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Die Stimme aus Homs

Abu Emad lebt mittlerweile in Berlin.
Foto: Florian Reimann

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Es gibt Momente, da ist Abu Emad wieder zurück in der Hölle. Zurück in dieser vier Quadratmeter großen Zelle, dort in Syrien, in Homs. In einem Keller, ohne Tageslicht, mit Dutzenden anderen elenden Häftlingen. Dort, wo Assads Geheimdienst Menschen die Hände hinter dem Rücken zusammenbindet und sie an Haken an der Decke aufhängt, so dass ihre Füße nicht mehr den Boden berühren. Manchmal tagelang. Bis sie irgendetwas erzählen. Ober bis sie sterben. Ein Ort, vielleicht noch schlimmer als der Krieg.

Abu Emad ist ein Pseudonym. Teile seiner Familie leben immer noch in Syrien - und sind dort in Gefahr.Gerade ist so ein Moment. Abu Emad, ein hagerer, 23-jähriger Syrer mit dünnem Schnauzbart, sitzt in einer Erdgeschosswohnung in Berlin-Kreuzberg. Sie gehört einer Bekannten. Es ist Samstagvormittag, draußen scheint die Sonne. Auf der Straße vor dem Haus hat grade eine Frau gekreischt. Abu Emad schreckt zusammen, reißt die Augen weit auf und geht zum Fenster. Die schreiende Passantin lacht jetzt, sie geht vorbei. Es war nur ein harmloser Scherz mit einer Freundin. Abu Emad macht das Fenster zu und zündet sich eine Zigarette an.

So wie gerade eben geht es ihm immer wieder. Ein Schrei, etwas fällt runter, das Quietschen von Autoreifen: Manchmal reicht schon eine Kleinigkeit, und der Horror ist wieder da. Seit einem knappen Jahr ist er jetzt in Deutschland, Tausende Kilometer entfernt vom Krieg in Syrien. Weit weg von der Zelle, in der er so lange saß. Aber die Bilder von dort wird er nicht mehr los. Abu Emad ist ein Pseudonym, um ihn und seine Familie zu schützen, die immer noch in Syrien ist. Denn er hat in Homs viel riskiert. Abu Emad hat das Grauen gesehen und darüber berichtet.

Seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 arbeitete er als Informant und Berichterstatter für internationale Medien. Für die Fernsehsender CNN, BBC, für die Washington Post, um nur die größten zu nennen. Homs war komplett von Assads Armee belagert, die Internetleitungen hatte er kappen lassen. Denn Assad hatte aus seinen Fehlern gelernt. „Für die Revolution“, sagt Abu Emad, „waren Youtube und Facebook sehr wichtig.“ Man habe plötzlich gesehen, wie die Aufstände in anderen arabischen Ländern liefen. „Das inspirierte uns.“ In Homs gibt es zu diesem Zeitpunkt keine westlichen Korrespondenten mehr. Zu gefährlich. Freunde von Abu Emad unterstützen die syrischen Rebellen, suchen jemanden, der gut Englisch spricht und die internationalen Medien mit Informationen versorgen könnte. Der damals 19-jährige Maschinenbaustudent rutscht in die Sache so hinein. Er wird die Stimme aus Homs.

Um mit dem Westen kommunizieren zu können, benutzte er ein deutsches Satellitentelefon. Die Rebellen schmuggelten viele dieser Geräte in die Stadt. Abu Emad sagt, sie hätten die Telefone an TV-Schüsseln angeschlossen, so seien sie nicht aufgefallen. Handys zu benutzen wäre zu gefährlich gewesen, Assads Geheimdienst hätte diese Signale leicht orten können. Während draußen die Fassbomben aus Assads Hubschraubern vom Himmel regneten, saß Abu Emad im Keller eines grauen Beton-Hochhauses. Und skypte seine Informationen in die Welt hinaus. Stundenlang. Bis er oft nicht mehr wusste, mit wem er da eigentlich gerade spricht. Es ist schwer zu überprüfen, wie viele seiner Informationen wirklich objektiv waren und was vielleicht eher der Freien Syrischen Armee nutzen sollte. Offiziell gehörte Abu Emad der zwar nicht an, aber in diesem Krieg verschwimmt vieles. Was man überprüfen kann, ist, wie sehr Abu Emads Arbeit die westliche Wahrnehmung des Syrienkrieges geprägt hat. Schlägt man „Massaker von Hula“ bei Wikipedia nach, taucht als eine Quelle Abu Emad auf. Millionen Amerikaner hörten seine Stimme bei CNN, während der Live-Schalten nach Homs. Auch viele große deutsche Medien zitierten ihn immer wieder. Aber das ist lange her.

Abu Emad geht in die Küche und brüht arabischen Kaffee auf. „Das ist ein echt wichtiges Ritual für mich“, sagt er. Ein Stück Heimat, hier im deutschen Exil. Vergangenen Winter kam er mit einem Journalistenstipendium in die Bundesrepublik, arbeitete drei Monate bei einem großen Medienunternehmen, schrieb Artikel auf Englisch, aß in guten Restaurants, traf Politiker, lernte Deutschland kennen. Auf Augenhöhe.

Aber auch das fühlt sich für ihn schon lange her an. Seit das Stipendium ausgelaufen ist, ist Abu Emad ein ganz normaler Asylbewerber. Bis über seinen Antrag entschieden wird, darf er nicht arbeiten. Er muss herumsitzen und abwarten. Obwohl er mit seiner Berichterstattung aus Homs längst bewiesen hat, dass er motiviert und talentiert ist. Obwohl er so viel erzählen könnte über seine Heimat, über deren desolate Situation es so viel zu erklären gäbe. Ein paar Wochen lebte er in einer Turnhalle, wechselte von einem Asylbewerberheim ins nächste. Offiziell wohnt er jetzt in einem Heim im Osten Deutschlands. Aber Abu Emad wollte nicht mehr warten. „Ich war dort mit drei anderen Syrern auf einem Zimmer. Wenn ich das so sagen darf: Das waren ziemliche Arschlöcher.“ Sie hätten viel getrunken, Drogen genommen. Vor ein paar Wochen brach Abu Emad sich zwei Rippen, weil er bei einer Schlägerei im Zimmer schlichten wollte. Einmal fuhren er und ein anderer Heimbewohner mit dem Bus in die Disko im nächsten Ort. Sie hatten dafür ihre besten Klamotten angezogen, sich gestylt und einparfümiert. Sie wollten tanzen, trinken, feiern. „Eine richtige Party wurde aber leider nicht draus“, sagt Abu Emad. Die Dorfjugend in der Disko hat den beiden klar gemacht, dass man sie nicht da haben will. „Niemand wollte mit uns reden. Entweder sie ignorierten uns, oder sahen uns an, als hätten wir eine Krankheit.“ Er sagt, im Heim könnten die Menschen eigentlich nichts anderes tun, als kochen. Und darüber nachdenken, wovor sie geflohen sind. Was sie zurückgelassen haben. Das ist das Letzte, was er will.

In Syrien verbrachte Abu Emad viel Zeit in einem Foltergefängnis. Ein Professor von der Uni hatte ihn beim Geheimdienst denunziert. Als er das erste Mal festgenommen wurde, war er gerade 20 geworden. „Im Gefängnis habe ich schnell das Zeitgefühl verloren, aber ich kann mich trotzdem an jeden einzelnen Moment erinnern“, sagt er. Seine Mutter hat seine Tage im Gefängnis gezählt. Es waren 81. Abu Emads Stimme klingt dünn, wenn er von dieser Zeit erzählt. Von den Leichen in den Straßen, von den Verhören, zu denen er mit verbundenen Augen geführt wurde. Davon, dass er sich bis auf die Unterhose ausziehen musste, mit einer Stange geschlagen wurde. Von den Schreien der anderen Häftlinge, die ihn nachts wach hielten. Seine Familie lieh sich von Freunden insgesamt 15 000 Dollar, um Abu Emad zwei Mal freizukaufen. Viele seiner Mithäftlinge hatten weniger Glück. „Du bist verloren, wenn du nicht bezahlen kannst“, sagt Abu Emad. Nachdem er das erste Mal aus der Haft kam, verließ er seine Wohnung tagelang nicht mehr. Er sprach nur noch selten mit Journalisten. Als er das zweite Mal rauskam, war ihm und seiner Familie klar, dass er nicht länger in Syrien bleiben konnte.

Das libanesische Büro der Washington Post, mit dem er immer wieder zusammengearbeitet hatte, half ihm bei der Bewerbung für das Stipendium. Abu Emad stürzt den Kaffee runter. Er muss raus aus der Wohnung, sagt er. Draußen, in Kreuzberg, sitzen die Menschen auf der Admiralsbrücke. Sie trinken Bier und Mate, unterhalten sich auf Deutsch, Englisch, Spanisch. In Berlin fühlt Abu Emad sich wohl. Dort fällt er, anders als in der Provinz, nicht auf, wenn er in einen Club geht. Eine Bekannte, die er während seines Stipendiums kennenlernte, hat ihn an einen Workshop für Filmemacher vermittelt. Er will jetzt einen kleinen Film über die Zeit im Asylbewerberheim drehen, will in der Hauptstadt bleiben. Wenn nötig, ohne Genehmigung.

Abu Emad schlendert durch die Straßen. Vorbei an Falafel-Buden, Currywurst-Ständen, an einem heruntergekommenen Porno-Kino. Abu Emad grinst und sagt: „Facebook ließ Assad damals schnell wieder sperren. Pornoseiten aber nicht. Das soll die Menschen wohl zerstreuen.“Dann bleibt er plötzlich stehen. Er sieht eine junge Frau, die mit einem Trolley an einer Hauswand steht. „Leyla, was machst du denn hier?“ Die junge Frau sieht Abu Emad völlig entgeistert an. Dann beginnt sie zu lachen. Leyla kommt auch aus Homs. Ihr Bruder hat mit Abu Emad zusammen studiert. Leyla ist vor wenigen Stunden mit dem Flugzeug in Berlin gelandet, nach dem sie über den Libanon in die Türkei geflohen war. „Ich hab mir dort einen türkischen Pass besorgt“, erzählt sie. Wie viel der Pass gekostet hat, sagt sie nicht. Aber Leyla kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus, erzählt Abu Emad später. Und das hat ihr wohl den Weg über das Mittelmeer erspart. Der Krieg macht zwar alle zu Flüchtlingen, aber reich wird weniger reich, und arm bleibt arm. Es ist nicht das erste Mal, dass er hier Menschen trifft, die er aus Syrien kennt. An seinem ersten Tag in Berlin betete er in einer Moschee – neben einem alten Kommilitonen.

Abu Emad weiß, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die mit Flüchtlingen überfordert sind. Dass hier Asylbewerberheime angezündet werden, sich Rassisten zusammenrotten. Trotzdem ist Deutschland für Syrer das genaue Gegenteil ihres Landes. „Vor dem Krieg“, sagt er, „konntest du in Syrien wegen jeder Kleinigkeit eingesperrt werden. Ohne Verfahren. Jeder kannte Menschen, die einfach verschwunden sind und nie wieder auftauchten.“ Deswegen haben sich die Menschen aufgelehnt. Und dann kam die Hölle des Krieges. Die Fassbomben, die Scharfschützen, die Folter. Abu Emad sagt: „Wenn du das alles erlebt hast, dann hast du keine Angst mehr vor Nazis.“

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