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Ich habe mein Abi in der Tasche und keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Was kann ich tun?

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Als ich mein Abi machte, ging es mir genauso. Zum ersten Mal in meinem Leben lag auf der anderen Seite der Sommerferien nicht das gewohnte Gerüst aus Stundenplänen und Schulaufgaben – sondern die große, glitzernde Freiheit. Bloß: was tun damit? Arbeiten?

Meine Berufserfahrung beschränkte sich auf Ferienjobs als Parkwächter und Schwimmlehrer, die Berufsberaterin in der Schule hatte in der zehnten Klasse als passenden Job für mich „Denkmalpfleger“ ermittelt. Studieren?

Ein Studium, soviel hatte ich aus Gesprächen mit Lehrern und meinen Eltern mitgenommen, war offenbar gut und irgendwie wohl auch nötig für einen anspruchsvollen Job, aber – was studieren? Mein Lernspeicher war seit Wochen maximal ausgelastet und die Begeisterung für meine Leistungskurse längst nicht stark genug, um nach dem Sommer direkt in die zehnsemestrige Verlängerung zu gehen. Heute weiß ich: bei aller flirrenden Leichtigkeit ist die Abi-Zeit eine schwere Zeit.

Die Frage, was wir danach machen, ist ja meistens die erste wirklich große Entscheidung, die wir selbst treffen müssen. Und sie wird nicht leichter dadurch, dass Eltern, Großeltern und alle sonst verfügbaren Erwachsenen ständig danach fragen und in aller Regel gleich einen Strauß gutgemeinter Ratschläge hinterherreichen. Ist ja auch klar: bei dem Thema können alle mitreden, schließlich war jeder irgendwann mal mit der Schule fertig.

Aber wie viel Wert haben die Tipps von Menschen, die ihr Abitur zu Zeiten des Kalten Kriegs gemacht haben? „Gar keinen“, sagt der Erfolgstrainer Thilo Baum. „Was für unsere Eltern galt, gilt heute längst nicht mehr.“ Baum, 40, schreibt Bücher über die Veränderungen der Arbeitswelt und hilft Menschen in Seminaren, sich beruflich zu positionieren. Sein wichtigster Rat für Abiturienten: „Bevor du irgendetwas anfängst, solltest du wissen, was du willst.“

Um das herauszufinden, rät er, sich drei Fragen zu stellen: „Erstens: Was machst du gerne? Zweitens: Was kannst du richtig gut? Und drittens: Was aus der Schnittmenge von Antwort eins und zwei brauchen andere Menschen?“ Genau das, so Baum, sei die eigene Leistung, die man dem Markt anbieten könne. „Erst danach stellt sich die Frage, welche Form das ganze hat.“ Mache ich mich selbstständig oder lasse ich mich anstellen? Führt der beste Weg über ein Studium, über eine Ausbildung, oder vielleicht sogar direkt über eine Unternehmensgründung? All das sei nachrangig.

„Zuerst“, sagt Baum, „musst du das Ziel definieren, dann den Weg.“ Den häufig gewählten Weg, aus Verlegenheit ein Studium zu beginnen, hält Thilo Baum deshalb für fatal – dieser Weg produziere arbeitslose und frustrierte Akademiker. Auch warnt er vor dem Blick auf Job-Statistiken, um zu sehen, welche Berufe gerade gefragt sind. „Du solltest den Fokus nicht nur auf den Arbeitsmarkt richten“, sagt er, „sondern auf den gesamten Markt.“ Sprich: auf das, wofür mir Menschen Geld geben, weil ich es gut kann und gerne mache.

Neulich begegnete Baum einer frustrierten Einser-Abiturientin, die Psychologie studiert hatte – ohne große Begeisterung, aber in Rekordzeit – und jetzt keinen Job fand. „Statt zu schauen, wo ein Bedarf für ihre Fähigkeiten liegt, suchte die Frau nur nach Arbeitsplätzen für Psychologen. Das ist ein sehr enger Filter mit entsprechend wenigen Suchergebnissen. Mir scheint, viele Leute denken in extrem schmalen Bahnen.“

Der beste Rat ist also vielleicht: mach’ dir Gedanken, denke außerhalb der üblichen Pfade, und denke zielorientiert. Und was tun, wenn das Ziel dann immer noch unklar ist? „Reisen“, sagt Baum. „Sprachen lernen, fremde Denkmuster entdecken, andere Konzepte, mit dem Leben umzugehen.“ Und die berüchtigten Lücken im Lebenslauf? „Ach“, sagt der Erfolgstrainer, „interessante Menschen wollen mit interessanten Menschen zusammenarbeiten – und umgekehrt.“

Lücken im Lebenslauf müsse also nur derjenige fürchten, der irgendwann mal einem langweiligen Personalchef gefallen wolle.

Auch den Autor Jan Stremmel, 25, haben seine neun Monate Zivildienst weitergebracht: er wusste danach, dass er nie wieder Krankenwagenfahrer sein will. Und freute sich aufs Lernen an der Uni
Fünf Tipps für die Zeit nach dem Abi:

1. Mach’ dir bewusst: Die Schule hat dir nur einen winzigen Ausschnitt gezeigt von dem, was in der Welt da draußen möglich ist – „sie erzieht oft zu einer selektiven Wahrnehmung“, sagt der Coach Thilo Baum. „Und was wir nicht wissen, denken wir auch nicht.“ 

2. Reisen ist immer gut: um diesen Ausschnitt zu vergrößern, um mit Sicherheitsabstand das eigene Leben zu überdenken – und nach monatelangem Lernen sowieso. Aber: Reisen ist nicht gleich Urlaub machen. „Reisen als Ausrede der Selbstfindung ist Selbstbetrug“, sagt Baum. „Es geht immer darum, etwas Sinnvolles zu tun.“ 

3. Lass dich nicht unnötig stressen. Ein Gap Year einzulegen ist völlig legitim. Sprachkurse, ein freiwilliges soziales Jahr, Praktika in verschiedenen interessanten Jobs – alles Dinge, die dich weiterbringen, auch wenn du nicht im Hörsaal sitzt. 

4. Such’ den Kontakt zu Berufen, die dich interessieren. Jede Branche veranstaltet Messen – dort kannst du dir am leichtesten einen Überblick verschaffen und mit Leuten aus der Praxis ins Gespräch kommen. So merkst du schnell, was dich interessiert und was eher nicht. Und du kommst leichter an Jobs oder Praktika als über eine konventionelle Bewerbung. 

5. Schon klar, die Eltern meinen es nur gut mit ihren Ratschlägen – aber sie sind in einer anderen Zeit groß geworden. Achte deshalb darauf, dass deine Entscheidung am Ende auch wirklich deine bleibt. Du musst dein Leben leben, niemand sonst.  

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