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„Hier war München Berlin, jetzt wird es Düsseldorf“

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Blumenstraße 28 – für junge Münchner ist diese Adresse gleichbedeutend mit durchfeierten Nächten in der Registratur, einem der wichtigsten Clubs der Stadt, der in dem denkmalgeschützten Amtsgebäude der Stadtwerke zu Hause ist. Doch die Strahlkraft der Blumenstraße 28 reicht weiter, hier ist in den letzten Jahren eine Art Symbiose entstanden: Nachdem die Stadtwerke das Gebäude nicht mehr benötigten, wollten sie bis zum Beginn der geplanten Sanierung etwas Geld verdienen. Die billigen Mieten zogen junge Kreative an – Künstler, Musiker, Startup-Unternehmen und Freiberufler jeder Couleur erfüllten die alten Verwaltungszimmer mit neuem Leben. Am Ende dieses Monats müssen sie alle raus, die Stadtwerke haben das von vornherein als Zwischenlösung angelegte Mietverhältnis gekündigt. Das Gebäude wird saniert, danach zieht die Werbeagentur Heye & Partner aus Unterhaching in die Blumenstraße. Ein Blick hinter die Türen zeigt, was dieser Wechsel für die jetzigen Mieter, ihre Arbeit, das Viertel und die Stadt bedeuten könnte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

1„Künstler brauchen dreckige Räume“ Matthias Männer und Motoko Dobashi vom Raum 500 „Ursprünglich hatten wir hier nur unsere Ateliers. Wir sind zu dritt – Moto ist Malerin, ich mache hauptsächlich Skulpturen und Installationen, Simone malt auch. Wir sind ziemlich am Anfang hier reingezogen, da waren nur die Räume im sechsten Stock wegen der Aussicht schon belegt. War ein lustiges Gefühl, mitten in München durch ein leerstehendes Haus zu laufen und sich einen Raum aussuchen zu können. Nach einer Weile haben wir begonnen, Ausstellungen zu machen, weil der Raum nebenan leer war. Angefangen haben wir mit einer Gruppenausstellung mit allen Künstlern, die wir kannten. Dann hat sich das verzweigt, und es ist ein Netzwerk über München hinaus entstanden. Wir zahlen den Künstlern nichts. Wir übernehmen nur ein bisschen Pressearbeit, drucken Karten und so. Dafür nehmen wir auch nichts, wenn die Künstler etwas verkaufen. Über den Getränkeverkauf kommen wir dann wieder auf Null raus. Es kamen auch immer Leute aus dem Haus vorbei – es gibt ja hier genug Architekten und Designer. Das ist definitiv ein Vorteil gegenüber einem reinen Atelierhaus – dass eben nicht nur Künstler unter sich sind, sondern man ein etwas breiteres Publikum hat und ein Austausch stattfindet. Dass es die billigen Ateliers hier bald nicht mehr gibt, hat sicher Auswirkungen auf die Kunstszene in München. Wir waren ja auch schon mit einem Fuß in Berlin. Durch Zufall haben wir über Freunde ein neues Atelier am Hauptbahnhof gefunden. Aber viele stehen immer noch ziemlich ratlos da. Ein Atelier zu finden, ist immer schwer gewesen in München. Künstler brauchen ja auch möglichst dreckige Räume. Es muss Farbe tropfen dürfen, und ich muss auch mal nachts um drei Uhr mit der Kreissäge Krach machen dürfen. Das ging hier alles. Die Pförtner, die unten an der Eingangstür sitzen, haben sich auch schon angepasst und haben sich daran gewöhnt, dass hier viele junge Leute sind und es auch mal ein bisschen chaotisch zugeht. Es passieren ja immer wieder krasse Sachen, ob jetzt Feuerlöscher losgehen, Wände eines Morgens besprüht sind oder sogar mal ein Scheißhaufen vor deiner Tür liegt.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

2 „Ich kriege regelmäßig Besuch von der Band gegenüber“ Norbert Englhardt, Architekturbüro Englhardt „Ich bin seit Januar 2005 hier. Als einige Architekturstudenten in einem ersten Schwung wieder rausgegangen sind, habe ich mir diesen Raum gesichert. Es gab darum einen regelrechten Kampf: Ich hatte einen Mietvertrag von den Stadtwerken, ein anderer hatte den Hausmeister bestochen und hatte den Schlüssel. Ich habe vorher in Berlin in einem Architekturbüro gearbeitet, und mir dann hier mein eigenes Büro aufgebaut. Dieses Podest habe ich eingebaut, damit ich höher sitze und aus dem Fenster über München auf die Alpen schauen kann – von der Zugspitze bis zum Wallberg am Tegernsee. Am Anfang hatten wir auch noch eine Klimaanlage, die die Stadtwerke dann aber wohl abgeknipst haben, weil sie gemerkt haben, dass die ziemlich viel Strom verbraucht. Der Strom ist ja hier im Mietvertrag inbegriffen. Das Umfeld ist mir beim Arbeiten wichtig. Darum habe ich auch immer meine Türe offen stehen. Ich kriege regelmäßig Besuch von anderen Leuten, die vorbeischauen auf einen Cappucino. Man leiht sich auch mal was aus. Gegenüber probt dreimal die Woche eine Band, die laden mich auch immer zu ihren Konzerten ein. Ich gehe aber selten hin, weil ich die Lieder alle schon kenne. Aber so etwas ist gut für das Flair im Haus. Die Atmosphäre mag ich schon. Etwas Ähnliches wird man nicht wieder kriegen. Ich habe sehr intensiv nach etwas Neuem gesucht. Nachdem es jetzt 200 Leuten genauso geht, war ich bei dem ein oder anderen Objekt auch in Konkurrenz mit anderen aus dem Haus. Jetzt wird’s repräsentativer, ich gehe in ein Büro am Promenadeplatz. Dann muss ich meine Kunden nicht mehr extra über die Treppe schleusen, wie ich es hier manchmal gemacht habe, wenn ich sie nicht durch die Registratur zum Aufzug schicken wollte. Schade finde ich, dass die Innenstadt jetzt eine wichtige Disko verliert. Die Kneipen hier werden deswegen nicht leerer sein, aber die Blumenstraße 28 war schon eine große Ansammlung kreativer Köpfe.“


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

3 „Früher war es chaotischer“ Kristjan Mirkovic, Philippe Pham und Matthias Wiegele von United Skateboard Artists „Wir haben in einem kleinen Raum angefangen, 2003 im April, also relativ am Anfang. Dort haben wir ganz simpel T-Shirts mit unseren Graphics bedruckt: ein Sieb, eine Farbe, ein T-Shirt. Jetzt haben wir eine große Kollektion, machen in Kollaboration mit Skateboardfirmen Bretter, und übernehmen auch Druckaufträge für andere, nachdem wir unsere Siebdrucktechnik verfeinert haben. Unsere Hauptkunden sind Skate- und Online-Shops. Wir haben einen eigenen deutschlandweiten Vertrieb aufgebaut, jetzt nehmen wir verstärkt auch Österreich in Angriff, wo bisher ein Laden unsere Sachen verkauft. Vor ein paar Jahren war es noch ein bisschen alternativer, ein bisschen chaotischer. Ich hatte das Gefühl, in einer Art besetztem Haus zu sein. Mittlerweile – ich würde sagen, in den letzten drei Jahren – sind schon viel mehr seriöse Firmen hier eingezogen, von IT-Leuten bis zum Architekten. Es gab anfangs auch ein größeres Gemeinschaftsgefühl. Wenn man sich mal auf dem Gang gesehen hat, hat man sich eher gegrüßt. Mittlerweile ist es recht anonym geworden. Wir haben uns entschieden, in die Nähe vom Feierwerk zu gehen. Da kennen wir ein paar Leute, haben mit denen auch schon Events organisiert. Die waren immer sehr begeistert von der Skateboardkultur, die wir da anbringen, und deswegen wird jetzt dort auch eine Skate-Plaza gebaut, also ein Skatepark, der an Straßenarchitektur angelehnt ist. Insofern war es naheliegend, dass wir in einen der Räume dort gehen, auch weil die dort eine Druckwerkstatt haben, wo wir ihnen ein bisschen unter die Arme greifen können. Dort ist es sogar größer, dafür ein bisschen teurer. Allerdings werden die Räume in einem Jahr auch saniert, das ist also auch nur eine Übergangslösung. Ich werde das Viertel hier schon sehr vermissen. Man kann rausgehen nach der Arbeit, kann was trinken, sich mit Freunden am Gärtnerplatz treffen. Wenn wir sagen: „Treffen wir uns am Feierwerk“, hat da keiner Bock rauszukommen. Es war natürlich auch immer sehr praktisch, hier sein Büro zu haben, wenn man in die Registratur wollte. Dann konnten wir unser Büro als Garderobe benutzen und hier vorglühen. Das ist aber auch ein bisschen weniger geworden, seit wir hier Vollzeit arbeiten. Weil es irgendwann ein bisschen genervt hat, dass wir hier immer alles voller Bierflaschen und Zigarettengestank hatten.“


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

4 „Ernsthafte Überlegungen, München zu verlassen“ Hartmuth Siebert und Bianca Claße, Westfire Entertainment „Eigentlich sind wir ja ortsunabhängig, wir könnten auch irgendwo am Meer arbeiten. Wir machen Hörbücher, Kriminalhörspiele zum Beispiel. Wir sind praktisch ein Hörbuchverlag, veröffentlichen aber auch mal eine Musik-CD. Darüber hinaus machen wir die Grafik selbst, die Gestaltung ist bei uns ein ganz wichtiger Bestandteil. Fotografie und Grafik sind also das zweite Standbein, das uns in der sehr kostspieligen Aufbauphase – den Verlag gibt es seit drei Jahren – auch sehr geholfen hat. Bei uns gab es ernsthafte Überlegungen, München zu verlassen. Wir waren eigentlich schon an dem Punkt, wo wir vor der Entscheidung standen, haben auch schon in anderen Städten gesucht, am meisten in Berlin. Zum Glück hat sich die Variante aufgetan, dass wir uns mit einer anderen Agentur Räume teilen, was für uns sicher eine sehr positive Lösung ist. Aber das war auch totaler Zufall, dass das so gekommen ist. In München gibt es immer wieder so kleine Nischen, in denen etwas wächst und wo etwas aufgebaut wird, und dann wird das saniert und verkauft. Klar, in anderen Städten passiert das auch, nur gibt es hier eben so wenig, wohin man ausweichen könnte. Die Stadt München, die mit Schwabing ja mal ein richtiges Künstlerviertel hatte und davon immer noch profitiert, wird darunter leiden. Man sieht ja in Berlin, wie das funktionieren kann. Dort ziehen Kreative in ein Viertel, bauen etwas auf, dann folgen die Leute, die Mieten werden teurer. Dann ist das nächste Viertel dran.“

Text: christian-helten - Fotos: Evi Lemberger

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