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Der Campus im besetzten Land

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  Es sind nur 40 Kilometer von Yarons Heimatstadt Tel Aviv bis in seine Uni. Aber auf dem Weg dahin muss er drei Hürden passieren. Als erstes überquert er mit seinem Auto einen militärischen Checkpoint, um ins Westjordanland zu gelangen. Kurz darauf folgt der nächste Kontrollpunkt, er liegt am Eingang der Stadt Ariel. Auch hier wartet Yaron, bis ihn ein Soldat mit Maschinenpistole an der Schulter durchwinkt. Als letztes wühlen sich Sicherheitsleute vor dem umzäunten Campus durch seinen Rucksack, sie suchen Waffen oder Sprengstoff. 

  An diesem Montag ist am ersten Checkpoint besonders viel Verkehr. „Normalerweise dauert es nicht so lange“, sagt Yaron, „wahrscheinlich wieder irgendein Sicherheitsding.“ Zum ersten Seminar wird er es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Yaron winkt ab. „Der Prof kommt auch von außerhalb“, sagt er, „wenn ich zu spät bin, ist er es auch.“ 

  Yaron, 27, studiert Architektur an der Ariel Universität im Westjordanland. Ariel ist eine der größten israelischen Siedlungen, rund 20 000 Menschen leben hier, dazu kommen mehr als 12 000 Studenten. Die Stadt wirkt, als könne sie sich nicht recht entscheiden, was sie nun sein will: ein friedliches Nest in den Bergen mit Vogelgezwitscher in der frischen Frühlingsluft – oder eine militärische Festung, umgeben von schwerbewaffneten Soldaten. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Aus Sicht der internationalen Gemeinschaft sind die Siedlungen auf den palästinensischen Gebieten illegal. Daher hatte auch die Hochschule seit ihrer Gründung im Jahr 1982 keinen vollständigen Universitätsstatus. Das hat sich jetzt geändert. Seit Ende vergangenen Jahres steht sie auf einer Stufe mit den anderen Hochschulen im Land. Die Entscheidung der Regierung ist in Israel politisch und wissenschaftlich umstritten. Die Aufwertung der Ariel Universität zeigt nämlich, dass Israel keineswegs die Absicht hat, die besetzten Gebiete irgendwann wieder zu verlassen. Im Gegenteil: In Ariel entstehen zurzeit neue Studentenwohnheime und eine neue Bibliothek.

  Kritiker sagen: Die Aufwertung der Hochschule entfernt Israelis und Palästinenser nur noch weiter von einem möglichen Friedensprozess. Doch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigt sich unnachgiebig. In einer Presseerklärung teilte er mit, dass Ariel „ein untrennbarer Teil des Staates Israel ist und dies auch im Rahmen jeglicher zukünftiger Abkommen bleiben wird, genau wie die anderen Siedlungsblöcke.“

  Auch das akademische Milieu in Israel protestiert gegen die Aufwertung der Hochschule im Westjordanland. Sechs der sieben etablierten Universitäten haben vor dem obersten Gerichtshof Einspruch gegen die Entscheidung der Regierung eingelegt. Sie fürchten, dass ihnen eine Gleichstellung mit Ariel international schaden könnte. 

  Avinom und Oded, beide Mitte 20 und Studenten der Molekularbiologie, sitzen auf einer Wiese auf dem Gelände des Campus von Ariel. Sie finden die Kritik der anderen Universitäten heuchlerisch. „Die ärgern sich doch nur, dass sie jetzt weniger Geld bekommen“, sagt Avinom. Denn in Zukunft müssen sich acht statt wie bisher sieben Universitäten das Budget aus dem Bildungsministerium teilen. Auch Yaron findet nichts Falsches an der Aufwertung seiner Uni, er freut sich darüber. „Es ändert zwar nichts an dem Studium selbst“, sagt er, „aber es sieht auf dem Lebenslauf schon besser aus, wenn man von einer staatlich anerkannten Universität kommt.“ 

  Yaron trägt Jeans, Trainingsjacke und eine verspiegelte Sonnenbrille. Er ist kein Siedler und kein religiöser Jude. Er glaubt auch nicht, dass das Westjordanland zu Israel gehören müsse. Yaron studiert hier, weil ihn keine andere Uni für einen Studienplatz in Architektur zugelassen hat. Wenn die Uni schon mal da sei, findet er, könne man doch auch dort studieren. „Dass Ariel jetzt als richtige Universität gilt, ist doch nur eine Formalität“, sagt er. „Mit oder ohne Anerkennung: Die Siedlung und die Uni werden bestehen bleiben, selbst wenn es einmal eine Einigung mit den Palästinensern geben wird.“

  Ausgerechnet hier, im Zentrum des alten Streits um die Besiedelung palästinensischer Gebiete durch Israel, blenden die Menschen diesen offenbar weitgehend aus. Es wirkt, als habe die scheinbare Unlösbarkeit des Nahost-Konflikts viele junge Leute unpolitisch gemacht. Es ändere sich ja sowieso nichts, ob man nun protestiere oder nicht – diese Meinung hört man auf dem Campus häufig. Die Gleichgültigkeit der Studenten zeigt aber auch, dass die nach internationalem Recht illegalen Siedlungen im Westjordanland inzwischen so sehr zur Normalität gehören, dass sich kaum noch jemand an ihnen stört. 

  Doch es gibt an der Ariel Universität auch Studenten, die aus ideologischer Überzeugung dort sind. „Ich bin hier, weil ich glaube, dass dieses Gebiet Israel gehört“, sagt Avidan, 28, der eine Kippa auf dem Kopf trägt. Er ist religiös, stammt aus einer der umliegenden Siedlungen. „Ich will, dass die Uni wächst“, sagt er. Avidan studiert im letzten Jahr Politik- und Kommunikationswissenschaft. Nach seinem Abschluss will er für die Regierung arbeiten. 

  Ähnlich denken auch Ofer und Sharon. Sharon kommt aus einer Siedlung nahe Jerusalem und freut sich vor allem darüber, dass die Uni ab sofort ein größeres Budget haben wird. Sie hofft, dass bald ein paar bedeutende Professoren an der Uni lehren wollen. Und dann sagt sie den Satz, den hier so viele sagen: „Komme was wolle, Ariel wird bestehen bleiben.“

  Die Universität versteht sich als Hochschule mit demonstrativ zionistischer Einstellung: Jeder Student muss pro Semester einen Kurs in jüdischer Geschichte oder Religion belegen, in jedem Klassenzimmer, Labor und Hörsaal ist eine israelische Flagge vorgeschrieben. Und auch der Name der Universität lässt keinen Zweifel daran, wem dieses Gebiet gehört. Auf dem Eingangsschild steht: Ariel Universität in Samaria. Judäa und Samaria, so nennen Siedler das Westjordanland. Die Bezeichnungen stammen ursprünglich aus der Bibel und sollen verdeutlichen, dass es sich bei den palästinensischen Gebieten historisch gesehen um jüdisches Land handelt. 

  Yaron, der Architekturstudent aus Tel Aviv, blinzelt in die Sonne und spricht zuversichtlich von der Zukunft. „Wenn es jemals eine Einigung mit den Palästinensern geben sollte, können wir hier alle gemeinsam studieren.“ Vielleicht werde Ariel dann ein Ort, der Frieden symbolisiere, nicht Probleme. Vor einem anderen Gebäude stehen jüdische und muslimische Mädchen zusammen und springen im Gespräch mühelos vom Arabischen ins Hebräische. Mean ist eine von ihnen, sie trägt ein Kopftuch und hat ihren Körper mit einem langen Mantel bedeckt. „Egal ob wir nun Christen sind, Juden oder Muslime“, sagt sie, „wir sind hier alle aus dem selben Grund: um zu studieren.“

  Auch die Hochschule betont immer wieder, dass sie für Toleranz und Vielfalt stehe. Tatsächlich hat keine andere Uni in Israel einen so hohen Anteil arabisch-stämmiger Studenten, also Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. Sie sind eine glückliche Minderheit. Denn Palästinenser ohne israelischen Pass dürfen die Siedlung weder betreten noch dort studieren.


Text: theresa-breuer - Fotos: Theresa Breuer, Karte: Katharina Bitzl

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