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Mädchen, warum telefoniert ihr soviel?

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Die Jungsfrage In meiner Schulklasse lieferten sich die Mädchen morgens regelrechte Telefon-Battles. Es ging darum, wer am Vortag, am Vorabend oder in der vorhergehenden Nacht am längsten telefoniert hatte. Während ich schon 30-minütige Telefonate in die Kategorie Vielzulangvielzulang stufte, war für die Mädchen nach dieser Zeit gerade mal das Intro beendet. Bis zu sechs Stunden dauerten angeblich die Verhöre, die sie untereinander führten – sie vertelefonierten also beinah ganze Arbeitstage. Dass sie dabei manchmal nur drei Häuser voneinander entfernt wohnten oder in Mathe sowieso nebeneinander saßen – geschenkt. An dieser Einheit von Weiblichkeit und Telefon hat sich aus meiner Sicht nichts geändert. Ich habe insgesamt drei Wohngemeinschaften mit allerlei Mädchen erlebt. In jeder dieser Wohngemeinschaften habe ich mehrere Male an Mädchentüren geklopft und um das Telefon gefleht, das manmchmal an einer sechsmetrigen Schnur ins Zimmer gezogen werden musste, das manchmal aber auch ein Siemens Gigaset war, also Funk und so. So wartete ich geduldig wie ein kleiner Bub, der dringend auf Toilette muss, auf’s einzige Telefon im Haus. Mein Anliegen war dabei nie groß: Ich wollte nur meiner Mutter nach sechs Wochen Funkstille sagen, dass es mir im Studium gut gehe, dass ich Fleisch UND Gemüse zu mir nähme, dass ich den Vorlesungen vollinhaltlich folgen könne. Aber: ging nicht. Telefon besetzt. Jungs oder Männer sehe ich nie viel telefonieren. Jedenfalls nicht zum Spaß. Männer regeln am Telefon die Dinge, Frauen erörtern am Telefon Dinge. Privat legen Männer zudem gerne schnell auf oder geben den Hörer gerne weiter. Zumindest ist es bei mir so. Ich nehme auch viele Telefonate gar nicht an. Manchmal ist mein Mund klebrig, manchmal bin ich mit den Gedanken woanders, manchmal fällt mir nichts zum Reden ein. Ich umgehe Telefone, wo ich kann und schreibe Mails. So muss ich die Menschen nicht in ihren täglichen Verrichtungen stören und sie können sich selber aussuchen, wann sie sich mit mir befassen. Bei euch kommt mir das schon sehr anders vor. Ich halte das Telefon sogar für ein sehr weibliches Gerät. Würde man sich an eine Studie wagen, in der man untersucht, welchen Geschlechts die Menschen sind, die zwischen 19 Uhr und 24 Uhr in Deutschland am Festnetz telefonieren – zu 70 Prozent, behaupte ich, würde man auf Frauen treffen. Mädchen, warum telefoniert ihr so gern und soviel? Die Antwort liest du auf der nächsten Seite.


Die Mädchenantwort von eva-schulz Also ich glaube ja nicht, dass man das mit der Vieltelefoniererei so schwarz-weiß sehen darf. Es stimmt schon, wir telefonieren gern und lange und manchmal auch ganz anders als ihr Jungs. Das liegt daran, dass für manche von euch ein Telefonat die gleiche Funktion hat wie eine SMS: Ihr ruft euch nur an, um Zeit und Ort durchzugeben, und sprecht euch dann wieder in der Kneipe oder beim Bowling oder was weiß ich, wo ihr euch noch so verabredet. Wenn ich meine Freundin anrufe, dann habe ich sie schon getroffen – aber auf dem Heimweg fällt mir noch irgendetwas ein, dass ich ganz vergessen habe zu erzählen, und das muss ich unbedingt sofort nachholen. Oder ich will sie fragen, ob ich morgen den grünen Pulli oder die karierte Bluse anziehen soll. Oder eine Szene in „Grey’s Anatomy“ regt mich so auf, dass ich das gleich an irgendwem auslassen muss, und da rufe ich doch sie an, schließlich guckt sie das auch gerade. Wir schmachten dann gemeinsam eine Stunde lang Dr. Sheperd an – und danach kann man doch nicht einfach auflegen. Deshalb hast du wohl auch recht, was diese imaginäre Studie betrifft. Ich verstehe allerdings nicht, was ihr am Telefonieren so schrecklich und furchteinflößend findet. Zugegeben, auch ich rede nicht gern mit der Frau von der Versicherung und die Typen, die mir am Telefon irgendein Abo verkaufen wollen, wimmle ich gleich ab. Aber mit einer Freundin rede ich am Telefon eigentlich genauso, als ob wir nebeneinander auf dem Sofa säßen. Nur mit dem Vorteil, dass wir nebenher noch alles andere machen können, was so anfällt. Es gibt diesen Film, „Elizabethtown“, in dem telefonieren Kirsten Dunst und Orlando Bloom eine ganze Nacht durch. Dabei badet sie und lackiert sich die Fußnägel und packt einen Koffer, und er wäscht seine Socken, macht einen Hotelrundgang und klaut zwei Flaschen Bier. Orlando Bloom, der kann telefonieren! Er versteht sogar, dass man auch einfach mal eine Weile schweigen kann, ohne, dass es peinlich wäre. Ich bin aber ganz zuversichtlich, dass es noch mehr gute männliche Telefonierer gibt. Ein Freund von mir hat seit neuestem eine Handyflatrate. Jetzt ruft er mich immer an, wenn er im Zug sitzt oder im Wartezimmer beim Arzt, und wir können uns tatsächlich lange unterhalten. Es ist zwar ganz anders als mit einem Mädchen – ich würde ihn nie nach dem grünen Pulli fragen –, aber es macht genauso viel Spaß. Und manchmal dauert es sogar noch länger.

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