Wünsche, die dir besonders nahe gegangen sind?
Ich musste öfter schmunzeln als dass mir etwas nahe gegangen ist. Höchstens der Wunsch, dass Papa und Mama sich wieder vertragen. Aber so etwas war die Ausnahme, vielleicht weil die Leute ihre größten Sorgen doch nicht auf einen Zettel in der Fußgängerzone schreiben wollen.
 
Wann ist dir die Zettelkunst zum ersten Mal begegnet?
Ein Kumpel von mir hat nach dem Tod von Steve Jobs im Oktober vorgeschlagen, ein Post-It-Porträt von ihm an die Scheiben des Apple-Stores in München zu machen. Ich habe mich bei der Aktion darum gekümmert, sie mit der Videokamera festzuhalten. Die Leute haben schon während wir das Porträt geklebt haben, Widmungen an Steve Jobs auf die Post-its geschrieben. Und da kam ich auf die Idee, das weiter zu verfolgen.
 
Was begeistert dich an Post-it-Art?
Mich begeistert zum einen, dass man sehr vielseitig arbeiten kann. Und besonders, dass diese Kunstform ein soziales Objekt sein kann, mit dem man die Leute einbinden kann. Dass ein Bild mehr sein kann als ein Porträt, das nur schön anzuschauen ist. Man formuliert Fragen, und die Leute reagieren darauf.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Andreas an seinem Küchentisch, mit einem Teil der bisherigen Zettelausbeute.
 
Dann ist eure Form der Post-it-Art also eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Post-it-Wars aus Frankreich?
Genau. Die Form an sich ist ja nichts Neues. Es gab schon vor Jahren in New York Ausstellungen. Dann ist es nach Frankreich gekommen, wo sich quasi gegenüberliegende Büros mit Post-It-Bildern an ihren Glasfassaden gegenseitig übertreffen wollten. Wir fanden aber nicht nur die Bilder interessant, sondern die Möglichkeit des Interaktiven.
 
Schreiben die Leute eigentlich von selbst auf die Zettel oder musst du sie dazu animieren?
Das kommt auf den Ort an. Bei Konen zum Beispiel war es einfach, weil der Laden an einer Ecke liegt und die Leute da nicht so vorbeirauschen. Beim Hallhuber gehen die Menschen sehr schnell vorbei, da wird man fast über den Haufen gerannt, wenn man stehen bleibt. Das macht es natürlich schwieriger, jemanden zum Verweilen zu verleiten. Ich habe in den zwei Wochen auf jeden Fall gelernt, Leute anzusprechen.
 
Magst du Weihnachten eigentlich?
Auf jeden Fall. Ich bin zwar nicht christlich, aber ich mag Weihnachten. Ich sehe das als eine Zeit, sich zu besinnen.
 
Dein Kalender hat aber auch eine konsumorientierte Komponente: Die Gewinne in den Geschäften. Warum?
Die Läden sollten ja auch etwas davon haben. Die lassen mich ja nicht einfach so ihre Fenster bekleben. Das war eben ein Zugeständnis, das mir die Chance gegeben hat, meine Post-Its überhaupt in der Fußgängerzone so vielen Leuten zeigen zu können, die Wünsche der Münchner in Erfahrung zu bringen und ein paar davon zu erfüllen.
 
Welchen Wunsch würdest du am liebsten erfüllen?
Den mit den Luftballons fände ich gut. Aber es wäre auch spannend, zu versuchen, für jemanden den Traummann oder die Traumfrau zu finden. Damit würde ich mich schon gerne beschäftigen.     
 
Wie viele Zettel verbrauchst du für deinen Kalender?
Es werden ja insgesamt 24 Zahlen, mit jeweils einer Zettelzahl zwischen 50 und 1 500.
 
Sind Post-Its für dich eigentlich ein Alltagsgegenstand, den du jeden Tag benutzt? Oder ist diese Zettelwirtschaft ein Anachronismus, heutzutage, wo sich jeder seine Notizen in den Computer oder ins Smartphone tippen kann.
  Nein. Ich habe auch von vielen Leuten gelesen, sogar von Bloggern, die ihre ersten Ideen ganz analog auf einem Block oder Post-Its notiert haben. Das ist einfach ein guter Weg, seine Gedanken zu ordnen. Wenn ich Filme mache, arrangiere ich die Story auch, indem ich Post-Its an die Wand klebe und den Ablauf visualisiere. Post-its sind schon noch aktuell.

Text: christian-helten - Fotos: privat, christian-helten

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