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Mädchen, Stichwort Nora Tschirner!

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Nora Tschirner spielt Hackbrett. Nora Tschirner spielt E-Gitarre in ihrer Band. Nora Tschirner hat einen eigenen Film als Regisseurin bei den Hofer Filmtagen präsentiert. Nora Tschirner wird Tatort-Kommissarin. Es ist schwer in diesen Tagen, Sätze zu bilden die nicht mit Nora Tschirner anfangen. Aber sagen wir so – es gibt schlimmere Satzanfänge. Denn schließlich ist diese junge Frau doch eine der angenehmeren jungen Frauen, die Bildschirm und Leinwand hierzulande so zu bieten haben. Weder ist sie in die Kuttner-Quasselfalle getappt, noch floppt sie sich durch eigene Talkshows oder suppt ein paar Bücher zusammen. Ergo: Sie nervt nicht richtig, abgesehen natürlich von der Til-Schweiger-Sache, aber irgendwie scheint sie auch da recht unbeschädigt durchgekommen zu sein. Sie wirkt nett, normal, sieht gut aus und wir können uns vorstellen, dass uns ihr Bücherschrank und die Bilder an ihrer Wand ausgezeichnet gefallen könnten. Eigentlich ist sie die Blaupause des Berliner Mädchens, das jeder schon in seinem Bekanntenkreis hat: alterslos, bibliophil-sexy, fröhlich und mit Laktose-Allergie. Da für uns diese Frau Tschirner nun also trotz Showbiz so lebensecht verwuschelt geblieben ist, fragen wir uns, wie es euch da geht? Schließlich wäre sie doch ein ganz gutes Role Model, ein Vorbild, das problemlos auch beste Freundin sein könnte, nicht wahr? Oder passt euch an ihr doch wieder irgendwas nicht?




Die Mädchenantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ja, ich wollte immer so sein wie Nora Tschirner und kenne sehr viele Mädchen, die das auch wollten. Ja, sie war einfach das perfekte Role Model. Als ich 16 war. Ich habe mit Nora Tschirner pubertiert, denn sie war diese entscheidenden fünf Jahre älter und genau so, wie ich mir mein 20-jähriges Ich erträumte: supersüß, superfrech und supererfolgreich. Wenn ich Nora Tschirner bei MTV, in der ARD-Vorabendserie „Sternenfänger“ oder in „Soloalbum“ sah, dann wollte ich alles, was sie hat. Diese Nase, dieses Haar, dieses Leben. Ich wollte genauso schön sein und trotzdem genauso gut als einziges Mädchen in eine Jungs-Skater-Clique passen, in der alle ein bisschen in dieses Mädchen verliebt sind, aber die großartige Freundschaft nie mit einem Kuss aufs Spiel setzen würden. Und jetzt kommt das „Aber“. Denn Nora Tschirner ist immer noch supersüß, superfrech und supererfolgreich, aber sie ist nicht mitgewachsen. Wenn ich an sie denke, dann denke ich immer noch an die „Sternenfänger“- und die MTV-Nora, selbst, wenn sie jetzt Tatort-Kommissarin wird. Bestes Beispiel, um meine These zu belegen: Neulich habe ich eine Folge „neoParadise“ mit Nora Tschirner gesehen. Und im ersten Moment dachte ich, es sei Lena Meyer-Landrut.  

Nora Tschirner ist für die meisten Mädchen, die heute etwa Mitte 20 sind, irgendwann im Leben mal wichtig gewesen. Einfach, weil sie in der Zeit, als wir noch zur Schule gingen, sehr präsent war. Es gab Matthias Schweighöfer und Tom Schilling und es gab Nora Tschirner und Jessica Schwarz und wir hatten Vorbilder und Stars, die nicht auf der anderen Seite des Atlantiks über rote Teppiche marschierten, sondern hier, quasi vor unserer Haustür. Aber es ist wirklich schwer, diese Menschen auch zehn Jahre später noch als Vorbilder anzuerkennen, weil man seine Gedanken und Gefühle von damals heute belächelt. Wenn die, denen diese Gedanken und Gefühle galten, in den vergangenen zehn Jahren nicht spürbar erwachsener geworden sind, können wir sie heute nicht mehr richtig ernst nehmen.  

Und darum ist es glaube ich so: Als Mädchen muss man irgendwann aus dem Nora-Tschirner-Alter rauswachsen. Eben gerade, weil sie ist, was du beschreibst: das fröhliche Berliner Mädchen. Damit muss doch auch mal Schluss sein. Jahrelang haben wir darauf gehofft und gebaut nett, süß, cool, ein bisschen verplant und ein bisschen rotzig zu sein. Nora ist das immer noch. Sie ist süßlich gemischt mit diesem niedlichen Schalk, während wir gerade merken, dass süß sein irgendwann vorbei ist. Wir sind keine Stars, die die gleiche Schiene immer weiterfahren können, weil ja wieder andere junge Menschen nachkommen, die einen toll finden. Also versuchen wir, wirklich erwachsen und ernsthafte junge Frauen zu werden und suchen gerade nach Role Models, die wieder diese entscheidenden fünf Jahre älter sind. Und nicht bloß faktische fünf Jahre, aber immer noch mit dem gleichen Gesicht und dem gleichen Verhalten wie früher. Ein gutes neues Role Model, zumindest in Sachen Aussehen, könnte zum Beispiel Charlotte Roche sein. Die hat früher, als wir pubertierten, „Fast Forward“ moderiert und war exzentrisch und faszinierend. Heute sitzt sie piercinglos, interessant-schön und mit so ein bisschen Falten um die Augen da und man denkt: Yeah, auf die gute Art erwachsen geworden, ich will auch! Was den Rest angeht, sind wir noch auf Role-Model-Suche und nehmen gerne Tipps entgegen.  

Nora Tschirner ist seit zehn Jahren in meinem Leben. Das ist so, als würde man zehn Jahre lang sehr viel sehr leckere Vollmilchschokolade essen. Irgendwann schmeckt sie nicht mehr. Man will dann etwas anderes. Was nicht heißt, dass Vollmilchschokolade nicht immer noch okay wäre. Sie ist aber eben nicht mehr erste Wahl. (Und übrigens: Aus Till-Schweiger-Sachen kommt leider keiner unbeschädigt raus. Nicht mal Nora Tschirner.)       

nadja-schlueter

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