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Immer nur süß?

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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Also, ihr Mädchen lauft so schnell wie wir, trinkt so viel wie wir und könnt besser Radiohead-Textzeilen zitieren – ihr habt uns überall eingeholt und alle zwischengeschlechtlichen Unterschiede platt gemacht. Aber einen großen Gegensatz gibt es doch und zwar das kurze Wort „süß“. Ihr habt es als Kleinmädchen gelernt, angesichts von Babypferden, Babymenschen oder Babyobst und seitdem kriegt ihr es nicht mehr aus euch raus. Schlimmer noch, das Spektrum für das ihr diese Wort anwendet, wird immer breiter. Eure WG hat eine total süße Küche, die Stadt Gießen ist wider Erwarten süß und natürlich kommentiert ihr damit verschiedenste Umstände, etwa „Der Kniefall von Willy Brandt war doch wohl total süß!“ oder eben „Wie er sich dann hingestellt hat und gleich wieder umgefallen ist, das war supersüß!“ Damit sind wir schon beim Thema und bei uns: Trotz der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, sind leider wir Jungs immer noch die Hauptabnehmer für euer „süß“. Das gefällt uns nicht, gar nicht so sehr weil wir nicht süß sein wollen. Lieber süß als dumm lautet da die Faustregel. Aber wir verstehen nicht, warum ihr uns nicht ein bisschen ausgefeilter adjektivieren könnt. Wir haben auch nicht nur ein Attribut für euch. Ihr seid schön, schlau, leicht arrogant, nett, kumpelhaft, gut gebaut, angeberisch, niedlich, wahnsinn, total super, voll abgedreht, solariumgebräunt, irgendwie druff, rattenscharf, etc. Wir haben viele Worte. Im Gegenzug sind Jungs für euch ab einem bestimmten Grad der Anschmachtung immer nur süß. Geht’s nicht mal ein bisschen einfallsreicher? fabian-fuchs Die Mädchenantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Verbale Monotonie wollt ihr uns also unterstellen? Wir sind durchaus zur Differenzierung fähig. Wir finden euch gut und damit toll, sexy, lustig und auch mal ein bisschen bescheuert. Und damit das klar ist: Willy Brandt finden wir einen coolen Hund und seinen Kniefall bewegend, aber wenn wir süß sagen, geht es uns um etwas ganz anderes. Um unseren – bisweilen inflationären – Einsatz dieses Ausdrucks zu verstehen, muss man Folgendes wissen: In allen Mädchen, welche hin und wieder damit hantieren, schlummert eine innere Barbie. Sie mag Glitzersachen, Angorapullis und große, runde Augen an kleinen Tieren. Sie ist ein hartnäckiges Überbleibsel aus den Tiefen unserer Kindheit, als wir noch Prinzessinnen und Ballerinas sein wollten. Wir können als Erwachsene noch so abgeklärt und grundsätzlich cool sein – ganz los werden wir sie nie. Manchen von uns gelingt es gar nicht, sich von ihrer inneren Plastikpuppe zu emanzipieren. Sie hören Musik aus pastellfarbenen mp3-Playern und hängen sich lustige Perlenkettchen an ihre Mobiltelefone. Sie können nichts dagegen tun - das Wort „süß“ rutscht ihnen mehrmals am Tag scheinbar willkürlich heraus. Dabei ist es egal ob es gerade um eine Stadt, einen Staatsakt oder die Ringelsocken von der Mitbewohnerin geht. Die anderen von uns denken in dem Moment meistens dasselbe, wehren sich aber mit einer genaueren Artikulation gegen ihre Barbieanwandlungen. Wichtig ist das Gefühl zärtlicher Wärme, das der Anblick bestimmter Dinge, Personen und Verhaltensweisen in uns auslöst. Diese Empfindung gibt es in zwei Ausführungen. Variante Eins kommt auf, wenn Dinge, Orte oder Lebewesen klein und hübsch sind. Wir möchten sie dann streicheln und uns um sie kümmern. Und irgendwie fühlen wir uns ihnen auch überlegen. So geht es uns sogar manchmal mit euch, wenn wir euch zwar nett und lieb aber nicht so richtig begehrenswert finden. Ganz anders ist Variante Zwei. Wenn wir nämlich in euch verliebt sind, dann gewinnt „süß“ an Dimensionen, die euch gar nicht klar sind. Wenn ihr in der Früh anstatt aufzustehen euren Kopf unter der Decke in unseren Bauch grabt, wenn ihr beim Knutschen in der Öffentlichkeit aufgeregt werdet, oder wenn ihr uns einfach so ein Eis mitbringt, finden wir euch ziemlich süß und sagen das gerne. Ausdifferenziert heißt das: Ihr zeigt da etwas Weiches an euch, das finden wir großartig und deswegen wollen wir euch für immer haben und nie mehr loslassen. So schlimm ist das doch gar nicht. Und gebt es zu, Jungs – ihr findet uns doch hin uns wieder auch süß.

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