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"Meine Freunde und Familie waren nicht begeistert"

Foto: privat

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In dieser Reihe dokumentieren wir Geschichten von Paaren, die über Kilometer und Kulturen hinweg versucht haben, ihre Beziehung aufrecht zu erhalten - und es schafften oder auch scheiterten. Du willst auch eure Geschichte erzählen? Dann melde dich über info@jetzt.de oder schreib uns bei Facebook.

Jana (30), Lehrerin aus Siegen

Es war ein totaler Zufall, dass wir uns kennengelernt haben. Ich war durch ein Stipendienprogramm in Bogotá, ohne mir den Ort selbst ausgesucht zu haben. In der Institution, wo mein Projekt stattfand, gab es eine Praktikantin, die Jüdin war. Da ich auch jüdische Wurzeln habe, lud sie mich auf eine Neujahrsfeier (Rosh ha-shana) ein. Dort sind Guido und ich uns zum ersten Mal begegnet. Es hat direkt gefunkt.

Dann ging alles ganz schnell. Wir hatten nur wenige gemeinsame Wochen zwischen dem ersten Kennenlernen und meiner Rückreise. Unsere gemeinsame Zukunft war ungewiss. Wir haben uns sehr gewünscht, dass wir zusammenbleiben, aber sicher waren wir nicht.

Meine Freunde und Familie waren nicht begeistert von unserer Fernbeziehung. Sie kannten Guido nicht und wussten nicht, ob sie diesem Fremden vertrauen konnten. Richtiger Gegenwind kam aber erst, als es richtig ernst wurde und wir unsere gemeinsame Zukunft planten. Ich durchlebte eine Gefühlsachterbahn, war ständig zerrissen zwischen zwei Welten. Ich glaube, mein Umfeld hat das als sehr anstrengend empfunden, sie mussten viel für mich da sein. Guido hat mal gesagt: 'Das, was wir haben, wird wie ein Tattoo sein. Es tut weh, aber es bleibt für immer.'

Für uns stand fest, dass einer von uns beiden sein Heimatland verlassen musste. Zuerst haben wir Möglichkeiten gesucht, damit Guido nach Deutschland kommen kann. Aber die Auflagen waren unerfüllbar für uns und heiraten wollten wir nicht. Während der letzten Monate meines Studiums fiel dann die Entscheidung, dass ich nach Kolumbien gehe. Da ich bereits fließend Spanisch sprach und Lehramt studiert hatte, konnte ich nach einer Umschulung zur Daf-Lehrerin schnell auch im Ausland Fuß fassen.

Aber natürlich wurde ich auch mit kulturellen Unterschieden konfrontiert. Geld ist zum Beispiel ein Tabuthema in Kolumbien. Erst recht, wenn man nicht allzu viel davon hat. Gerade zu Beginn, als Guido für uns beide aufkommen musste, während ich eine Zusatzausbildung machte, konnten wir nicht alles kaufen, was wir wollten, oder ständig ausgehen. Das Nachtleben in Bogotá ist super spannend, aber nicht gerade günstig. Während ich meinen Freunden und Bekannten frei heraus sagte, dass ich aus finanziellen Gründen nicht mitkommen konnte, dachte sich Guido Ausreden aus, weil er sich schämte. Ich musste lernen, Rücksicht darauf zu nehmen und einzusehen, dass das Thema Geld nicht überall auf der Welt gleichbehandelt wird.

 

Überhaupt ist es eine kolumbianische, vielleicht sogar bogotanische Eigenart, dass die Menschen dort für viele Dinge 'pena' (Scham) empfinden, die für uns kein Thema sind. Möchte man beispielsweise um einen Gefallen bitten, so schreibt man nicht einfach eine Nachricht mit 'Hey Pablo, hast du vielleicht einen Schlafsack, den ich mir ausleihen kann?' Stattdessen ruft man am besten an, erkundigt sich nach dem Befinden, auch dem der Familie, fragt nach Neuigkeiten, plaudert ein bisschen und rückt dann erst mit der Bitte heraus. Da kann man als Deutsche leicht ungeduldig werden. Trotzdem sollte man sich an dieses Vorgehen halten, um nicht unhöflich zu wirken.

 

„Nach der Geburt unseres Sohnes Noah konnte ich mir immer weniger vorstellen, mein ganzes Leben in Kolumbien zu verbringen“

 

Woran ich mich auch gewöhnen musste, war, dass sich Guido viele Sorgen um mich machte. Ich war bereits in vielen Ländern gereist, oft auch alleine, und hatte mich nie unwohl oder unsicher gefühlt. Als ich zu Guido nach Kolumbien kam, änderte sich etwas Grundlegendes: Er fühlte sich mitverantwortlich, ich war nicht mehr alleine. Er versuchte, möglichst alle Risiken so gering wie möglich zu halten, was mich teilweise einengte. Natürlich konnte ich ihn auch verstehen, denn wäre mir etwas zugestoßen, hätte er sich Vorwürfe gemacht. Das Problem hat sich nach einer Weile von selbst erledigt, denn je besser ich mich auskannte, desto entspannter wurde Guido.

 

Was mich vor allem zu Beginn sehr irritierte, war, wie Guido seine Freundinnen ansprach. Natürlich wusste ich, dass da nichts war, aber trotzdem war es für mich seltsam zu hören, wie er andere Frauen 'mi amor' (meine Liebe), 'corazón' (Herz), 'mi vida' (mein Leben), 'flaca' (Schlanke), oder 'guapa' (Schöne) nannte und sich mit den Worten 'un beso' (ein Kuss) verabschiedete. Nach ein paar Eifersuchtsattacken, die Guido nicht verstehen konnte, merkte ich, dass kolumbianische Freunde einfach so miteinander sprechen, ohne dass besonders tiefe Gefühle dabei im Spiel sind.

 

Nach der Geburt unseres Sohnes Noah 2014 konnte ich mir immer weniger vorstellen, mein ganzes Leben in Kolumbien zu verbringen. Zusammen entschieden wir, nach Deutschland zu gehen. Geheiratet haben wir nicht, aber ich nenne ihn trotzdem immer 'mein Mann'. Eine so gute Anstellung wie in Kolumbien hat er bisher noch nicht gefunden, aber er spricht inzwischen gut Deutsch, macht eine Ausbildung und arbeitet bereits in drei Projekten freiberuflich als Schauspieler, Regisseur und Theaterpädagoge.

 

Unsere Entscheidung, hierher zu kommen, haben wir nicht bereut. Es war zwar nie einfach – aber gerade für Familien ist Deutschland ein tolles Land, in dem wir uns wohl fühlen. Nach und nach haben wir einen gemeinsamen Freundeskreis aufgebaut. Außerdem verbringen wir oft Zeit mit meiner Familie, die uns viel unterstützt hat und es noch immer tut. In Zukunft möchten wie uns in Deutschland etwas aufbauen, reisen, unsere kolumbianische Familie hierher einladen oder sie dort besuchen. Wir vermissen sie sehr! In ein paar Jahren würden wir gerne ein Kind aus Kolumbien adoptieren.“

Jana und Guido

Jana und Guido

Foto: privat

Guido (43), Schauspieler aus Bogotá

 

„Als ich Jana kennenlernte, arbeitete ich gerade in einer jüdischen Gemeinde als Lehrer und wurde von meinen Kollegen zum Neujahrsfest eingeladen. Erst hatte ich nicht wirklich Lust, dorthin zu gehen, aber einer meiner Freunde überredete mich. Also ging ich hin. Und sah sie. Es war Liebe auf den ersten Blick.

 

Allerdings dauerte es dann erstmal, bis wir wirklich Zeit miteinander verbringen konnten. Wir machten zwar am selben Abend noch aus, dass wir uns auf einen Kaffee treffen wollten, ich musste aber beruflich verreisen und lebte in einer anderen Stadt. Wir telefonierten ein paar Mal und gingen dann das erste Mal zusammen aus, als ich wieder in der Stadt war. Und dann war eigentlich direkt klar, dass wir zusammengehören.

 

Umso schwerer war es dann, als Jana relativ schnell nach unserem Kennenlernen wieder zurück nach Deutschland ging. Zu der Zeit skypten wir beinahe jeden Tag. Wir kannten uns ja erst so kurz. Irgendwie haben wir die Entfernung mit dem Internet und sozialen Medien hinbekommen. Damals noch über Blackberry konnten wir täglich Bilder und Nachrichten austauschen. Auf diese Weise konnten wir trotz der Entfernung am Alltag des Anderen teilhaben.

 

Zwar besuchten wir uns dreimal gegenseitig, aber die Zeitspannen dazwischen waren sehr lang. Das war schon hart. Wir haben uns sehr vermisst und wussten nie, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen würden. Deswegen war es für uns auch klar, dass das nicht ewig so weitergehen kann. Eigentlich haben wir schon am Anfang unserer Beziehung davon gesprochen, irgendwann mal auch wirklich zusammen leben zu wollen.

 

„Für mich war klar, dass ich hier von Null starte, mir eine neue Karriere aufbauen muss“

 

Nach fast drei Jahren Fernbeziehung war Jana mit der Uni fertig und zog nach Kolumbien. Die Entscheidung haben wir zusammen getroffen, weil Kolumbien zu dem Zeitpunkt einfach die beste Option war. Ich war dort sehr erfolgreich als Schauspieler. Ein Umzug nach Deutschland wäre damals ein zu großer Einschnitt für mich gewesen. Für Jana war es andersherum einfacher, sich ein Leben in Kolumbien aufzubauen. Aber natürlich war es auch für Jana eine große Veränderung.

 

Wir haben drei tolle Jahre zusammen in Kolumbien verbracht, in denen wir gearbeitet und uns ein gemeinsames Leben aufgebaut haben. Seit der Geburt von unserem Sohn Noah fühlen wir uns noch mehr als Familie. Aber gerade auch wegen Noah und seiner Zukunft haben wir uns dann dazu entschieden, nach Deutschland zu ziehen. Für mich war klar, dass ich hier von Null starten, mir eine ganz neue Karriere aufbauen muss. Davor hatte ich am Anfang echt große Angst und Respekt. Immerhin konnte ich damals überhaupt nicht einschätzen, ob ich in der deutschen Theaterwelt Fuß fassen kann. Ich hatte vor allem die Befürchtung, dass die Sprache zu einer großen Barriere werden würde.

 

Aber ich würde sagen, dass wir jetzt ganz gut angekommen sind. Das war allerdings mit harter Arbeit verbunden. In Deutschland Fuß zu fassen ist nicht einfach. Auch wenn wir es gut überstanden haben, war das erste Jahr in Deutschland eine große Zerreißprobe für uns. Unsere Entscheidung, hierher zukommen, haben wir aber nicht bereut.

 

Mittlerweile mache ich eine Ausbildung, lerne jeden Tag acht Songs und arbeite zweimal die Woche am Theater. Das bedeutet zwar viel Arbeit, aber ich genieße es, beschäftigt zu sein. Mein Deutsch wird immer besser und ich kann jeden Tag mit meiner Familie zusammen sein. Ich hoffe wirklich, dass es für uns weiter so gut läuft und glaube, dass Jana, Noah und ich alles zusammen schaffen können. Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, sehe ich wie Noah in Deutschland aufwächst und wir alle zusammen so oft wie möglich nach Kolumbien reisen. Außerdem würden wir gerne ein Mädchen adoptieren – sobald wir uns noch besser in unserem neuen Leben mit den neuen Jobs eingerichtet haben.

 

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