Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Die Zukunft ist ein Himbeerkuchen

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was passiert, wenn man mit der Hand auf eine Rübe haut? Ein leises „Klack“, vielleicht trägt die Rübe eine Delle davon, oder auch die Hand, das kommt ganz auf die Beschaffenheit des Gemüses an. Weitere Wunder sind jedenfalls nicht zu erwarten. Auf der Videoplattform Vimeo gibt es einen Clip, in dem ein paar Mädchen auf Rüben herumtrommeln, die in einer Holzverkleidung stecken – und ziemlich erstaunliche Geräusche produzieren: Die Rüben klingen wie ein Schlagzeug, und die Holzvorrichtung, in der sie verbaut sind, nennt sich „Beet Box“ (engl. beet = Rübe).

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Auf Blogs, YouTube und Flickr findet man Hunderte Fotos und Videos von solchen kleinen Erfindungen. Eine Kaffeemaschine, die einen Espresso kocht, sobald man sie anruft, ein Telefon, das automatisch Werbeanrufe abwimmelt. Manche dieser Basteleien sind nicht mehr als unterhaltsamer Quatsch, manche sind vielleicht Vorläufer erfolgreicher Produkte. Sie alle haben eines gemeinsam: In ihrem Inneren steckt immer der gleiche Mini-Computer: der „Raspberry Pi“, ausgesprochen wie Himbeerkuchen auf Englisch. Er ist kaum größer als eine Visitenkarte und trotzdem ein vollwertiger Computer. Wenn man Bildschirm, Tastatur und Maus anschließt, kann man damit arbeiten, nicht besonders schnell, aber immerhin so gut wie mit einem Netbook. Der Name hat nostalgische Gründe. In den siebziger und achtziger Jahren wurden mehrere Computerfirmen gegründet, die nach Früchten benannt waren, darunter Apple, Apricot Computers und Tangerine Computer Systems. Das „Pi“ hat mit Kuchen nichts zu tun, sondern kommt von der Programmiersprache Python.

Der Hype um den Minirechner ist riesig und erstreckt sich längst über die Informatikerszene hinaus. Mehr als 200 000 Geräte wurden am ersten Verkaufstag vorbestellt. Inzwischen sind eine Million davon verkauft. Es gibt Designwettbewerbe für kreative Raspberry-Pi-Gehäuse und seit Mai 2012 die kostenlose Community-Zeitschrift MagPi.

Die Basteleien haben den Raspberry Pi berühmt gemacht. Das ursprüngliche Ziel der Wohltätigkeitsorganisation „Raspberry Pi Foundation“ und des Erfinders Eben Upton war ein anderes: Schülern und Studenten ein Verständnis von Hardware zu vermitteln und dadurch den Einstieg ins Programmieren zu erleichtern.

Warum man in der Schule programmieren soll, darüber haben in der vergangenen Woche bei der Computermesse CeBIT in Hannover wieder viele wichtige Menschen diskutiert. Die Kanzlerin hält die IT-Branche mittlerweile für ähnlich wichtig wie Maschinenbau und die Autoindustrie. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück betonte in einer Rede, dass Deutschland eine neue „Gründerzeit“ brauche und der Schlüssel dazu digitale Fähigkeiten seien. In seiner Zeit habe man Alt-Griechisch und Latein als zweite Fremdsprache gelernt, bald werde sich das ändern: „Ich glaube, dass Programmieren die neue zweite Fremdsprache wird“, sagte er.

Auch wenn heute fast jeder Schüler mit dem Computer umgehen kann, interessieren sich die Wenigsten fürs Programmieren. Unter anderem in Deutschland und Großbritannien gibt es zu wenige Informatiker, auf jeden arbeitslosen Informatiker kommen in Deutschland 3,7 freie Stellen. Das soll der Raspberry Pi ändern.

Seinem Erfinder Eben Upton fiel 2006 als Doktorand an der Cambridge University auf, dass der Großteil der Informatikstudenten nicht wusste, wie ein Computer funktioniert. „Die Schüler lernen den Umgang mit Software, aber niemand zeigt ihnen, wie ein Computer aufgebaut ist. Die meisten interessiert das auch nicht“, sagt er. Er träumte von einem Computer, der so billig ist, dass ihn sich jeder Schüler von seinem Taschengeld kaufen kann, und robust genug, um ihn jeden Tag im Rucksack mitzunehmen. Wie ein Musikinstrument, mit dem man zu Hause übt und das man mit in die Schule nehmen kann.

Den Raspberry Pi gibt es für weniger als 40 Euro. Durch den günstigen Preis könnte er auch für Schulen in ärmeren Ländern interessant werden. In Großbritannien soll der leicht programmierbare Computer den jährlichen Rückgang der Bewerber für die Informatikstudiengänge bremsen. Zur Zeit arbeiten Eben Upton und sein Entwicklerteam an Raspberry-Pi-Unterrichtsmaterialien. An den Bestellungen merkt er, dass gerade viele Lehrer Pis für ihre Klassen anschaffen.

Zwei davon sind die Informatiklehrer Alan O’Donohoe aus Preston und Christine Swan aus Worcester. Beide haben ihren Schülern mit dem Pi die Programmiersprachen Python und Scratch beigebracht. Alan O’Donohoe hat für seine High School erst einmal nur ein paar der Mini-Computer bestellt, gerade plant er, einen ganzen Computerraum nur damit auszustatten. Seine Schüler haben eine Computerspielversion von „Schere, Stein, Papier“ entwickelt. Christine Swan hat ihren eigenen Pi in ein kleines Auto aus Legosteinen eingebaut und mit in die Schule genommen. Ihre Schüler ließ sie dann Programme schreiben, mit denen man den „Lego-Rover“, wie sie ihn in Anlehnung an das berühmte Marsmobil nennt, steuern kann. „Sie lassen den Rover in verschiedene Richtungen fahren, schalten die Lichter ein und aus und lassen ihn Sounds abspielen“, erzählt sie.

Auch in den deutschen Unis und Schulen kommt der Raspberry Pi langsam an. Der Informatikprofessor Jörn Schneider von der Hochschule Trier hat im Januar zusammen mit den Fachschaftsräten der Universität und Hochschule Trier die zweite „Raspberry Pi Jam“ in Trier veranstaltet, eine Mischung aus Vorträgen und einer „Umschlagbörse für Ideen“, wie Jörn Schneider es nennt. Eine Art „Nerd Nite“, nur zugespitzt auf ein Gerät.

In der Lehre setzt Jörn Schneider den Pi noch nicht ein. „Es dauert, bis Übungen für den Unterricht entwickelt sind, aber in unserem Projektraum können die Studierenden ihre Pis mitbringen und an ihren eigenen Projektideen arbeiten“, sagt er. „Wenn man selbst etwas baut, setzt man sich auf eine andere Art mit dem Rechner auseinander, man vertieft das Verständnis von Hardware und lernt auch mehr über Programmierung.“

Einer der ersten in Deutschland, die den Pi im Unterricht einsetzen, ist der Informatiklehrer Marco Schneider vom Gymnasium Kusel. Er hat im Dezember drei Raspberry Pis für die Schule bestellt und mit seinem Informatik-Grundkurs zusammengebaut. Er schätzt das Potenzial der Mini-Computer für den Informatikunterricht hoch ein: „Die Anschaffung verbraucht nur wenig Budget und die Sprache Python, mit der er programmiert wird, steht im Informatiklehrplan.“ Jörn Schneider pflichtet ihm bei: „Damit kann man wirklich selbst etwas entwickeln und bekommt dieses Aha-Erlebnis, das jeder beim Programmieren spürt“, sagt er.

Gemüsetrommeln und Lego-Rover sind natürlich Spielereien, wie man sie zu Hunderten auf YouTube findet. Aber es sind Spielereien, mit denen Schüler Spaß am Programmieren finden, die sie freiwillig lernen lassen. Peer Steinbrück wäre in Fremdsprachen wahrscheinlich auch besser gewesen, wenn sie ihn begeistert hätten. Das war offenbar nicht der Fall. Er istwegen Latein durchgefallen.

Text: kathrin-hollmer - Screenshot: Vimeo; Fotos: Raspberry Pi Foundation, Christine Swan

  • teilen
  • schließen