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Mädchen, warum haltet ihr euch einen schwulen Freund?

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Meine Ex-Mitbewohnerin Julia wollte sich drei Tage, nachdem ihr alter Dackel gestorben war, unbedingt einen Jack-Russel-Terrier kaufen. Die seien so süß, sagte sie. Ich weiß nicht, ob ein kleiner hyperaktiver Springhund süßer ist als ein Dackel. Aber Jack-Russel-Terrier scheinen gerade, in zu sein. Ich finde es nicht so gut, wenn Lebewesen zu Accessoires werden. Damit macht man sie irgendwie zu Objekten und ein Mensch ist kein Jack-Russel-Terrier ist kein American-Apparel-Schal. Wahrscheinlich ist das bei eurem schwulen Freund etwas ganz anderes, etwas, das mit Mode und Trends gar nichts zu hat, sondern mit aufrichtiger Sympathie und Seelenverwandtschaft. Bloß gibt es mittlerweile fast kein Mädchen mehr zwischen 15 und 25, das keinen schwulen Freund hat. Das wirft Fragen auf: Braucht ihr einen Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung, um uns eure liberale Einstellung und Toleranz zu zeigen? Oder ist der schwule Freund für euch jemand, über den ihr euch insgeheim dem männlichen Geschlecht annähert? Ein Mann, den ihr ausgiebig kennen lernen könnt, ohne dabei Gefahr zu laufen, irgendwann mit ihm im Bett zu landen? Ein zartes, metrosexuelles und gut riechendes Wesen als Zwischenstopp auf dem Weg zum behaarten, wortkargen, nach Schweiß riechenden Gorilla? Und jetzt sind es nicht wir, die in die Klischeekiste greifen, sondern ihr: Eure schwulen Freunde bilden keinen Querschnitt aller homosexuellen Männern – sie entsprechen alle dem Klischee vom gepflegten, gut angezogenen, witzigen und geistreichen Mann mit femininen Touch. Euer schwuler Freund macht uns nämlich ein wenig hilflos. Wenn der Mann nicht homosexuell wäre, dann hätten wir einen Konkurrenten, den wir "Warmduscher" oder so nennen könnten. Da er aber kein Konkurrent ist, führt uns dieser schwule Begleiter immer wieder unsere eigenen Schwächen vor Augen: Er macht Witze, über die ihr lacht, während uns wieder einmal nichts einfällt. Ihm steht immer die neueste Mode, während wir damit wie Witzfiguren aussehen. Er tanzt auch nach einem Bier, während wir mindestens fünf davon brauchen. Er absorbiert eure Aufmerksamkeit, obwohl er damit viel weniger anfangen kann als wir. Ich kenne sogar Mädchen, bei denen sich der schwule Freund einfach so ins Bett legt. Und wie wäre es wohl, wenn in unseren Betten gut aussehende, charmante und witzige – aber lesbische – Mädchen rum lägen? Das wird aber eh nicht passieren. Leider.


Vielleicht bin ich ja ein wenig altmodisch. Aber, das hast du richtig erkannt, meine Freundschaften suche ich mir nicht nach dem Jack-Russell-Terrier-Prinzip aus, sondern im besten Fall entstehen sie, weil ein anderer Mensch und ich uns etwas zu sagen haben. Manchmal ist dieser Freund dann männlich und schwul. Ich halte die Erscheinung „schwuler Freund“ auch nicht für einen Trend, meine Mutter hatte auch schon schwule beste Freunde. Vielleicht haben wir immer mehr schwule Freunde, weil die Jungs zu ihrem Schwul-Sein stehen? Ich laufe jedenfalls nicht durch die Gegend und stelle meinen schwulen Freund als „meinen schwulen besten Freund“ vor wie meine neueste Errungenschaft aus irgendeinem Shop oder Urlaub. Natürlich hat es gewisse Vorteile gegenüber zwischengeschlechtlichen Hetero-Freundschaften, mit einem schwulen Jungen befreundet zu sein: Die doch häufig irgendwann im Raum schwebende Frage nach Zuneigung und mehr-als-Freundschaft-füreinander-empfinden strengt mich in Freundschaften mit Hetero-Jungs an. Das fällt weg, weil ich weniger Angst haben muss, dass mein schwuler Freund irgendwann die Reize der Weiblichkeit an mir entdeckt und ausprobieren will. So lässt es sich zum Beispiel leichter über Sex reden, aber auch über viele andere Dinge –Liebes- und Alltagsdinge, worüber man eben auch in Mädchen- oder Mädchen-Jungs-Freundschaften redet. Es ist vielleicht einen Tick entspannter als mit Hetero-Jungs. Aber ehrlich gesagt vergleichen wir auch gar nicht so sehr nicht zwischen euch und unseren schwulen Freunden. Mein schwuler Freund ist nicht so super hip und schick angezogen. Wir lackieren uns auch nicht gegenseitig die Fußnägel, während er nonstop Witze erzählt, sondern machen ganz normale Dinge, die man in Freundschaften so macht und die wir auch mit Euch machen. Wenn das gemeinsam ausgehen oder Bier trinken oder kochen manchmal so entspannt wirkt, dann wohl gerade deswegen, weil er mich nicht als Junge beeindrucken will – und ich ihn nicht als Mädchen. Dann können wir eben schon nach einem Bier gemeinsam auf die Tanzfläche hopsen und uns verrenken. Und er kennt mein Bett bisher auch nur als Sitzgelegenheit. Meine Freundschaft mit schwulen Jungs hat also gar nichts damit zu tun, dass ich meine Toleranz gegenüber Minderheiten ausdrücken will. Klar ist es auch spannend, etwas zu erfahren über das Coming-out des Freundes oder wie seine Familie mit seiner Homosexualität umgeht. Aber persönliche Erlebnisse interessieren mich ja bei anderen Freunden auch. Und was die lesbische Freundin in eurem Bett angeht: Warum denn eigentlich nicht? nina-heinrich

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