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"Ich habe eine Hassliebe zum Konsum"

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jetzt.de: Ob ein Einkauf eine schöne Zeichnung werden könnte – beeinflusst dich diese Frage eigentlich, wenn du in einem Geschäft stehst?
Kate Bingaman Burt: Ja, das passiert vielleicht manchmal. Aber ich achte schon darauf, nicht extra etwas zu kaufen, um es dann zu zeichnen. Es würde das ganze Projekt verfälschen, wenn ich etwas sehen und dann denken würde: „Oh, es wäre süß, das zu zeichnen!“ Und ich möchte ja auch diese alltäglichen Dinge zeichnen, die fast jeder kauft: Benzin, Kaffee, Kaugummi.
 
Das klingt erst mal nicht nach besonders interessanten Motiven.
Ja, das stimmt. Aber wenn ich sie immer wieder zeichne, finde ich auch an Tankquittungen was, das mir Spaß macht. Es hilft mir dabei, mir Gedanken darüber zu machen, was ich kaufe. Und ich mache diese Zeichnungen, um diese Allerweltsgegenstände aufzuwerten. Je allgemeiner und banaler Dinge sind, desto mehr haben Menschen eine Beziehung zu ihnen und reagieren darauf. Meine Haarklammern verliere ich zum Beispiel dauernd, und zeichne sie jedes Mal, wenn ich neue besorge. Das Kaufen solcher kleiner Sachen wird dadurch etwas Besonderes.
 
Gibt es Sachen, die du extra nicht kaufst, weil du sie nicht zeichnen willst?
Ich mag es gar nicht, Menschen zu zeichnen. Wenn ich ein Magazin sehe, das ich haben will, und da sind all diese Leute auf dem Cover, denke ich: „Oh Mann, will ich das wirklich zeichnen?“



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Früher hast du auch deine Kreditkartenabrechnungen gezeichnet und online gestellt. Auch kein besonders interessantes Motiv eigentlich.
Ich hatte eine Menge Kreditkartenschulden, zu einem Zeitpunkt 24 000 Dollar. Das hatte sich sehr schnell angesammelt, ohne dass ich größere Sachen gekauft hätte. Eigentlich halte ich mich für eine organisierte Person. Die Kreditkartenschulden waren mir peinlich und ich dachte, ich sei einfach eine Versagerin. Ich war frustriert und habe mich hilflos gefühlt. Ich habe auch niemandem davon erzählt. Und dann habe ich immer diese Abrechnungen bekommen – die so langweilig aussehen, als hätte kein echter Mensch etwas damit zu tun. Da habe ich beschlossen, sie solange zu zeichnen, bis ich alles abbezahlt habe. Ich wollte sie irgendwie menschlicher machen. Wo sie doch so maschinell aussehen, aber so vielen Leuten jeden Monat die Nachricht bringen: Du schuldest uns dieses ganze Geld, du hast es vermasselt.
 
Hat das Zeichnen gegen das schlechte Gefühl geholfen?
Das Gute war, dass ich die Zeichnungen ja auch ins Netz gestellt und meine Geschichte mit anderen geteilt habe. Dass ich anderen gezeigt habe: Hier, ich habe diese Schulden, ich übernehme Verantwortung dafür. Leute haben dann angefangen, mir E-Mails zu schreiben und mir von ihren eigenen Kreditkartenschulden zu erzählen. Wir haben eine offene Kommunikation darüber angefangen. Obwohl wir heute bei Facebook und Twitter alles teilen, reden wir immer noch nicht darüber, wie viel Geld wir verdienen und wie viele Schulden wir haben. Das hat einfach ein Gespräch darüber eröffnet.
 
Vielen wäre das sicher zu persönlich. Erzählen denn auch die Dinge, die du kaufst und zeichnest, viel Persönliches über dich?
Es ist interessant, wenn ich Leute treffe, die mich nur von meinen Zeichnungen kennen. Die haben oft das Gefühl, mich zu kennen. Aber meistens haben sie ganz unterschiedliche Bilder von mir, die sie sich zusammengebaut haben. Man kriegt kein ganzes Bild davon, wer eine Person ist, nur wenn man die Sachen betrachtet, die sie kauft. Für ein früheres Projekt hatte ich ja sogar wirklich alles, was ich gekauft habe, fotografiert und ins Internet gestellt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich immer noch eine sehr private Person bin. Ich zeige ja nur Sachen, die ich kaufe. Das ist alles.
 
Also ist man nicht, was man kauft?
Nein, das glaube ich nicht. Das ist nur ein Teil der Geschichte.
 
Welches Verhältnis zum Konsum hast du durch deine Projekte entwickelt?
Ich habe auf jeden Fall eine Hassliebe zu Konsum. Mir gefällt es, dass der Konsum durch die Projekte um eine aktive Rolle ergänzt wird: Ich komme mit Leuten ins Gespräch, die sich für meine Einkäufe interessieren. Sie erzählen dann von Sachen, die sie gekauft haben, und da kratzt man immer an interessanten Geschichten. Man fängt an, über bloße Dinge zu reden, und kommt dann zu einem tollen, ehrlichen Gespräch mit einem anderen Menschen.
 
Was ist dann der Hass-Teil?
Hm, das Geld. Geld ist einfach der schlimmste Stressfaktor für so viele Leute in ihrem täglichen Leben. Man braucht einfach Geld, um Sachen zu machen. Das ist der Hass-Teil.
 
Trotzdem kauft man immer noch so viel Unnötiges. Warum eigentlich?
Bei mir ist es so ein kindliches Belohnungssystem. Wenn ich einen großen Auftrag habe, der abgegeben werden muss, dann sage ich mir: „Wenn du das rechtzeitig schaffst, kannst du dir diese Schuhe kaufen, die du so gern willst.“ Oder man hat einen schlechten Tag und – das passiert sicher vielen – man versucht den Tag besser zu machen, indem man rausgeht und was Nettes isst, das man nicht essen sollte. Man belohnt sich mit einem Stück Kuchen und denkt: „Danach werde ich mich besser fühlen!“ Fühlt man sich natürlich nicht, oder jedenfalls nur für einen Moment.
 
Aber wenn man den Kuchen zeichnet, bleibt noch mehr von dem Moment.
Ja, genau! Ich gebe diesen kleinen Einkäufen, die sonst so schnell wieder verschwinden, ein bisschen mehr Langlebigkeit.

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