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Mädchen, warum zockt ihr nicht um Geld?

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Salzburg, Kasino. Nicht eben Viele tragen Anzug – geschweige denn Smoking. Um es frei mit Gerhard Polt zu sagen: Heutzutage spielen Menschen Roulette, die hätte man früher aus dem Bierzelt geworfen. Und neureiche Österreicher sind ja oft noch etwas ordinärer als die Neureichen anderswo. Man raucht dort außerdem noch drinnen. Wir reden also, soll das heißen, weder über eine besonders elitäre, noch eine ästhetisch weithin sympathische Welt. Fraglich etwa, ob jemand (negativ) auffiele, der - nur zum Beispiel - in eine der Blumenvase urinierte.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ein Ort in jedem Fall, an dem man schon mal aus sich raus könnte. Freund D. tut das: Becker-Faust für das Ass, das beim Black Jack auf seinen Buben folgt. Verdoppeln beim aussichtsreichen Blatt zwei Runden später. Als er bei 23 landet, glibbert er über den Hocker wie eine Luftmatratze, der die Luft ausgeht – nur, um dem Croupier in der folgenden Runde wieder mit geradem Rücken und noch geraderem Blick zu begegnen. Zocker, der Mann. Abgewichst!  

Dass er trotzdem mit Gewinn rausgeht aus der Nummer, verdankt er Freundin S., die gewissenhaft den Gewinn abschöpft. Bis der Eintritt wieder drinnen ist erst. Später auch für den Brunch am nächsten Tag. S. hat selbst etwas gespielt. Aber sie war ein Fremdkörper zwischen den breiten, schwitzenden Rücken am Roulette-Tisch: Zaghaft beim Setzen. Grüblerisch in ihren Bewegungen. Die Reue ums potenziell Verlorene noch bei der kleinsten Geste immer mitgedacht. Seltsam unpassend für die Umgebung, was nun kein Appell für heilloses Zocken sein soll. Aber in diesem Setting aus gestelzter Piefigkeit und Dunst-Melange – da haut man doch mal einen raus!  

Und dann fiel mir auf, dass das wohl symptomatisch ist: Ihr zockt allgemein nicht – jedenfalls nicht um Geld. Auch ohne schwäbische Vorfahren. Ich erinnere mich an Schafkopfrunden in Freistunden und auf Skihütten: zehn Cent (eigentlich Pfennig ...) pro Spiel, 30 für ein Solo. Nichts, was das Taschengeld selbst an einem sehr schlechten Nachmittag verzehrt hätte. Aber ihr wart nie dabei. Pokern auf Klassenfahrt: Flucht, sobald es um Kleinstbeträge oder auch nur Zigaretten ging. Dabei verliert ja gerade das Pokern jeden Sinn, wenn man nicht durch einen Bluff mit einem schlechten Blatt ein paar Tacken abgreifen oder eben verzocken kann. Kraulen im Kinderbecken ist das.  

Und ich check euer Problem nicht. Schlimmer noch: Je mehr ich drüber nachdenke, desto bescheuerter werden meine Theorien. Gedanken-Endstation: Das Erhalten, das Dinge Zusammenraffen, liegt euch nestbaumäßig in den Genen. Ab da fand ich mich selbst so daneben, dass ich nicht mehr grübeln wollte. Also müsst ihr mir jetzt mal helfen:  

Warum zockt ihr nicht gerne um Geld? Hat es wirklich etwas mit Sparsamkeit zu tun? Mit dem Haushalten für sinnvolle Investitionen? Oder gibt euch der Adrenalin-Kick nichts? Macht er euch vielleicht sogar Angst? Fürchtet ihr gar die Sucht? Oder sind euch Zockerrunden einfach nur zu präpotent in ihrer Roter-Kopf-Schweiß-auf-der-Stirn-Brusttrommel-Ästhetik? Glück im Spiel, Pech in der Liebe - ist's das irgendwie? Lasst euch da doch bitte mal in die Karten schauen!

Auf der nächsten Seite findest du die Mädchenantwort von mercedes-lauenstein.



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Hallo Jungs,

IN EINE BLUMENVASE URINIEREN?

Achso, es geht ja um etwas ganz Anderes. Glücksspiele. Geldeinsatz. Ich habe das innige Bedürfnis, dir jetzt sofort einen Fünfhunderter auf den Tisch zu knallen und zu sagen: Wir und nicht risikofreudig? Dein Arsch ist nicht risikofreudig! Aber gut, was soll's, hilft ja nichts, früher oder später muss ich lernen, zu meinem Spielverderbertum zu stehen. Ja, ich bin ein hundselendiger kleiner Geizhals, was das Zocken angeht. Ich bin zwar immer die erste, die kräht: 150 Euro, ich wette! Die dann aber in der nächsten Sekunde genauso hysterisch revidiert: Okay, Stopp, machen wir doch lieber einen Euro, okay?

Es sei denn, ich bin zu 100 Prozent sicher, dass ich als Gewinner aus der Wette hervorgehe. Dann sacke ich die sichere Kohle natürlich gern ein. Ich liebe Geld. Und ich liebe es auch, Geld auszugeben. Ich feuere mein Geld gern für alles mögliche heraus, Essen, Reisen, Klamotten, Kosmetik, Bücher, Magazine, Möbel – aber wirklich etwas riskieren im Sinne von Alles-oder-nichts, das tue ich bei Geld nie. Nur warum?

Mit Geiz und Sparsamkeit hat es eigentlich gar nichts zu tun. Ich weiß, ich weiß, das klingt jetzt etwas seltsam. Aber denk mal drüber nach: Ich gebe mein Geld ja, wie gesagt, gern aus. Dass ich es nicht durch leichtsinnige Zockerei verschleudere, ist daher kein Zeichen von Geiz, sondern eher von Liebe zum Geld. Ich meine es gut mit meinen Kröten, wie Onkel Dagobert, deshalb spiele ich keine Spielchen mit ihnen.

Na gut, ich sehe ein, das ist immer noch mein Versuch, irgendwie cool und gut und lässig dazustehen. Die Wahrheit ist: ich kenne den Grund für unseren Kohle-Verpoker-Unlust nicht genau. Ich komm nicht dran. Zu tief drin in der Seele. Aber eins kann ich dir bestätigen: Es geht uns bestimmt nicht darum, euch zu beschützen. Wir sind keine barmherzigen Nestbau-Samariter, die dem armen, glücksspielabhängigen Mann die verspielte Altervorsorge sichern möchten.

Wenn wir unser Geld nicht ausgeben wollen, ist das unserem Egoismus und unserem ziemlich kühlen Kopf geschuldet: Wir haben 50 Euro, und bevor wir die gleich nicht mehr haben, dafür aber nichts in Gegenleistung kriegen, behalten wir sie lieber. So einfach ist die Rechnung. Eine Mischung aus Sparsamkeit und einem Autismus gegenüber eurer erregten Risikofreudigkeit. Wir freuen uns über das, was wir haben. Warum sollten wir es aufs Spiel setzen? Ekelhaft, spießig und langweilig, oder? Find ich irgendwie auch. Aber irgendwie ist es mir auch egal. Ihr werft eure Münzen in den Automaten, zockt am Black-Jack-Tisch, ich geh raus und kauf mir was Geiles.

Und selbst wenn ihr dann vom Casino nach Hause kommt und sagt: "Hey Mädchen, ich hab 500 Euro gewonnen!", zerknüllt der kleine Dagobert in uns natürlich erstmal kurz und heftig seinen Zylinder, stößt ein verärgertes "Gack!" aus, setzt sich den (sich perfekt entknüllenden) Zylinder dann aber sofort wieder auf und entgegnet euch mit desinteressiertem Gesicht:

„Freut mich natürlich für dich, aber dir ist schon klar, dass du diese Summe im Laufe deines Lebens schon mindestens zehn Mal durch Zockerverluste in den Sand gesetzt hast?"

Und ihr dann so: „Darum geht's doch gar nicht, Mann! 500 Öcken rausgeholt, mega!"

Und wir so: „What?"

Wahrscheinlich kann man das alles nicht so gut beschreiben und erklären, weil es der Teufel ist, der euch beim Zocken reitet. Und des Teufels Treiben, das kann man, wie jeder weiß, einfach nicht erklären. Wir wissen nur: Bei uns schafft's der Zocker-Teufel nicht mal in den Vorgarten.

Jetzt muss ich plötzlich an einen sehr guten Song denken. Wenn ich mir den so anhöre, dann verstehe ich plötzlich alles.

http://www.youtube.com/watch?v=HLQ6Rx8qpDw

Vielleicht kommen wir doch bald mal wieder mit ins Kasino. Und treiben's total wild mit den vorher sorgsam beiseite gelegten 100 Euro.


Text: jakob-biazza - Illustration: katharina-bitzl; Cover: dpa

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