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Lesereise Teil 1: Hilfe, die Hamburger Literaturszene schrumpft

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Hamburg-Hasselbrook, am letzten Sonntag im März. Draußen hat es sonnige 15 Grad, drinnen drängen sich – trotz Sonnenschein – knapp hundert Gäste. Mehr geht nicht. Drinnen bedeutet: in der Baderanstalt, einer alten Fabriketage schräg über dem S-Bahnhof Hasselbrook. Das, was hier gleich stattfinden wird, heißt „Kaffee.Satz.Lesen“ – und wird ab Juni die letzte aktive Lesereihe in Hamburg sein. Im Februar hatte sich die Lesereihe Transit von ihrem Stammpublikum verabschiedet: nach knapp fünf Jahren mit insgesamt 40 Veranstaltungen. Immer am ersten Dienstag im Monat, zuletzt im Kulturhaus III&70 (sprich: dreiundsiebzig) im Schanzenviertel. „Wir könnten auch weitermachen wie bisher“, hatte der Transit-Moderator und Mitorganisator Daniel Beskos damals gesagt, „aber irgendwann ist auch mal Zeit für was Neues.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Ende von Transit ist gerade verdaut, schon gibt es neue Neuigkeiten: Der Macht-Club, Hamburgs bekannteste und dienstälteste Lesereihe im Schauspielhaus, wird im Juni zum letzten Mal stattfinden. Die Entscheidung trafen die neun Macht-Macher bei einer Versammlung am Sonntag, die Macht-Moderatoren Michael Weins und Sven Amtsberg traten damit bei der 69. Ausgabe des Macht-Clubs am Dienstag vors Publikum. Die Gründe des kurzfristigen Auslaufens erklärt Hartmut Pospiech: „Wir brauchen einen Sponsor, weil der bisherige schon vor drei Jahren abgesprungen ist. Und wir brauchen eine Location, weil uns das Schauspielhaus nicht mehr zur Verfügung steht.“ Ohne den Macht-Club und Transit bleibt von der Hamburger Literaturszene noch eine Reihe Poetry-Slams übrig. Und eben „Kaffee.Satz.Lesen“ – das im Mai seinen fünften Geburtstag und gleichzeitig die fünfzigste Lesung feiert. „Als wir angefangen haben“, sagt Stevan Paul, der die Lesereihe zusammen mit Sven Heine unter dem Label „redereihamburg“ organisiert, „hatten wir keine Lust mehr auf Poetry-Slams. Und in den Macht-Club wurden wir – als Autoren, die selbst lesen wollten – nicht eingeladen.“ Also wurde die Lücke geschlossen: sonntagnachmittags, mit kleinem Budget, großem Idealismus und frischgebackenem Kuchen. „Kaffee.Satz.Lesen“ funktioniert letztlich doch wie ein Poetry-Slam – wenn auch entschleunigt, im Sitzen und ohne Wettbewerb: Eine Handvoll eingeladener Autoren lesen selbstgeschriebene Texte. Manche arbeiten gerade an ihrem dritten Buch, andere sind erst noch dabei, einen Stil zu finden. Jeder Autor hat eine Viertelstunde, dann kommt der nächste. Und in der Pause gibt es Kaffee und Kuchen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stevan und Sven kümmern sich – unterstützt von einer guten Handvoll Helfern – darum, Autoren zu finden und einzuladen, sie mit Wasser und Würstchen zu versorgen, in der Pause Bücher zu verkaufen, die Scheinwerfer einzuschalten – und einzugreifen, wenn ein lesender Autor mit dem Mikro eine Rückkopplung verursacht. Kann immer mal wieder passieren. Kann auch passieren, dass jemand sein Wasserglas umstößt, sich vom Scheinwerfer geblendet fühlt, das Licht zu dunkel findet oder gerne farbig hätte, sich verschluckt, lachen muss – oder merkt, dass das, was zu Hause auf dem Papier noch ganz vielversprechend klang, jetzt nur noch unterirdisch ist. „Eine bessere Schule als den Vortrag vor Publikum gibt es für Texte fast nicht“, sagt der Ex-Transit-Moderator Daniel Beskos. „Fahr‘ mal in eine beliebige Großstadt, und halte eine Lesung vor einem verwöhnten Publikum, das echt schon alles gesehen hat. Wenn du da bestehst, dann hat dein Text was.“ Und wenn nicht, dann weiß du umso konkreter, an welchen Stellen du noch arbeiten musst. Daniel, 31, hat vor zwölf Jahren mit zwei Freunden den mairisch Verlag gegründet – der seit 1999 in Hamburg sitzt und sich von hier aus um junge Literatur und Hörspiele kümmert. „Entstanden“, sagt Daniel, „ist der Verlag aber haupsächlich aus der Idee heraus, Lesungen zu veranstalten.“ Was Daniel und Kollegen auch bald taten – eben mit Transit, gegründet im selben Jahr wie Kaffee.Satz.Lesen, drei Jahre nach dem Macht-Club. Warum? „Einen Monat lang dafür zu ackern“, schwärmt Daniel, „alles vorzubereiten, Autoren auszuwählen, Flyer zu machen und dann schließlich 150 Gäste dazuhaben, die gespannt oder begeistert einem Text zuzuhören – das gibt einem schon ein gutes Gefühl. Außerdem lernst du dabei eine Menge spannender Leute kennen.“ Für die Lesung im Mai arbeiten Stevan und Sven gerade am Programm für eine Marathon-Lesung. Mit 50 Autoren. Zum Geburtstag – und vielleicht auch, um ein Zeichen zu setzen. „Hoffentlich“, äußerte am Mittwoch einer der Stammgäste, „hoffentlich verausgaben die sich nicht. Wäre blöd, so ganz ohne.“ Ab jetzt wird jetzt.de regelmäßig "Lesereisen" unternehmen. Welche Leseszenen kennst Du? In welche Städte soll jetzt.de eine Lesereise wert sein?

Text: florian-zinnecker - Fotos: redereihamburg.wordpress.com

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