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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zu den etwas schwierigeren Aufgaben eines durchschnittlichen Jungslebens gehört es, irgendwann ein Selbstbewusstsein von mindestens der Größe Salzburgs zu entwickeln. Nur damit bewältigen wir die uns auferlegte Geisel des „Anmachens“ in Clubs und auf Dachterrassen: Euch anreden, eure Spielchen mitspielen, eure Demütigungen ertragen und dauernd damit wieder von vorne anzufangen. Das Problem: So ein Flirt-Selbstbewusstsein zusammenknüpfen ist für uns in etwa so mühsam, wie sich aus den Fusseln nur eines Bauchnabels einen Teppich knüpfen zu wollen. Wenn wir bei der Anmache bisweilen unpassend, unglücklich und unsinnig agieren, hängt das oft damit zusammen, dass wir eigentlich noch gar nicht genau wissen, wie wir sind. Ob man als Junge gut aussieht erfährt man nur zufällig, wenn es einem die Patentante sagt oder man ein Zettelchen öffnet, dessen Flugbahn durchs Klassenzimmer ungünstig verlief. Ob wir eigentlich charmant und witzig sind, ob unser Trumpf die schönen Augenbrauen oder doch der tolle Hintern sind, das müssen wir uns in langen Jahren zusammentragen, so dass wir dann, als reifere Herren, eigentlich zum ersten Mal wissen: Nase eher zu groß, dafür stehen sie auf meine dunkle Stimme etc. Und selbst mit diesem Wissen schleppen wir uns oft dünn behäutet und einsam betrübt Abende lang durch Clubs und Amüsierbetriebe und wünschen, sehnen und bräuchten einfach mal eine nette Anmache, einen lüsterneren Blick, ein ehrliches „Na, Süßer?“ damit die Gemütslage wieder ins Lot kommt und das Selbstbewusstsein ein bisschen herumjumpt. Sowas passiert uns aber selten. Gar nicht selten hingegen beobachten wir, unterwegs mit unseren ebenfalls nur durchschnittlichen Bekanntinnen, dass denen alle naslang nachgepfiffen wird, dass die Autofahrer an der Ampel hypnotisiert die Köpfe nach ihnen drehen, dass jedes Mal, wenn wir am Klo waren, wir eine Traube Jungs von ihnen wegwedeln müssen, dass die Barkeeper lächeln, die Bauarbeiter jubilieren und sogar gelegentlich Rosen unterm Scheibenwischer klemmen. Ist das nicht alles wunderbar für euch? Bekommt ihr nicht seit dem 14. Lebenjahr dauernd gesagt, was an euch toll ist? Fühlt ihr euch nicht herrlich gesonnt in dieser offenkundigen Bewunderung? Müsstet ihr Mädchen deswegen nicht mindestens ein Selbstbewusstsein von der Größe Tirols und Kärntens zusammen haben? Und wenn ihr einmal ein bisschen an euch zweifelt - hilft es dann nicht ungemein sich allein an einen Tresen zu stellen und Anmachen abzuschöpfen? Zusammengefasst: Ist es nicht ein unheimlich beruhigendes Gefühl, dass mehr oder weniger alle mit euch ins Bett wollen? Die Mädchenantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ach, wenn’s doch nur so einfach wäre. Gleich vorweg: das ist es nicht. Vielmehr ist es nämlich genau andersherum. Als wir alle noch kleine Sissi-Prinzessinnen waren, haben uns unsere Verwandten immer gesagt, wie süß wir sind. Wir ließen uns über die blonden oder braunen Lockenköpfchen streicheln, haben mit schokoladenverschmierten Mund gelächelt und so taktisch klug noch einen Keks abgestaubt. Dann kamen wir in die Pubertät und aus war’s. Egal wie wir aussahen, eines war sicher: Auf gar keinen Fall so, wie die gephotoshoppten Models in den Hochglanzmagazinen. Das war ungemein frustrierend. Aber auch wir haben uns aufgerappelt. So wie ihr fanden wir irgendwann eine Balance zwischen „Okay, Hüftspeck ein bisschen zu viel, aber das neue schwarze Oberteil kaschiert das ganz gut.“ Der Weg dahin war lang und grausam und gesäumt von Rückschlägen, unsinnigen Diäten und exorbitanten Kleidungs-Fauxpas. Soweit, so selbstbewusst. Fakt ist aber nun leider, dass Anmachen in neun von zehn Fällen eine unfassbare Beleidigung sind. Da ist man endlich mit sich im Reinen und dann pfeift einem ein bierbäuchiger, stinkiger Bauarbeiter mit Ehe- sowie Schweißring auf der Straße entgegen, während er dabei ausladende Hüftbewegungen an seinem Baugerüst macht. Oder noch besser: Man steht im Club und ein pickeliger Typ mit langen, fettigen Haare beugt sich mit fauligem Mundgeruch über die Bar und raunt „Ey Schnegge, du bist so gefährlich, für dich braucht man nen Waffenschein!“ Toll, sag ich da. So stell ich mir das vor. Sepp und Depp glauben also, ich habe meinen Leben lang darauf gewartet, jetzt und sofort und auf diesem Tresen mit ihnen... – Nein, Danke. Das ist so kränkend, so erniedrigend. Schnell suche ich dann das Weite und zweifele ernsthaft an mir und meinem Aussehen. Wie zum Teufel kommen die Typen darauf, dass wir in der gleichen Liga spielen? Bin ich wirklich so ein unansehnlicher Krautwickel, dass mir nur Randgruppen zu Füßen liegen? Warum belästigen einen immer nur die drei mit Abstand schmierigsten Typen im ganzen Club und nicht der nette, gutaussehende Typ drüben in der Ecke? Warum klebt nicht seine Nummer an meinem Glas, sondern die von dem Heini mit dem schwarzen Dreck unter den Fingernägeln und dem Kotzfleck auf dem T-Shirt? Durch solche Typen ist das ganze Anmachprozedere aus dem Gleichgewicht gekommen. Die haben nichts zu verlieren, wir sind genervt und die guten Jungs kommen gar nicht mehr zum Zug, weil wir hinter jeder Jungsbewegung einen unpassenden Hintergedanken vermuten. Und mal ehrlich, hättet ihr Lust darauf von einer Gesichtsbaracke zum Schäferstündchen aufgefordert zu werden? Anmachen sind heikel und können nur und ausschließlich ernst genommen werden, wenn sie ehrlich gemeint sind, ansonsten sind sie lästig und demütigend. Wir wollen doch gar nicht, dass uns Hinz und Kunz und ganz Kärnten toll findet, sondern nur ein einziger, meinetwegen auch ein staatenloser. Soll ich dir mal sagen, was die einzig nette Anmache war, die ich ihn den letzten Monaten hörte? Ich stand an einer Bar und der Junge neben mir sah mich an und meinte: „Hey, versteh das nicht falsch, das soll jetzt keine Anmache sein, aber du bist sehr hübsch.“ Das war alles, was er gesagt hat, und dann ging er lächelnd von dannen. Darüber hat sich die Sissi in mir sehr gefreut. michele-loetzner

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