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Mädchen, was sagen eure Fingernägel über euch aus?

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Vor zehn Jahren, als mein Viertel noch nicht als nächstes In-Viertel gehandelt wurde, konnte man folgenden Vorgang sehr oft beobachten: Ein Bäcker, Metzger, Eisenwarenhandel machte zu und nach drei Monaten Leerstand zog ein Nagelstudio in die Räume ein, dekorierte das Schaufenster mit einer geschwungenen Klebschrift und hatte immer den Vornamen der Besitzerin im Titel. Die Einrichtung bestand stets aus einem bis drei Schreibtischen mit auffälligen Tischlampen. Sonst eher nix. Kundenstamm und Besitzerinnen überschnitten sich nie mit meinem Bekanntenkreis, deswegen waren mir die Vorgänge dort weitgehend verborgen. Ich weiß schon: Da lässt man sich die Nägel „machen". Aber was heißt das? Ist das eher so ein paramedizinsch-ästhetischer Vorgang, wie die professionelle Zahnreinigung oder ein Friseurbesuch? Oder ist das nur für diese irren Nagelfetisch-Tusssen, die mich schon früher in jedem Porno angewidert haben?

Solche Damen mit aufgeklebten, auffällig geschwungenen und strassbesetzten Nägel-Krallen würde ich jedenfalls nie richtig ernst nehmen können. Frauen mit denen ich verkehre haben entweder abgekaute Nägel, machen sich alle paar Woche eigenhändig French Nails, was ich als so eine Art Understatment-Nagelschmuck deute oder sie lackieren sich fürs Ausgehen irgendeine Farbe, die dann so etwa die Bedeutung eines leicht ironischen Accessoires hat. Tiefroter Nagelnack a la Catherine Deneuve, mit diesem Unterton von Erwachsenenerotik hat noch nie eine Frau aus meiner Umgebung ernsthaft eingesetzt, so was sehe ich höchsten bei dieser ehemaligen Klassenkameradin, die als Vorstandsassistentin arbeitet. Kommt also mit Hosenanzug und Firmen-BMW auch der seriös lackierte Nagel? Oder ist das einfach eine Charaktersache? Welche Signale gehen von der Beschaffenheit eurer Fingerspitzen aus, welche Überlegungen stellt man im Laufe eines normalen Mädchenlebens dazu an?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wie aus deiner Frage ja schon hervorgeht, gibt es „das eine" Verhältnis von Mädchen zu ihren Nägeln gar nicht, sondern bloß verschiedene Fingernagelmädchentypen. Die offenbaren dafür dann aber tatsächlich eine gewisse Grundhaltung des jeweiligen Mädchens und deshalb werde ich sie näher erklären.

Da ist erstens das Knabbermädchen. Sie ist das Nicht-Fingernagelmädchen der Runde, denn sie knabbert seit sie denken kann zwanghaft an ihren Nägeln herum und schämt sich dafür. Deshalb würde sie lieber einen ganzen Sommer lang mit Schneehandschuhen herumlaufen, als sich dazu überreden zu lassen, die ohnehin schon kläglichen Hornreste an ihren Fingerspitzen auch noch mit bunten Tupfern zu betonen. Sollte sie überhaupt jemals irgendetwas Kosmetisches mit ihren Händen anstellen, dann eine medizinische Maniküre. Und diese bloß in der felsenfesten Hoffnung, ein für alle Mal ihr Gewissen zu beruhigen. Das spielt nämlich seit ihrer frühesten Kindheit einen Satz ihrer Eltern auf Dauerschleife: „Die Hände sind die Visitenkarte eines jeden Menschen!" Innerlich brüllt sie ihnen oft diese Worte zurück: Jeder hat seine Schwächen und ich bin viel mehr als meine verdammten Fingernägel und wer das nicht erkennt, kann nach Hause gehen!

Zweitens gibt es das Bedachtsmädchen. Es hat ihren ersten lackierten Nagel schon sehr, sehr früh, ich würde sagen im Alter von sechs Jahren bekommen. Von Mama im Badezimmer, als diese gerade aus ihren matten Mama-Nägeln mithilfe eines puppenhaften Pinselchens viele glänzende, bonbonartige Fernsehdivanägel machte. Das Bedachtsmädchen war davon fasziniert und streckte ihrer Mama die Hand hin, woraufhin diese gütig lächelnd einen einzigen, winzigen Nagel mit dem kostbaren Lack bestrich. Sie brachte dem Bedachtsmädchen bei, das Nägelchen anzupusten und warnte davor, irgendwo anzustoßen. Das Mädchen hielt ihren Nagel mindestens die nächsten zwei Tage wie ein Heiligtum in die Höhe und fühlte sich rundum königlich. Jetzt, da sie erwachsen ist, finden sich in ihrem Kühlschrank (!) eine ganze Palette verschiedener Nagellack-Farbtöne. Die ganzheitliche Pflege ihrer Nägel mit anschließender Lackierung (beim Gucken ihrer Lieblingsserie) ist für sie zu einem kostbaren Ritual der Entspannung geworden. Ihre Haltung ist eine „Zeig mir deine Nägel und ich sag dir wer du bist"-Haltung, bei der sie als die gepflegte Dauereleganz in Person abschneidet.

Drittens gibt es das Naturmädchen. Sie hat trotz gesunder Eitelkeit noch nie viel mit detaillierter Kosmetik am Hut gehabt, da sie schlichtweg zu ungeduldig ist, länger als nötig an sich herumzuoperieren. Obendrauf findet sie, dass sich ihre Nägel auch so ganz gut machen. Sollte sie aufgrund akuter Experimentierfreudigkeit doch Lust auf Farbe haben, kauft sie irgendetwas Günstiges im Drogeriemarkt und trägt es zum Ausgehen auf. Sie findet es dabei nicht schlimm, wenn sie hier und da ein bisschen übergemalt hat oder beim Wühlen in der Tasche den rechten Zeigefinger versaut hat. Als ob da wirklich jemand so genau hinschaut, denkt sie und flitzt ab. Und will damit sagen: Schön ist, wer Spaß hat.

Der vierte Mädchentyp ist der der „irren Nagelfetisch-Tusse", wie du sagst, und da auch ich keine von ihnen zu meine Bekanntenkreis zähle, ist es schwer, etwas über sie und das Phänomen ihres "Stammlokals", den Nagelsalon, zu sagen. Ich bin mir sicher: Sie ist definitiv noch mal ein anderer Typ als das Bedachtsmädchen. Ich habe mal einen Artikel gelesen, in dem jemand dieser Nagelstudiosache auf den Grund gegangen ist. Wenn ich mich recht entsinne, sind die erforschten Frauen allesamt Menschen gewesen, für die ihre Nägel der einzige Farbklecks in einem sonst recht eintönigen Leben waren. Sie schienen die gesamte Abenteuer-, Experimentier- und Luxussehnsucht ihrer Seele in diesen einen monatlichen Nagelstudiotermin zu stecken. Vielleicht ist das auch der Grund, warum solche Nägel in Pornos auftauchen, weil sie auf eine verzweifelte Art und Weise als der Inbegriff von Wildheit gedeutet werden.

Der fünfte und letzte Typ ist derjenige deiner genannten Vorstandsassistentin. Sie ist ein Macht-man-so-Mädchen, die überhaupt in ihrem Leben immer nur Dinge tut, weil man sie so macht. Sie heiratet, weil man das so macht, kauft einen Einbauschrank, weil man das so macht, trägt einen Hosenanzug, weil man das so macht und lackiert sich eben auch die Nägel passend dazu, weil man das so macht.


mercedes-lauenstein

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