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Nonsens ist ihre Waffe

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"Definiere Spaß“, sagt Luther Blissett*, wenn man ihn nach der Spaßgesellschaft fragt. Dabei müsste er doch eigentlich am besten wissen, was Spaß ist. Denn alles, was er tut, tut er im Namen des Spaßes – wie die anderen hier in der „Hedo-Bar“. Einmal im Monat beherbergt das Zielona Gora, eine Kneipe in einem ehemals besetzten Haus in Berlin-Friedrichshain die „Hedo-Bar“. „Hedo“ steht für die Hedonistische Internationale (HI).

  Das Haus ist bunt bemalt, drinnen hängen Poster und Transparente gegen Nazis an der Wand. Die Nasenring-Dichte ist hoch und der Qualm im Raum kommt vor allem von selbst gedrehten Zigaretten. Aus der Küche wird Soja-Chili „Molotov“ gereicht, zu „antifaschistischen Preisen“, wie es auf dem Flyer heißt, es kostet zwischen einem und drei Euro, jeder gibt soviel er will. Der Mann, der sich Luther nennt, steht hinter der Bar. Er hat einen rötlichen Fünftagebart, trägt einen grauen Kapuzenpulli und Schlabber-Jeans. Hauptsächlich holt er „Sterni“ aus den Kühlschränken, das Berliner Billig-Bier, 1 Euro 30 die Flasche. Wenn ihm jemand einen Fünf-Euro-Schein reicht, bedankt er sich für die „großzügige Spende“: „Danke, die nehmen wir gerne.“ Wenn er das Wechselgeld dann doch zurückgibt, ist sein Gesicht ein einziges Augenzwinkern.

  Alles sieht aus wie ein spaßiges, ansonsten aber nicht weiter bemerkenswertes Treffen junger Berliner Linker. Und doch hat ein paar Tage zuvor ein Großteil der deutschen Medien über diese Leute hier berichtet. Es war die HI, die vor dem Brandenburger Tor eine Demonstration für die Rückkehr Karl-Theodor zu Guttenbergs angemeldet hatte und dafür sorgte, dass sich die wenigen echten Guttenberg-Anhänger plötzlich in einer Satire wiederfanden, wie die Redaktion des Magazins „Titanic“ sie nicht schöner hätte inszenieren können. Die Hedonisten trugen Transparente mit der Aufschrift „Guttenberg muss Kaiser werden“ und „Solidarität mit dem Oberbefehlshaber“. Alexander Müller, der die Demo angemeldet hatte, schimpfte in Interviews (auch mit jetzt.de) auf die „linke Hetzpresse wie FAZ und Welt“, die Guttenberg stürzen wollten, „nur weil er ein Betrüger ist“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Die Protestaktionen der HI leben von ihrer Andersartigkeit. Die Teilnehmer wollen Spaß haben an politischen Aktionen, Nonsens ist ihre Waffe. Ihre Demos erinnern an Elektro-Partys. Sie tanzen flashmobartig in vorweihnachtlich-überfüllten Kaufhäusern, um die Konsumgesellschaft wachzurütteln. Im Herbst erregte eine der vielen HI-Splittergruppen Aufmerksamkeit mit einer Serie von „Wohnungsrallys“: Nackt stürmten sie Besichtigungstermine überteuerter Berliner Wohnungen und führten ihren Protest-Tanz auf. Die HI ist vielleicht die Manifestierung der Spaßgesellschaft in der Protestbewegung. Vielleicht schafft sie sogar das zeitgemäße Angebot für eine Generation, die für die aktive Teilnahme am politischen Prozess so schwer zu mobilisieren ist. Die Jugend, die wenig anfangen kann mit einer verstaubten linken Protestkultur, die aus der Zeit ihrer Eltern stammt. Die HI will Nazis und Atomkraft mit selbstgebauten mobilen Soundsystemen „wegbassen“. Der Protest darf laut sein und ausgelassen, er kommt mit Glitzerkonfetti statt Gewerkschafts-Flaggen und mit ironischen Sprüchen statt Dogmen.

  „Flaggen und Transparente tragen, geordnet durch die Straße laufen – die Rituale, die man sonst bei Demonstrationen beobachten kann, sprechen uns eben nicht so an“, sagt Luther Blissett. Auch inhaltlich gebe es zu viel Eintönigkeit: „Es ist natürlich gut, dass es Antifa-Demos gibt. Aber die Reden dort bestehen nicht selten aus denselben Textbausteinen. Das sind Predigten an die, die ohnehin schon überzeugt sind. Irgendwann hört man da nichts Neues mehr – und hört dann nicht mehr zu.“

  Die Aktionen der HI mögen neu und kreativ sein. Aber verschafft ihnen das automatisch Durchschlagskraft? Dieter Rucht ist Soziologe an der FU Berlin, Protestbewegungen sind sein Spezialgebiet. Er scheint die Hedonisten zu mögen: „Die machen diverse witzige Sachen, die mir sehr gut gefallen“, sagt er. Ob sie wirkungsvoll sind, weiß er nicht so recht. Die große Aufmerksamkeit, die die Spaßguerilla mit ihren Aktionen erzielt, sei ein Zeichen dafür. Dass sich damit wirklich Leute überzeugen lassen, bezweifelt Rucht aber. Seinem Eindruck nach sei das „eher Selbstverwirklichung als eine politische Werbeaktion, mit der man die Machtverhältnisse ändern“ könne.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Immerhin: In Teilen der „herkömmlichen“ Protestbewegungen scheint die HI es zu Anerkennung gebracht zu haben. Vielleicht hat man dort bemerkt, dass ein bisschen Ausgelassenheit und Kreativität einem Demonstrationszug gut tut, dass der Partytrupp Menschen anzieht und Aufmerksamkeit weckt. Die HI bekomme jedenfalls oft Anfragen, ob sie bei Demos mitmachen und einen Lautsprecherwagen beisteuern wolle, sagt Luther. „Aber wir haben auch keinen Bock, zu so etwas wie den Funkenmariechen für die anderen zu werden.“

  Viele Hedonisten haben sich früher in anderen politischen Vereinigungen engagiert. Bei den JuSos, bei den Grünen, bei der Antifa oder bei den Autonomen. Sie fanden zueinander, weil sie dort ähnliche negative Erfahrungen gemacht haben: zuviel Vereinsmeierei, zuwenig Humor, zuwenig Kreativität und Spontaneität. Sie haben das vermisst, was sie nun auszeichnet. Die Idee zur Guttenberg-Demo vor dem Brandenburger Tor hatten zwei Hedonisten beim Bier an einem Donnerstagabend. Am Samstag hatten sie etwa 80 Leute mit Transparenten, Kostümen und Musik zusammengetrommelt.

  Wenn man mit Luther Blisset über die HI redet, weist er immer wieder auf eine Stelle aus dem Manifest hin, das die HI auf ihrer Webseite veröffentlicht hat: „Wir sind keine Organisation. Wir sind nur eine Idee.“ Dieser Spruch ist seine Universalausrede, wenn er über Details und Struktur der HI keine Auskunft geben kann oder will. Wie viele Hedonisten es gibt? Keine Ahnung. Mal kommen 30 Leute, mal 200. Regelmäßige Treffen? Nein, nur die monatliche „Hedo-Bar“. Und selbst da wisse er nicht so genau, wer jetzt eigentlich dazugehöre und wer nicht. Wie man überhaupt Teil der HI wird? Indem man mitmache. Oder indem man auf der Internetseite die Gründung einer neuen Sektion ausrufe. Diese Sektionen tragen Namen wie „Aktionskomitee Nudistische Offensive“ (AKNO), „Aktionskomitee Neuronale Entfaltung“ (A.K.N.E.) oder „Bündnis für urbane Mobilbeschallung“ (BUMS).

  Jeder kann machen, was er will, und nur die Handelnden selbst sind für ihr Tun verantwortlich. Den Hedonisten ist es relativ egal, wer sich unter dem Dach ihrer Leitidee versammelt: „Ich muss die auch gar nicht alle kennen“, sagt Luther mit einem Grinsen, und diesmal ist es kein Augenzwinker-Grinsen, es sieht eher nach Stolz aus, nach einem Gefühl der Überlegenheit. Bei der Hedonistischen Internationalen sind Verplantheit und Unorganisiertheit Prinzip und Alleinstellungsmerkmal. Denn wo keine organisierten Strukturen herrschen, können kaum Hierarchien entstehen. Und die wollen die Hedonisten auf keinen Fall. „Wo die Hierarchie beginnt, hört der Spaß auf. Wo der Spaß aufhört, beginnt die Hierarchie“, heißt es im Manifest. Das ist einer der Gründe, warum keiner der Hedonisten in der Öffentlichkeit mit seinem richtigen Namen auftritt. Luther Blissett, Monty Cantsin oder Karen Eliot – das kann jeder sein, die Namen sind erfunden. Die Hedonisten wechseln ihre Namen wie Klamotten. So kann sich keiner in eine Sprecher-Rolle und damit in den Vordergrund drängen. „Einen Julian Assange wird es bei der HI nicht geben“, sagt Luther.

  Keine Organisation, keine Hierarchien, kein Sprecher, kein Gesicht. Es scheint auch kein bestimmtes Milieu zu geben, aus dem sich die Hedonisten rekrutieren. Da sind Studenten, Auszubildende, Arbeitsuchende und Hartz-IV-Lebenskünstler. Luther Blissett hat Politik studiert, ist Ende 30 und derzeit arbeitsuchend. Aber es gebe auch Schüler in der HI, sagt er. „Und wer uns politisch einschätzen wollte, würde auf die Schnauze fallen. Wir sind ein zu heterogener Haufen.“ Die HI ist schwer greifbar, und es scheint, als wäre es ihr ganz recht, dass sie nicht festzunageln ist. So bleibt sie wirklich eher eine Idee als eine Organisation, kann einfach die Summe ihrer Aktionen sein. Und die werden vom Wichtigsten überhaupt zusammengehalten: vom Spaß.

* Der Name ist ein Kollektiv-Pseudonym, das seinen Ursprung in der italienischen Subkultur hat.

Text: christian-helten - Fotos: ddp, dadp

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