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Mädchen, was ist besser: Erotik lesen oder gucken?

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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Folgende Situation: Junge und Mädchen schauen zusammen fern, sie sind müde, es war ein langweiliger Tag. (Ich weiß, das ist eine selten thematisierte Tabusituation.) Und weil sie sich nicht vorab über das Programm informiert haben, ihr oller Fernseher keinen richtigen Videotext hat und weil das Programm mal wieder absolut schrecklich ist, zappen sie so rum. Wie immer beim Rumzappen, bleiben sie mitten in einem hyperrealistisch gedrehten, französischen Beziehungsdrama auf arte hängen und gucken ein paar Minuten hin. Und wie immer in französischen Beziehungsdramen kommt die sehr hübsche Hauptdarstellerin gerade, schwer beladen vom Einkaufen, in ihre Wohnung und fängt an, sich zwecks Duschen auszuziehen, während es draußen regnet. Schon fast nackt spaziert sie durch die riesigen Zimmer, nestelt gerade noch an ihrem sehr französischen BH, als es – Zapp! Das Mädchen hat gähnend weitergezappt. Da kann man als Junge schon mal kurz die Fassung verlieren, nie-nie-nie würde ein Junge gerade in dieser Sekunde umschalten, egal wie befriedigt, müde oder gelangweilt er ist und egal, ob die Hauptdarstellerin nun sein Typ ist oder nicht. Es muss gesehen werden. Mädchen aber schalten mit der gleichen Nonchalance in Sexszenen, Ausziehszenen, Duschszenen um, als wären es die Wiederholungen einer SWR-Talkshow. Wir schlussfolgern: Das anzügliche Bild ist für euch nicht von anzüglicher Bedeutung, ihr zieht zumindest keinen leichtfertigen Reiz aus zufälliger visueller Erotik. Wir hingegen, das haben wir ja schon mehrmals geschildert, werden von Nacktem zumindest kurzzeitig komplett gebannt. Andere Szene. Ein Junge und ein Mädchen liegen zusammen im Bett und lesen, sie sind müde, es war ein langweiliger Tag. Er liest „Coma“, das neue Buch von John Niven, in dem es mal wieder durchgehend hübsch zu Sache geht. Weil er heute ein bisschen, nun ja, untenrum anfällig ist, sprinten seine Augen über die Seiten und suchen nur nach der nächsten saftigen Sexszene, die bei John Niven niemals weit ist. Die Seiten flappen nur so, aber keine Sexszene ist dem Jungen ausführlich genug, man könnte doch, findet er, alles noch detaillierter beschreiben, man könnte doch Bilder dazustellen, man müsste doch sehen, wie... Sie liest unterdessen, denn sie ist heute abend auch ein bisschen anfällig, sehr langsam und genüsslich immer die gleiche Stelle in ihrem englischen Waisenhausdrama. Und zwar die, wo sich Stallbursche und Gutsherrentocher während eines Gewitters in der Scheune behutsam annähern. Diese Stelle würde den Jungen in seiner FastForward-Leseweise nicht mal zum Stoppen verleiten, so dezent ist sie. Dem Mädchen hingegen glühen die Wangen. Wir schlussfolgern: Ihr mögt lieber Erotik lesen als sehen, ihr geht am nächten Wochenende in Berlin eher zur Erophil, während wir das 4. Pornfilmfestival ansteuern. Ihr findet eher unsere Pornos lahm und wir eure harmlosen Stallburschen. Stimmt doch, oder? Auf der nächsten Seite kannst du die Mädchenantwort lesen.


Die Mädchenantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich schätze mal, vor der Beantwortung dieser Frage ist der nun folgende Disclaimer ganz besonders wichtig: „Ich kann da nicht für ALLE Frauen und Mädchen dieser Welt sprechen.“ Aber! Deine Beobachtung ist annähernd deckungsgleich mit meiner Lebenswirklichkeit. Würde ich – wie bei dem Gedankenexperiment in dem Roman „Vox“ von Nicholson Baker – auf einem Tisch einen Porno und einen historisch-erotischen Roman liegen sehen, ich würde immer-immer-immer das Buch nehmen. Ich bin gute 23 Jahre durchs Leben gekommen, ohne einen einzigen Hardcore-Porno zu sehen. Und das lag jetzt nicht daran, dass ich keine Ahnung hatte, wo man die herkriegt, das war schon eher eine bewusste Entscheidung. Ich mag verklemmt sein, aber ich hatte einfach immer große Angst vor dem, was sich da vor meinen Augen auf dem Bildschirm ausbreiten würde: Nackte Hautfalten, Feuchtgebiete, schwellendes, saftendes, rötlich-angestrengtes Fleisch von Menschen, deren Namen ich noch nicht einmal kannte und die ich womöglich auch kein bisschen attraktiv finden würde. Ich finde ja nicht (das nächste Klemmi-Geständnis), dass restlos alles, was mit Sex einhergeht, immer so schön anzusehen ist, dass ich es in Großaufnahme, bestens ausgeleuchtet, auf einem Plasma-Bildschirm sehen müsste - Ejakulationen, Penetrationen und auch speichelnde Frauenmünder, die Männer beglücken. Dazu kommt dann auch noch die leicht irrationale Angst, dass – sollte ich die Porno-Pandorabüchse mal öffnen – sich dann auch sofort alle anderen Sexschleusen öffnen und ich plötzlich ein unstillbares Verlangen danach hegen könnte, mich in Latexnachthemden zu hüllen und von dicklichen Familienvätern am Andreaskreuz auspeitschen zu lassen. Und dann, das weiß ja nun jeder Mensch, würde es auch nicht mehr lange dauern, bis ich mich bei diesen Sexspielen von einer RTL2-Kamera begleiten lassen würde – Stichwort „freizügig“, Stichwort „sich wohl in seiner Latexhaut fühlen“. Auf all das Obengenannte verzichtet nun der erotische Roman. Es gibt keine echten Menschen, es gibt nur Figuren. Und die werden von einem hoffentlich einigermaßen begabten Autor durch sämtliche Irrungen und Wirrungen geschlechtlicher Natur gejagt, um sich dann am Ende in den Armen zu liegen. Und mir braver Leserin bleibt dabei genug Raum für meine Fantasie, mir den Protagonisten so Mr. Darcy-artig vorzustellen, wie er meinen schwindenden Widerstand überwältigt, seine starken Arme um mich schlingt, seinen schwellenden Körper an meinen zitternden Leib drückt und es mir dann im dampfenden Stall… so richtig ordentlich besorgt. Ist doch perfekt, oder?! Das einzige Manko der erotischen Literatur ist, dass sie sehr gut geschrieben sein muss, damit es beim Lesen flutscht – und das nur sehr selten der Fall ist. Es darf durchaus auch explizit zur Sache gehen. Aber sobald man dem Buch anmerkt, dass der Autor keine Phantasie hat, sich nicht traut, zur Sache zu kommen oder die Geschichte so sehr konstruiert hat, dass es im Gebälk knirscht, dann war’s das auch schon wieder mit den warmen Gefühlen. P.S: Ich habe übrigens vor kurzem meinen Porno-Bann gebrochen und mir so ein „Teil“ mal reingezogen. Es war gleichzeitig so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Und gleichzeitig auch gar nicht so wild. Und die unstillbare Sehnsucht nach dem Latexnachthemd ist glücklicherweise noch nicht eingetreten. penni-dreyer

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