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Liebe geht durch die Blase

Illustration: Federico Delfrati

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Einer der ersten Urlaube mit meinem Freund war ein Road-Trip. Wir saßen also kilometer- und stundenlang nebeneinander im Auto und fanden das (zurecht) sehr toll. Nur eine Sache machte mir zunächst ein bisschen Sorgen: Ich muss auf langen Fahrten ziemlich oft Pause machen. Wegen – um es mal in Oma-Manier zu umschreiben – meiner „Konfirmandenblase“. Und ich hatte Angst, meinem Freund damit auf die Nerven zu gehen, mindestens alle zwei Stunden vorsichtig „Ich müsste mal…“ zu sagen. Aber nachdem ich es etwa drei bis fünf Mal doch gewagt hatte, stellte ich fest: Er sagte jedes Mal „ich auch“. 

Und da wusste ich, dass wir es sehr lange miteinander aushalten würden. Dass wir sowohl in unserem Urlaubs-, aber auch in unserem Alltagsrhythmus perfekt aufeinander abgestimmt sein würden. Einen Menschen, der eine genauso schwache oder genauso belastbare Blase hat wie man selbst, den sollte man am besten sofort ehelichen!

Binsenweisheiten besagen, dass sich erst nach der glitzerigen Verknalltsheitsphase, im Alltag oder in Stress- oder Ausnahmesituationen zeigt, wie beständig eine Beziehung wirklich ist. Wie gut zwei Menschen zueinander passen. Ob sie es weiterhin schön miteinander finden oder doch dauernd zu streiten anfangen. Am wichtigsten sei, so sagen es Experten allerorten (in Ratgeberbüchern, im Internet, am Küchentisch nachts um drei), dass man miteinander reden könne. Verhandeln. Kommunizieren. In Ich-Botschaften am besten. Keine Vorwürfe machen, keine Geheimnisse haben (oder nur kleine, gute, und keine großen, bösen). Manche betonen noch den Wert gemeinsamer Interessen und eines ähnlichen Humors. Dabei ist das alles Käse! Es ist allein die Zeitspanne, die die beiden Blasen der Partner brauchen, um sich bis zu einem unangenehmen Punkt zu füllen, die über das Wohl der Beziehung entscheidet. Ist sie bei beiden gleich lang: go! Ist sie bei einem lang, beim anderen kurz: no!

Ich weiß schon, die meisten werden mir das jetzt erstmal nicht glauben. Aber denkt euch doch bitte hinein in die Situationen. Denkt an eine lange Autofahrt und wie einer das Gefühl hat, zu fliegen und noch mindestens drei Stunden weiter fliegen zu können – und der andere, ihm eigentlich liebste Mensch sagt ständig: „Können wir bitte anhalten?“ Denkt an die „Wir müssen los, sonst verpassen wir die Bahn“-Minute, wenn die Schuhe schon angezogen sind und die Wohnungstür schon offen steht, und dann sagt der eine: „Ich muss noch mal schnell…“ und der andere verdreht genervt die Augen. Denkt daran, wie zwei zusammen in der Stadt unterwegs sind und dann fängt der eine an, verzweifelt nach einer öffentlichen Toilette zu suchen, bis er schließlich in einem Café fragt, ob er mal dürfe, und der andere muss draußen warten und die Tüten des anderen halten und ist im schlimmsten Fall sogar peinlich berührt.

Denn das mit dem Mal-Müssen, das ist eben sehr natürlich und alltäglich, darin aber auch so extrem individuell. Wer eine Blase hat, die sich auch nach mehreren Tassen Kaffee, einem halben Liter Eistee und einem entwässernden Brennnesseltee nicht meldet, der kann sich einfach nicht vorstellen, wie es ist, eine zu haben, die nichts aushält. Andersrum ist es genauso. Und dann sind solche Toilettenpausen oder Noch-schnell-ins-Bad-schlüpfen-Aktionen zwar meist eine Sache von Minuten, wenn nicht sogar nur Sekunden – aber sie summieren sich. Sie summieren sich vor allem, wenn man viel Zeit miteinander verbringt. Wenn man eben einen Alltag oder Urlaub teilt. Da fühlt sich der, der nur selten muss, von dem, der immer muss, seiner Zeit beraubt. Weil er dauernd ein paar Minuten anhalten, warten, aufschieben, rumstehen muss. Minuten, die zu lang sind, um nicht ins Gewicht zu fallen, aber zu kurz, um etwas Sinnvolles zu tun.

Und darum ist es das Beste, wenn man in diesen Minuten immer das Gleiche tut. Entweder nichts oder eben Toilettenbesuch. Wenn man immer sorglos „Ich muss mal!“ sagen kann, weil der andere sowieso „Ich auch!“ sagen wird. Wenn man etwas Klitzekleines gemeinsam hat, das dafür sorgt, dass man im gleichen Rhythmus aus Vorwärtskommen und Pausemachen durchs Leben marschiert. 

Darum merkt euch bitte: Die gleiche Blasenkapazität zu haben, das ist das wahre Geheimnis stabiler Beziehungen und ewiger Liebe! Und weil man garantiert die Bahn verpasst, wenn beide noch mal schnell müssen, bevor sie losgehen, hat man auch plötzlich viel mehr Zeit für andere schöne Beziehungsdinge.

Die Autorin dieses Textes möchte anonym bleiben, weil sie sich zwar wünscht, dass diese Botschaft in die Welt getragen wird, ihre eigene Blasenkapazität dann ja aber doch privat ist.

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