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Mädchen, warum wollt ihr jetzt alle boxen?

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Grundsätzlich ist mehr Sport gut für alle. That´s said, gehen wir mal in die Details. Es gibt Sportarten, die gelten als männlicher oder weiblicher als andere. Kugelstoßen zum Beispiel. Obwohl Astrid Kumbernuss "uns" damit jahrzehntelang die Olympia-Statistik gerettet hat. Oder Königin Fußball, obwohl "unsere Mädels" da lange erfolgreicher waren als das männliche "wir".

Aber man merkt schon: Manche Bewegungsabläufe kleiden den weiblichen Körper eher als den männlichen. Und andersrum. Warum das so ist, kann man wissenschaftlich teilweise klären. Wie zum Beispiel die ewige Frage, warum Mädchen nicht werfen können. Bevor jetzt jemand sauer wird: Sie können es wirklich schlechter. Es liegt an der mangelnden Hüftrotation. Alle Fragen drum herum haben wir schon mal beantwortet.

Jedenfalls gibt es Grenzfälle. Einer davon ist Boxen. Sich gegenseitig auf die Fresse zu hauen, ist männlich besetzt. Aber Frauen können es ebenso gut. Regina Halmich oder Dr. Christine Theiss würden mich auch nach Karriereende sofort KO schlagen, eh klar. Ob sie dabei immer "ästhetisch" aussahen, was die komische Kategorie "ästhetisch" überhaupt ist oder im Sport zu suchen hat – keine Ahnung. Vermutlich auch zu vernachlässigen.

Was jetzt aber neu ist, sind Frauen, die sich hauen, um ästhetisch zu sein. Statt Yoga oder Crossfit kloppen sich Models wie Gigi Hadid, Kelly Gale oder Adriana Lima mit ihren Personal Trainern. Dazu gehen sie ins "Gotham Gym" in New York. Ja genau, "Gotham" wie bei BatMAN.

Diese Damen sehen dabei sehr, sehr gut aus. Ist ja auch ihr Job. Und viel Sport ist deshalb wiederum Teil ihres Jobs. Aber jetzt boomen Gyms für Frauen auch in Model-ärmeren Gegenden. Mädchen wie du und ich gehen zum "Box-Workout", Fitnesstudios richten Box-Ecken ein. Und zwar für Frauen ebenso wie für Männer. Zum reinen Nachmachen á la "Das Beauty-Geheimnis von Hollywood" ist der Scheiß viel zu krass anstrengend. Und damit haben wir eine Frage:

Mädchen, warum boxt Ihr jetzt auf einmal?

Klar, es macht einen heftigen Hardbody. Es macht einen richtig fertig. Und es hilft enorm im Job, wenn man die Gesichter der Kollegen auf den Boxbeutel projiziert. Aber mal ehrlich: Dieser ganz extreme Eitelkeitsmasochismus, all der Schweiß gewordene Selbsthass, den hatten doch wir gepachtet? Kümmert es euch, dass ihr dabei je nach Geschmack superheiß (auf mich) oder eher ein bisschen männlich (auf viele andere) wirkt? Fühlt ihr euch denn sexy wie die Models, wenn die rechte Gerade kommt?

Oder geht es am Ende nur um einen edlen, anspruchsvollen Sport, einen Sport der Gentlemänner und Gentlegirls, der uns alle Demut und Respekt lehrt?

Die Mädchenantwort:

maedchenfrage

Ich gebe es zu, ich habe in den letzten Wochen zwischen acht und vierundzwanzig Mal das Video mit Gigi Hadid im Gotham Gym angeschaut. Ich habe recherchiert, wo man in meinem Viertel boxen gehen kann. Vorher fand ich Boxen prollig und was für so Typen, die auffällig schnell rot anlaufen, die eher kläffen als sprechen und die heimlich auch gern mal mit ner Knarre durch ihre Hood spazieren würden bzw spazieren. So hab ich mir das gedacht. Man ist ja nie so frei von Vorurteilen wie man denkt. 

 

Naja, und jetzt will ich halt plötzlich selber boxen. Jetzt gibt es diese Stimme in meinem Kopf, die mit allen Aggro-Klischees des Boxens aufräumt. Sie sagt: Es geht ja dabei gar nicht ums hohle Kloppen, sondern um Selbstbeherrschung und die Arbeit an sich selbst! Es geht darum, einstecken zu lernen, fair und demütig zu bleiben in der Konfrontation! Wie interessant ist das denn eigentlich: Boxen als die Versinnbildlichung des sozialen Lebens im Zweikampf. 

 

Man rechne obendrauf, dass es mir nach der ausgeleierten Chakra-Gesang-Pastellmentalität der letzten Jahre ein irgendwie erfrischendes ästhetisches Vergnügen bereitet, Boxsäcke zu sehen und Boxschläge zu hören und Worte wie „Gotham“ zu lesen (das ja nicht nur wie Batman sondern auch wie Gothic klingt), also insgesamt wieder mit ein bisschen mehr Wumms und Darkness und Reduktion und In-your-face konfrontiert zu sein, und man verstehe, warum mir das Boxen gerade so gut gefällt.

 

Ich weiß schon, ich bin da eventuell gerade total verblendet. Es gibt auch eine Stimme in mir, die ruft: Äh, hallo du Trendopfer, schon mal was von kritischem Denken gehört? Gefährlicher Körperkult und so? Deinen verkorksten Models da geht es doch gar nicht ums Boxen an sich! Sondern darum, eine Sportart auszuüben, bei der man innerhalb kürzester Zeit möglichst unauffällig so viele Kalorien wie möglich verbrennt, Hilfe, Aufschrei, nichts ist wie es scheint, jetzt werden vielleicht alle noch magersüchtiger etc pp! Denk mal drüber nach!

Aber ich glaub, ich bleib dabei, dass ich boxende Models und boxende Frauen wie dich und mich vorbehaltlos gut finde. Schon allein deshalb, weil man ihnen doch im ersten Moment wirklich immernoch eher Yoga als Trainingsmethode zuordnen würde oder Joggen und Stretching am Strand meinetwegen, Fitnesscenterkram, keine Ahnung was alles, aber Boxen? Bei dem Wort Boxen denke ich an beißenden Männerschweiß und Schweißperlen auf von Adern überzogenen Glatzköpfen. An Regina Halmich. An Nuß-Nougatcreme vielleicht. Nur ganz bestimmt nicht an Models. 

 

Das gefällt mir nicht, dass das so ist. Ich finde es altmodisch und dumm. Ich will, dass es sich ändert. Ich will, dass du nicht mehr fragst, warum Frauen boxen und ob sie sich sorgen, dass Männer sie dann zu männlich finden. Oder zu sexy. Man sollte sich um beides nicht sorgen müssen.

 

Man kann den Models also meiner Meinung nur gratulieren, dass sie durch ihren Eintritt in den Boxring eine gewaltige Ladung oll gewordener Klischees an die Wand fahren. Und das ja wohl wirklich mit Karacho. Denn ernsthaft: Dass ausgerechnet weibliche Models, heißt die von den wahrscheinlich nervigsten Püppchenfrauen-Klischees betroffenenste Frauengruppe überhaupt, sich direkt ans andere Ende der Klischeeskala in den von Testosteronklischees triefenden Boxring begibt – das ist doch so ein Mittelfinger, das wirkt doch fast schon wie so ein Viral-Ding einer Art Werbeagentur für Geschlechtergerechtigkeit. Ich finde, man kann das unterstützen. 

 

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