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Warum tragt ihr eure Taschen so blöd?

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"Tut das nicht weh?" Diese Jungsfrage trage ich seit einigen Monaten mit mir rum. Seit ich ständig Mädchen sehe, die ihre langhenkeligen Taschen in der Armbeuge tragen. Das Tragen (der Frage und der Taschen) erscheint mir durchaus schmerzhaft.

Deshalb drängt die Frage heute zur Antwort: Warum tragt ihr eure Taschen so blöd?

Der liebe Gott gab dem Menschen Hände zum Greifen, Fassen und Tragen. Der Mensch entdeckte die Schulter und erfand den Rucksack, um auch beim Tragen die Hände frei zu haben. Und jetzt kommt ihr: Kauft euch langhenkelige Taschen und hängt diese über den Arm als sei dieser eine Art Kleiderhaken.

Was soll das?

Nicht nur dass es schmerzhaft aussieht, auch die affektierte Handhaltung, die sich so ergibt, erscheint nicht gerade erstrebenswert. Und trotzdem: All überall sehe ich Mädchen mit zum Kleiderhaken mutierten Arm durch die Städte laufen. Ist das ein geheimes Zeichen?  Fühlt ihr euch dieser Art taschentragend stärker, weil der Kleiderhaken-Arm eine Art Waffe im Schieben und Drängeln der Großstadt ist? Oder findet ihr diese Transport-Form am Ende einfach nur modisch?



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Illustration: Julia Schubert



Ich gebe dir Recht: Es wirkt immer ein kleines bisschen einfältig und möchtegernbeschäftigt, wenn Mädchen ihre Taschen so tragen, wie du es beschreibst. Jedenfalls sieht es nicht besonders gemütlich aus und das wiederum erweckt den Eindruck, die Trägerin sei eher mühsam verkleidet, als lässig für den Alltag gewappnet.

Trotzdem muss ich die Armbeuge als idealen Taschenhaken für unterwegs verteidigen: Ich selbst lasse meine Taschen, die ich zwar bei längeren Spaziergängen oder auf dem Fahrrad am liebsten über der Schulter trage, in unzähligen Situationen dort hinein rutschen. Etwa, wenn ich gerade noch darin rumgewühlt habe, die Tram aber schon da ist, ich in der linken Hand eine offene Wasserflasche trage und in der rechten meinen iPod, schnell noch ein Ticket brauche, dann was lesen will und plötzlich wieder aussteigen muss. Immer, wenn ich schnell beide Hände brauche und keinen Gedanken daran verschwenden kann, ob mir die Henkel vielleicht von der Schulter rutschen könnten, weil meine Jacke gerade so doof verschoben ist, will ich die Tasche in der Ellenbeuge haben. Da hängt sie nämlich bombensicher und gut zugänglich.

Das ist nicht nur zwischen zwei Läden oder zwischen S-Bahn und U-Bahn so, sondern auch im Club: Wenn ich in der rechten Hand einen Drink halte, und mich mein Gegenüber spontan nach Feuer fragt, kann ich mit der linken Hand einfach schnell in meine Tasche gleiten und dort ein Feuerzeug herausholen. Hinge die Tasche über meiner Schulter, müsste ich erst meinen Drink abstellen oder jemandem in die Hand geben, dann die Tasche von der Schulter nehmen, mein Knie anwinkeln, die Tasche darauf abstellen und dann das Feuer herausholen. Eine Umbauaktion, die zu viel Zeit und Nerv und Gleichgewichtssinn erfordert, wenn man nicht zu der Fraktion der Dauerentspannten gehört.

Die Ellenbeuge ist natürlich nicht durchgehend belastbar. Wer nicht Muskelwoman höchstpersönlich ist, merkt irgendwann, dass das Gewicht dort nervt. Aber es läuft ja auch kein Mädchen ständig so rum. Der Rutsch in den Armknick ist nur ein Wechselspiel mit vielen anderen Tragemöglichkeiten. Und es reicht, dass er sich gut als Notnagel eignet. Damit ist er eigentlich so etwas wie das Unterwegspendant zum Ablagebrettchen im Hausflur: Ein Ort, den man trotz seiner augenscheinlichen Überflüssigkeit dringend zu schätzen lernt. Denn wenn es zwischen Tür und Angel – oder eben zwischen Kaffee und Tram – hektisch wird, wäre man ohne ihn ziemlich aufgeschmissen. 

mercedes-lauenstein


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