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Lesen mit Links (15): Fressen und gefressen werden

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Das Buch

In dieser Frühlingswoche geht es endlich an die Copacabana, mit "Popcorn unterm Zuckerhut" und den besten Geschichten aus Brasilien, dem Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2013. Wagenbach startet damit eine sehr bunte, sehr schön gestaltete Reihe.

Am Ende des bunt gemischten "Popcorn unterm Zuckerhut "-Bandes glaubt man, die junge brasilianische Literatur bestünde hauptsüchlich aus Essen, Rauchen und Musik. Zwanzig Geschichten erzühlen von Nirvana, George Harrison, Zezé Di Camargo & Luciano, Led Zeppelin, Vuvuzelas, Tango, Samba, Karneval. Außerdem geht es um exotische Gerichte wie gebratene Hühnerherzen, Pão de queijo und Jabuticaba -Törtchen. Es wird geraucht: Zigaretten, Zigarren, Joints. Es gibt Rüucherstübchen, Insekten-Scheiterhaufen, Grills. 

"Das Kriterium für die Aufnahme der 20 Kurzgeschichten war - zugegebenermaßen - ein zutiefst kulinarisches. Um nicht zu sagen, der Geschmack stand im Vordergrund", schreibt Herausgeber Timo Berger im Vorwort. "So dürfte es nicht verwundern, dass in den meisten der Geschichten von Autoren, die zwischen 1968 und 1981 geboren wurden, Lebensmittel, fleischliche oder sublimierte Freuden oder im weiteren Sinne Aneignungsversuche eine Rolle spielen." Übers Essen wird seit jeher geschrieben, geraucht immer weniger. Doch was macht "Popcorn unterm Zuckerhut" daraus?

Interessant ist, was die einzelnen Autoren aus den Zutaten machen. Wenn deutsche Literatur von Popmusik erzühlt, geht es um Oasis-Biographien, DJ-Erinnerungen und Mediendiskurse. Übers Essen wird seit jeher geschrieben, geraucht immer weniger. Doch was macht "Popcorn unterm Zuckerhut”daraus? 

Es wird meistens überraschend krass. Ein Tierquäler sperrt eine Heuschrecke in eine Kakaodose und legt diese ins Feuer: "Ich vernahm Geräusche, während das Etikett des Kakaos verschmorte. Ein verzweifeltes, heftiges Klopfen, das schnell verebbte. Ein Klopfen, das von Entsetzen und Bewusstsein zeugte." In einer Geschichte fühlt sich die umworbene Heldin während des Liebesspiels immer jünger und jünger. "Das Badewasser ist lauwarm, die Seifenstücke haben die Form von Herzen und Erdbeeren. Wie alt bis du? Vierzig. antworte ich. Als Nelson meine Füße berührt, bin ich fünfunddreißig." So geht es immer weiter, bis hin zu: "Mit vierzehn hat man keine Ahnung, wie intensiv sich die Berührung mit Wasser anfühlen kann." Ein Schiffskoch vergiftet die komplette Mannschaft. Hühnerherzen konservieren die Erinnerung an eine sehnsuchtsvolle Liebe. Ausgerechnet ein frisches Brot wird eine Kettenreaktion in Gang setzen, an deren Ende ein junger Typ im Gefängnis landet. Ein verrückter Kurator wird im Anfall von Wahnsinn im Museu de Arte Moderne von Rio de Janeiro ein Feuer legen. "Während des Brands kommt er wieder zu Verstand, und er verzweifelt und bereut seine Tat und begeht ein drittes und ein viertes Verbrechen." Später wird er als beleibter Popcornverkäufer zurückkehren.

Das Buch ist randvoll mit derartigen Figuren. Es ist in der Tat: "Popcorn unterm Zuckerhut", in allen Varianten, die es an der Copacabana zu kaufen gibt, also herzhaft mit Gewürzmischung, mit Salz, mit Zucker, Karamell oder Honig. Man sollte zu jeder Story wenigstens ein kleines Glas Wasser trinken. Das hilft.

Timo Berger (Hg.): "Popcorn unterm Zuckerhut - Junge brasilianische Literatur", Wagenbach, 146 Seiten, 9,90 Euro.

Die Querverweise

Gefressen wurde in der Literatur schon immer. In Heinrich Wittenwilers "Der Ring" artet eine spätmittelalterliche Bauernhochzeit aus. Thomas Manns "Buddenbrooks" verzehren kiloweise Franzbrötchen mit Taube. Günter Grass ("Die Blechtrommel") ist ohne Mahlzeiten undenkbar. Wer es weniger hochliterarisch mag: Werner Köhlers Restaurantroman "Cookys", die sehr clevere, auf unterhaltsame Weise sprachwissenschaftlich orientierte Geschichte "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen", Stevan Pauls "Schlaraffenland"und das sinnlich-exotische "Feine Kost" machen "Hunger" auf mehr.

 

Die Updates

Geisterstunde: Am Samstag, 4. Mai findet von 16-24 Uhr die 9. Unterhachinger Lesenacht statt. Absolutes Highlight sind die beiden Lesungen von Jonas Lüscher, dessen Debütnovelle "Frühling der Barbaren" zum schlichtweg Besten gehört, was im Frühjahr 2013 erschienen ist.

Schlagerliteratur: Autor und Sänger Jens Friebe ("Lawinenhund") hat vor ein paar Jahren mit seinen beiden Fassungen von "52 Wochenenden" bei KiWi und im Verbrecher Verlag für Aufsehen gesorgt. Im Octopus-Magazin spricht er über Protestsongs, Gastbeiträge in der FAZ und Sven Regener.

Filmgedichte: Als Suhrkamp vor einiger Zeit eine DVD-Reihe auflegte, gehörte die Thomas-Brasch-Box zu den aufregenden Entdeckungen. Der 2001 früh verstorbene Lyriker begeisterte mit schroff erzählten Geschichten wie "Engel aus Eisen" und "Mercedes”. Der filmclub münster zeigt ab 6. Mai fünf Brasch-Geschichten.

Text: jan-drees - Illustration: Katharina Bitzl

Statt Roman mal ein Comic?:

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